"Ritterliche Insekten"
"Viele Menschen glauben, dass es ritterliches Verhalten nur bei Menschen geben könne, da sie es mit Bildung, Intelligenz und Gefühlen in Zusammenhang bringen", sagt Rolando Rodríguez-Muñoz von der University of Exeter. "Wir zeigen, dass selbst kleine Insekten zu ritterlichem Verhalten imstande sind, die wir weder als intelligent noch als gefühlvoll bezeichnen würden. Vielleicht hat dieses Verhalten andere Gründe als bisher angenommen? Warf Walter Raleigh seinen Mantel auf eine schlammige Pfütze, weil er nur ein netter Typ war? Ich glaube nicht."
Ob die Geschichte von Sir Walter Raleigh und seiner Königin, Queen Elisabeth I., stimmt, ist nicht belegt. Zumindest sagt man dem englischen Seefahrer und Erfinder nach, er habe einst seinen Mantel auf eine Pfütze geworfen, damit Elisabeth I. darüber gehen konnte, ohne sich die Füße nass zu machen.
Und klar, die Geste könnte man natürlich auch als Eigennutz auf Umwegen lesen - so wie das Biologen eben gerne in ihrem Metier tun: Selbstloses Verhalten ("Altruismus") von Tieren entpuppt sich bei näherem Hinsehen mitunter als Erfolgsweg ("Egoismus") durch die Hintertür, und das dürfte auch bei Grillen der Fall sein.
Kooperation statt Konflikt
Die Studie
"Guarding Males Protect Females from Predation in a Wild Insect", Current Biology (doi: 10.1016/j.cub.2011.08.053).
Bei den Grillen jedenfalls dachte man, dass die Bindung der beiden Geschlechter durch die drohende Gefahr des Fremdgehens bestimmt wird. Die Weibchen können sich - zumindest potenziell - mit vielen Männchen paaren, wobei in der Regel jenes Männchen die Eier befruchtet, das als letztes zum Zug kam. Insofern ist es für Insektenmännchen klug, ihre Partnerin nicht aus den Augen zu lassen. Biologen interpretierten das bislang als Konflikt, im Rahmen dessen das Männchen das Weibchen zur Monogamie zwingt, und meinten das auch in Laborversuchen nachgewiesen zu haben.
Doch Rodríguez-Muñoz und seine Mitarbeiter sahen sich die Angelegenheit nun in freier Natur an - und fanden ein ganz anderes Bild vor. Die Forscher statteten eine Grillenpopulation (Gryllus campestris) im Norden Spaniens mit kleinen, per Superkleber applizierten Rückennummern aus und zeichneten den Insektenalltag während zweier Jahre mit Infrarotkameras auf.

University of Exeter
Die Auswertung von 200.000 Stunden Filmmaterial zeigte: Bei den Grillen herrscht Kooperation vor, nicht Konflikt. Weder zwingen die Männchen ihre Partnerinnen zur Treue, noch stellen sie ihren Eigennutz in den Vordergrund. Im Gegenteil: Wenn ein Pärchen vor seinem Heim von einem Vogel bedroht wurde, ließen die Männchen ihren Partnerinnen regelmäßig den Vortritt in den Bau.
"Es sieht so aus, als würden die Männchen tatsächlich warten, bis das Weibchen in der Höhle ist - erst dann bringen sie sich selbst in Sicherheit", sagt Tom Tregenza, einer der Co-Autoren der Studie. "Der Begleitschutz scheint für sie oberste Priorität zu haben."
Strategie zahlt sich aus
Das ließ sich auch statistisch nachweisen: Männchen, die in Paarbeziehungen leben, werden öfter von Vögeln und anderen Feinden gefressen als ihre Single-Artgenossen. Gleichwohl ist das Ganze aus genetischer Sicht kein Verlustgeschäft. Im Schnitt haben erstere dennoch mehr Kinder als letztere - trotz des offenbaren Risikos im Alltag.
Ob sich alle Vertreter der Art ritterlichen Tugenden verschrieben haben, kann Tregenza noch nicht sagen. "Jetzt sehen wir einmal nach, ob sich das Verhalten auch in zukünftigen Generationen erhält. Vielleicht agieren die Männchen in späteren Jahren wieder egoistischer."
Robert Czepel, science.ORF.at
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