Standort: science.ORF.at / Meldung: "Verstehen braucht mehr als Worte"

Frauentorso, im Vordergrund zwei gestikuliernde Hände auf einem Tisch

Verstehen braucht mehr als Worte

Miteinander reden ist mittlerweile nur noch eine von vielen Kommunikationsformen. Heute telefonieren bzw. skypen wir, wir mailen, chatten, simsen oder twittern. Damit ist der Austausch zwar vielfältiger, aber nicht unbedingt besser geworden. Denn das Verständnis kann beim körperlosen Austausch mitunter auf der Strecke bleiben.

Kommunikation 13.10.2011

Zwei aktuelle Studien betonen die wichtige Rolle des körperlichen Kontextes, beim Begreifen von Inhalten sowie bei der Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken.

Breites Ausdrucksrepertoire

Sich mitteilen und einander zu verstehen, ist das Kernziel jeglicher zwischenmenschlichen Kommunikation. Im klassischen Gespräch stehen einem dafür eine ganze Reihe von Mitteln zur Verfügung. Die Sprache ist zwar zentral, aber eben nur eines von vielen. Dazu kommen etwa der Klang der Stimme, die Mimik, die Körperhaltung und die Gestik. Neben diesen individuellen nonverbalen Kanälen kommen noch das äußere Erscheinungsbild - sprich Kleider machen Leute - und kulturell gefärbte Signale hinzu. Frühere Untersuchungen haben etwa ergeben, dass die Interpretation positiver, negativer oder neutraler Aussagen nur zu sieben Prozent von den Worten abhängt.

Bekanntermaßen bleibt die direkte Interaktion - trotz der vielen Mitteilungskanäle - fehleranfällig. Dass die Missverständnisse nur zunehmen können, je kleiner unser Repertoire wird, liegt nahe. Vermutlich hat das schon jeder selbst erlebt, der z.B. versucht hat, ein zwischenmenschliches Problem per E-Mail zu lösen.

Sprechende Bewegungen

Wie sich der Einsatz von Gesten auf das Gelingen der Kommunikation auswirkt, haben die Forscher um Trevor J. Dodds vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen nun untersucht. Diese nonverbalen Signale sind, wie man weiß, nicht nur für das Verständnis der Zuhörer wichtig, sie helfen auch dem Sprecher, unter anderem beim Lernen und Memorieren. Bei Kindern wirkt sich ein großer Gestenschatz vorteilhaft auf die Entwicklung des Wortschatzes aus.

Getestet haben die Forscher die Wirkung der Gestik in einem Virtual Reality(VR)-Setting. Die Teilnehmer spielten paarweise ein Kommunikationsspiel, bei welchem jeweils einer einen Begriff zu erklären hatte, den der andere dann erraten sollte. Die Interaktion zwischen den beiden fand allerdings mittels Avataren im virtuellen Raum statt. Bei einer Versuchsreihe waren diese künstlichen Stellvertreter relativ statisch und verwendeten lediglich zuvor programmierte Gesten. Den Probanden blieb also nichts anderes übrig, als den Begriff vor allem mit Worten zu erklären.

Männlicher und weiblicher Avatar stehen sich gegenüber

Dodds TJ, Mohler BJ, Bu¨ lthoff HH (2011), PLoS ONE

Zwei der Avatare im VR-Spiel stehen sich gegenüber.

In dem anderen Setting durften die Teilnehmer in einen VR-Anzug schlüpfen und den Avatar damit bewegen. Die spielerische Leistung war laut den Forschern deutlich besser, wenn sowohl Sprecher als auch Zuhörer zwar virtuell, aber immerhin selbst gestikulieren konnten. Der verbale und nonverbale Kommunikationsfluss verlief dabei in einer koordinierten, fast synchronisierten Form. Besonders wichtig für den Erfolg sei die Körpersprache des Zuhörers gewesen, das unterstreiche die Bedeutung von nonverbalem Feedback.

Die Gültigkeit der VR-Resultate haben den Forschern zufolge natürlich ihre Grenzen, denn Menschen bewegen sich dort deutlich weniger als im echten Leben. Auch die von der realen Erfahrung abweichende Perspektive - aus der Sicht eines Dritten - könnte das Ergebnis beeinflussen. Nichtsdestotrotz mache die Studie deutlich, wie zentral Gesten für die zwischenmenschliche Verständigung sind. Das sollte man laut den Forschern auch bei der Entwicklung von VR-Trainings für manche Berufe berücksichtigen.

Auch Mimik braucht Kontext

Die Studie in "Current Directions in Psychological Science":

"Context in Emotion Perception" von Lisa Feldman Barrett et al.

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema "Kulturen des Lesens und Schreibens aus sozialer Perspektive" widmet sich auch ein Beitrag im Dimensionen Magazin, 7.10., 19:05 Uhr.

Mit einem anderen Aspekt der zwischenmenschlichen Interaktion hat sich Lisa Feldman Barrett in einer aktuellen Metastudie beschäftigt, nämlich mit der Interpretation menschlicher Gesichtsausdrücke. Hunderte Studien zum Thema hat die Forscherin gesichtet und kommt zum Schluss: Ohne Kontext können wir nicht erkennen, ob sich jemand gerade vor Lachen krümmt oder das Gesicht im Schmerz verzerrt. Ein Ausschnitt reicht meist nicht aus.

Als Beispiel nennt Barrett das Gesicht der Tennisspielerin Serena Williams nach ihrem Sieg über ihre Schwester Venus im Jahr 2008. Sieht man ihr Antlitz nur in Nahaufnahme, könnte man denken, sie leide an Schmerzen oder sei zornig. Erst wenn man den Rest des Fotos sieht, wird klar, dass sie sich gerade im totalen Siegestaumel befindet.

In den letzten Jahren hat sich der Forscherin zufolge die Meinung durchgesetzt, dass es ein fixes Inventar emotionaler Gesichtsausdrücke gibt, die noch dazu teilweise universell sein soll. Gefühle wie Trauer, Freude, Ärger, etc. sollen anhand dieser eindeutig identifizierbar sein. Ihre Analyse der neueren Studien zeige aber, dass das Erkennen von Emotionen meist mehr als den Gesichtsausdruck braucht: unter anderem Sprache oder Körperhaltung.

Gesichtsausdrücke sind aber dennoch ein wichtiges kommunikatives Signal, denn auch die Mimik hilft dem allgemeinen Verständnis, wie die Tübinger Max-Planck-Forscher bereits vor zwei Jahren herausgefunden haben. Die besten Chancen auf einen gelungenen zwischenmenschlichen Austausch hat man - wie es aussieht - also immer noch von Angesicht zu Angesicht.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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