Wenzel Strapinski kann ein Lied davon singen: Mit entsprechend eleganter Kleidung wird aus dem einfachen Schneidergesellen schnell ein polnischer Adeliger, und sei es nur, weil die Menschen es so sehen wollen.
Die Geschichte, die Gottfried Keller in seiner Novelle "Kleider machen Leute" erzählt, könnte auch heute noch gelten: Das Äußere der Menschen führt eine Botschaft mit sich, derer wir uns nicht entziehen können, selbst wenn wir uns noch so bemühen. Die soziale Landschaft ist zwar heute ein wenig komplizierter als zu Kellers Zeiten - Rang, Einfluss und Einkommen mögen mitunter subtil versteckt sein in jener sozialen Schale, die Pierre Bourdieu "Habitus" genannt hat. Aber zwischen Verstecken und Verschwinden besteht ein wesentlicher Unterschied.
Systematisch benachteiligt
Nicht verschwunden ist etwa die soziale Benachteiligung der dunkelhäutigen Bevölkerung in den USA. Afroamerikaner verdienen im Schnitt ein Drittel weniger als ihre weißen Landsleute, sie besuchen schlechtere Schulen, erkranken häufiger an Diabetes, Fettsucht und chronischen Leiden und stellen einen überproportionalen Anteil an Inhaftierten in Gefängnissen.
Die Diskrepanz setzt sich auch im etablierten Feld, bei Akademikern, fort: Farbige US-Wissenschaftler schneiden bei Forschungsanträgen deutlich schlechter ab als ihre weißen Kollegen, wie eine Studie zeigt. Die Ursachen sind nicht hinreichend geklärt, latenter Rassismus in der Wissenschaftsgemeinde dürfte jedoch beteiligt sein.
Tests mit "gemorphten" Bildern
Die Studie
"Looking the part: Social status cues shape race perception", PLoS ONE (doi: 10.1371/journal.pone.0025107).
Diese soziale Asymmetrie prägt offenbar die Wahrnehmung, wie nun US-Forscher im Fachblatt "PLoS ONE" berichten. Sie haben zunächst Portraits von weißen und farbigen Amerikanern am Computer verschmolzen und auf diese Weise ein Kontinuum der Hautfarben und Gesichtszüge hergestellt. Diese Bilder legten sie Probanden vor - einmal in Kombination mit Arbeiterkleidung, einmal mit Anzug und Krawatte. Die Probanden mussten die Gesichter als "schwarz" oder "weiß" klassifizieren.

Courtesy Tufts University
Das Resultat: Anzug und Krawatte verschoben das Verhältnis in die "weiße" Richtung, das Arbeiter-Outfit ließ die Gesichter dunkler erscheinen. Das war zu erwarten, die US-Forscher fanden jedoch noch etwas anderes heraus - und zwar durch eine spezielle Tracking-Software, die die Cursorbewegungen der Probanden am Computer aufzeichnete: Selbst diejenigen Probanden, die sich als immun gegen den Kleidungseffekt erwiesen hatten, waren bei ihrer Entscheidungsfindung nicht ganz neutral.
Die Cursorbewegungen zeigten, dass sie spontan ebenfalls dunkle Haut mit niedrigem und weiße Haut mit hohem Status assoziierten. Nur korrigierten sie offenbar - im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern - ihre Intuition durch die Vernunft.
"Rucksack an Stereotypen"
"Die Wahrnehmung ist immer ein Kompromiss zwischen dem, was die Augen sehen, und dem Rucksack an Stereotypen, den wir mit uns schleppen", sagt Jonathan B. Freeman, der Erstautor der Studie.
"Diese Stereotypen sind so mächtig, dass sie unser soziales Erleben systematisch verzerren können." Man darf sich an einen Satz erinnert fühlen, der vor mehr als 150 Jahren formuliert wurde: "Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein."
Robert Czepel, science.ORF.at
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