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Stilisierte DNA-Stränge

"Epimutationen" für Evolution unwichtig

"Epigenetik" heißt ein relativ junges Forschungsfach, das sich mit chemischen Änderungen der DNA beschäftigt. Eine Studie zeigt: Die Änderungen treten in Lebewesen zwar häufig auf, sind aber kurzlebig. Die Evolution beeinflussen sie vermutlich kaum.

Studie 21.09.2011

Lamarck revisited

Der französische Botaniker und Zoologe Jean-Baptiste de Lamarck (1744 bis 1829) hätte seine Freude: Seine Überzeugung, dass Lebewesen erworbene Eigenschaften direkt an ihre Nachkommen weitergeben können, erhält wieder etwas Aufwind. Seit einigen Jahren weiß man, dass Umwelteinflüsse durchaus ihre Spuren im Erbgut hinterlassen können - und zwar in Form epigenetischer Veränderungen.

Die Studie

"Spontaneous epigenetic variation in the Arabidopsis thaliana methylome", Nature online (doi:10.1038/nature10555).

Die erste umfassende Bestandsaufnahme dieser spontan auftretenden Veränderungen haben nun Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen vorgelegt. Am Beispiel der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), ein Modellorganismus der Botaniker, bestimmten sie, wie häufig und in welchen Bereichen des Genoms epigenetische Modifikationen auftreten - und wie schnell sie wieder verschwinden. Das Hauptergebnis: epigenetische Veränderungen sind zwar um Größenordnungen häufiger als die klassischen Gen-Mutationen, aber dafür oft kurzlebig.

Das Team konzentrierte sich auf eines der wichtigsten epigenetischen Merkmale, die Methylierung der DNA. Dabei werden winzige chemische Bausteine - Methylgruppen - an einzelne Buchstaben der DNA angeheftet, meist an einen Cytosin-Baustein der Erbsubstanz. Die eigentliche Erbinformation, die Buchstabenfolge der DNA, bleibt dabei unangetastet. Dafür ändert sich aber der Aktivierungsstatus der Erbsubstanz an der jeweiligen Stelle der DNA.

Die Forscher untersuchten zehn Linien von Arabidopsis thaliana-Pflanzen, die alle von demselben direkten Vorfahren abstammten und über 30 Generationen hinweg per Selbstbefruchtung gezogen worden waren. Im Genom der letzten Generation suchten die Wissenschaftler dann nach Unterschieden im Methylierungsmuster, die sich im Vergleich zur Ausgangspflanze ergeben hatten.

Häufige Rückmutationen

Das Ergebnis: Zwar war der weitaus größte Teil dieser methylierten Cytosine in allen Pflanzen gleich, aber bei etwa sechs Prozent stießen die Forscher auf Unterschiede: Dort hatte in mindestens einer der Linien eine Veränderung stattgefunden - entweder die Anheftung oder die Abspaltung einer Methylgruppe. Jede Linie wies etwa 30.000 solcher Epimutationen auf. Zum Vergleich: In derselben Zeit hatten sich in keiner Linie mehr als 30 Mutationen in der DNA-Sequenz angehäuft.

Mit 30.000 Epimutationen, die nach 30 Generationen gefunden wurden, hätten die Genetiker daher etwa 1.000 Epimutationen pro Generation erwartet. Ein Vergleich von Eltern und deren direkten Nachkommen ergab jedoch eine drei- bis viermal höhere Epimutationsrate. Offenbar kehrt also die DNA-Methylierung nach einigen Generationen häufig wieder zum Ausgangszustand zurück - speziell dann, wenn daraus kein erheblicher Überlebensvorteil für die Nachkommen entsteht. Der Schluss daraus: Für die langfristige Evolution dürfte die Epigenetik eher unbedeutend sein.

Was die Epigenetik für die Medizin interessant macht, ist die Tatsache, dass manche epigenetischen Veränderungen von äußeren Faktoren ausgelöst werden können. Beim Menschen etwa wird angenommen, dass Einflüsse wie Ernährung oder die Eltern-Kind-Bindung Spuren im Erbgut hinterlassen, die sogar an die Nachkommen weitergegeben werden und deren Gesundheit beeinflussen.

science.ORF.at/APA/MPG

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