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Radfahrer auf Kopfsteinpflaster

"Marienthal" bekommt ein Museum

Die Pionierstudie "Die Arbeitslosen von Marienthal" (1933) von Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda und Paul Zeisel gilt als Klassiker der Soziologie. Ab 1. Oktober gibt ein Museum Einblicke in die Lebensrealität der Arbeiterkolonie.

Armut 27.09.2011

"Müde Gesellschaft"

Die Schließung der Textilfabrik Marienthal-Trumauer im Jahr 1930 bedeutete für die Arbeiterkolonie Marienthal eine soziale Katastrophe: Beinahe die gesamte Erwerbsbevölkerung der 2.500 Einwohner zählenden Siedlung im heutigen Gramatneusiedl (Bezirk Wien-Umgebung) wurde arbeitslos. "Hier leben Menschen, die sich daran gewöhnt haben, weniger zu besitzen, weniger zu tun und weniger zu erwarten, als bisher für die Existenz als notwendig angesehen worden ist", schrieben Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel in ihrer Studie.

Link:

"Museum Marienthal", Eröffnung am 1. Oktober, 10.00 Uhr, Gramatneusiedl, Hauptstraße 64;

Den Wiener Sozialwissenschaftlern, die anhand der Siedlung erstmals die Folgen langer Arbeitslosigkeit erhoben, stellte sich Marienthal als "müde Gesellschaft" dar. Materielle Not und psychische Verarmung bestimmten den Alltag der 1.200 Arbeitslosen nach Schließung der Fabrik.

"Heute ist der Ort auf kaum einer Landkarte zu finden", so Reinhard Müller vom Archiv für Geschichte der Soziologie in Österreich (ASGÖ) an der Universität Graz, der das jüngst gegründete Museum in Gramatneusiedl kuratiert. Seit 2004 ist Müller über die Aufarbeitung des Nachlasses von Marie Jahoda auch mit der Geschichte von Marienthal beschäftigt. In den vergangenen Jahren hat er dazu mehrere Publikationen verfasst und über 1.200 Bilddokumente im Gemeindearchiv und Privathaushalten der Region ausgehoben. Seit Jahren bemühte er sich auch, an Ort und Stelle eine Dokumentations-und Informationsstelle einzurichten.

Arbeiterwohnhaus mit Originalmöbeln

"Die Marienthal-Studie beschreibt und analysiert lediglich das Marienthal des Winters 1931/32, also die Zeit nach Schließung der Textilfabrik", schildert Müller im Gespräch mit der APA vor der Eröffnung des "Museum Marienthal" am 1. Oktober.

Das habe dazu geführt, dass Marienthal allgemein mit außerordentlicher Arbeitslosigkeit gleichgesetzt wurde, wenngleich diese "nur" ein halbes Jahrzehnt währte. "Unbeachtet blieben die bemerkenswerte Unternehmer- und hoch entwickelte Arbeiterkultur Marienthals sowie seine Bedeutung als jahrhundertealter Industriestandort im ländlichen Raum", so der wissenschaftliche Leiter des neuen Museums.

In dem originalgetreu rekonstruierten "Consum"-Gebäude der Arbeitersiedlung soll dies alles thematisiert werden. Auf 75 Quadratmetern informieren Texte, Bilder und Filme über die Geschichte der Arbeiterkolonie, den ehemaligen Industriestandort, die Studie und die Zeit nach der Wirtschaftskrise. "Als Ergänzung wird in einem Arbeiterwohnhaus der revitalisierten Arbeitersiedlung eine Wohnung mit Originalmöbeln eingerichtet werden", kündigte Müller an.

science.ORF.at/APA

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