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Bakteriophage

Forscher spielen Virus-Lego

US-Physiker haben Viren zu "gefrorenen" Flüssigkristallen zusammengefügt. Erste Versuche zeigen: Die künstlich hergestellten Materialien ähneln natürlichen Geweben - Hornhaut und Zahnschmelz etwa.

Bio-Material 20.10.2011

Man kann es als Lego-Strategie bezeichnen, was Seung-Wuk Lee und seine Mitarbeiter nun im Fachblatt "Nature" präsentiert haben: Durch die freie Kombination identer Bausteinen lassen sich die unterschiedlichsten Dinge herstellen, im Kinderzimmer ebenso wie im Labor.

Der Physiker von der University of Califorina, Berkeley, wählte für seine Versuche den stäbchenförmigen Bakteriophagen M13 aus. M13 ist ein Virus, das Bakterien befällt. Für Menschen ist es ungefährlich - wohl einer der Gründe, weswegen es Wissenschaftler häufig für Versuche im Labor benutzen.

Studien

"Biomimetic self-templating supramolecular structures", Nature (Bd. 478, S. 364).

"Do liquid crystal-like flow processes occur in the supramolecular assembly of biological tissues?", Journal of Non-Newtonian Fluid Mechanics (Bd. 119, S. 155).

Lees Interesse an dem Phagen wurde durch eine besondere Eigenschaft geweckt: Er ordnet sich nämlich unter geeigneten Bedingungen mit seinesgleichen in Reih und Glied an, "Self Assembly" nennen Physiker diese spontane Neigung zur Ordnung auf Molekülniveau. Lee und seine Mitarbeiter tauchten eine Glasfläche in eine Lösung mit M13-Molekülen.

Lee bezeichnet letztere, Forscherwitz, als "Ramen", eine japanische Nudelsuppe also - wer es mit der fernöstlichen Küche nicht so hat, stelle sich zur Veranschaulichung eben eine Frittatensuppe vor. Die M13-Nudeln (respektive Frittaten) jedenfalls hefteten sich im Kontaktbereich zwischen Luft und Wasser an das Glas an, bildeten durch Kapillarkräfte kristalline Teppiche und ließen sich nach Verdunsten des Wassers relativ einfach ernten.

"Von der Natur inspiriert"

Grafische Darstellung des Versuchsprinzips

Zina Deretsky, National Science Foundation

Aus einem mache vieles - hier die Grafik in höherer Auflösung.

Je nach Konzentration und Anordnung der gelösten Moleküle hatten die solcherart hergestellten Schichten sehr unterschiedliche Eigenschaften, obwohl sie alle aus den gleichen Zutaten bestehen. "Wir haben uns von der Natur inspirieren lassen", sagt Lee. "Mit unserer Technik können wir verschiedene natürliche Makromoleküle imitieren, etwa Kollagen, Chitin und Zellulose."

Vor allem das Kollagen hat es den Forschern angetan, das Protein ist nämlich ein Multifunktionsmolekül, der Alleskönner in den Körpern von Tier und Mensch: Die strahlend blaue Gesichtszeichnung des Mandrills etwa entsteht nicht durch Pigmente, sondern durch die Streuung des Lichtes an dünnen Kollagenfasern; in Kombination mit Kalzium bildet das Kollagen Knochen und Zahnschmelz; und in rechtwinkeligen Netzen angeordnet wird das Kollagen sogar transparent - die Hornhaut des Auges ist nach diesem Prinzip gebaut.

Kollagen selbst ist für entsprechende Laborversuche nicht geeignet, sagt Lee, aber mit den M13-Phagen lasse sich etwas ganz ähnliches machen.

Künstlicher Zahnschmelz

Die US-Physiker stellten Materialien her, die orangefarbiges oder blaues Licht reflektierten (Modell Mandrill); sie ließen Zellen mit Kalzium und Phosphor auf den M13-Schichten wachsen und erhielten ein festes, widerstandsfähiges Material (Modell Zahnschmelz); und sie stellten auch transparente Molekülschichten her (Modell Hornhaut).

Ob sich daraus einmal Ersatzgewebe anfertigen lassen werden, ist noch nicht klar. Mögliche Anwendungen könnten auch im technischen Bereich liegen, etwa bei optischen Filtern und Sensoren. Die M13-Lösungen gehören Lee zufolge jedenfalls zu den Flüssigkristallen, sind also - nach physikalischen Kriterien - weitschichtig mit den LCDs von Taschenrechnern und Digitaluhren verwandt.

Im Jahr 2004 vermutete der US-Physiker Stephen Cowin, dass viele Gewebe im menschlichen Körper ganz ähnliche Eigenschaften besitzen würden und im Grunde nichts anderes als verfestigte Flüssigkristalle seien. Lees Versuche scheinen ihm nun recht zu geben.

Robert Czepel, science.ORF.at

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