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Menschen im digitalen Datenstrom.

Das Mensch-Maschine-Interface

US-Forscher haben ein elektrisches Gerät entwickelt, das Protonen statt Elektronen als Ladungsträger verwendet. Der Biotransistor könnte in Zukunft als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine dienen.

Biotransistor 21.09.2011

Die automatische Weckvorrichtung der Stimmungsorgel neben seinem Bett weckte Rick Deckard mit einem fröhlichen kleinen Stromstoß. Drüben in ihrem Bett schlug jetzt auch seine Frau Iran ihre grauen, lustlosen Augen auf, blinzelte und schloss sie seufzend wieder. "Du hast deine Penfield zu schwach eingestellt", sagte er zu ihr. "Ich stelle sie dir neu ein, dann wachst du auf und ..."

Hollywood hat sich posthum großzügig im Ideenfundus des amerikanischen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick bedient. Die Truman Show, Minority Report und Total Recall etwa sind dem Dick'schen Phantasieuniversum entliehen, auch wenn das die Drehbuchautoren nicht immer kenntlich gemacht haben.

Was die "Stimmungsorgel" aus Träumen Androiden von elektrischen Schafen? betrifft (sie kommt übrigens in der Hollywood-Adaption Blade Runner nicht vor), hat Philip K. Dick, der Visionär, jedoch ein Problem übersehen - oder zumindest übergangen.

Stromstöße, also Elektronenflüsse, eignen sich nicht, um direkt mit dem Gehirn oder anderen Organen zu kommunizieren. Im menschlichen Körper spielen elektrische Signale zwar eine wichtige Rolle, aber ihre Träger sind entweder Protonen oder größere Ladungsträger, nämlich Ionen.

"Wie übersetzt man ein elektrisches Signal?"

Die Studie

"A polysaccharide bioprotonic field-effect transistor", Nature Communications (doi: 10.1038/ncomms1489).

Wollte man eine Kommunikations-Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine bauen, sagt Marco Rolandi von der University of Washington, müsse man zunächst ein Übersetzungsproblem lösen: "Wie übersetzt man ein elektrisches Signal in ein Ionensignal oder umgekehrt?" Eine Lösung wäre, gleich eine Maschine zu bauen, die das Vokabular des Körpers beherrscht.

Biotransistor: Bauschema und natürliche Struktur

University of Washington

Biotransistor Marke Rolandi

Das dafür notwendige Material haben Rolandin und sein Team nun vorgestellt: Es handelt sich um das Polysaccharid Chitosan. Chitosan kann relativ einfach aus dem Chitinpanzer von Insekten, Weich- und Krebstieren hergestellt werden. Die US-Forscher verwendeten für ihre Versuche ein evolutionäres Relikt aus Tintenfischen. Deren Vorfahren besaßen in Urzeiten einen festen Außenpanzer, nun tragen sie nur mehr ein chitinöses Überbleibsel in ihrem Körper, den sogenannten Schulp.

Dieser lässt sich jedenfalls, wie Rolandin und Co im Fachblatt "Nature Communications" schreiben, zu einem aus Chitosan-Nanofasern bestehenden Transistor verarbeiten. Genauer gesagt zu einem Feldeffekttransistor, mit dem sich der Ladungsfluss regulieren lässt. "In unserem Gerät können Biomoleküle Protonen bewegen. Der Protonenstrom kann ein- und ausgeschaltet werden - das ist genau das gleiche Prinzip wie in herkömmlichen Feldeffekttransistoren, die mit elektrischem Strom, also mit Elektronen arbeiten", sagt Rolandi.

Protonen wandern über Wasserstoffbrücken

Der Mechanismus, mit dem das Gerät seinen Dienst versieht, ist relativ simpel: Chitosan neigt zur Absorption von Wasser, dadurch bilden sich an dem Polysaccharid Wasserstoffbrücken, die wiederum die Wanderwege der Protonen definieren.

Im menschlichen Körper wandern Protonen und Ionen ebenfalls, und zwar durch Zellmembranen. Es gibt kaum einen Vorgang, der nicht davon abhängig wäre, die Signale der Neuronen benötigen den Ladungsfluss ebenso wie die Kontraktion von Muskeln und die Energieerzeugung in den Mitochondrien.

Daher könnte man mit Hilfe des Chitosan-Transistors viele Körpervorgänge überwachen oder sogar in sie eingreifen. Theoretisch: Noch arbeitet Marco Rolandi an einem Transistor-Prototyp, der ganz ohne Silizium auskommt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass er auch in den Körper implantiert werden kann.

Robert Czepel, science.ORF.at

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