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Gähnender Löwe

Des Königs Brüllgeheimnis

US-Forscher haben herausgefunden, warum Großkatzen über eine so beeindruckende Bassstimme verfügen: Die viereckige Form der Stimmfalten gibt ihrem Gebrüll Wucht und Tiefe.

Bass-Effekt 03.11.2011

"Klingt wie ein Baby"

Wenn Tiger und Löwen brüllen, sagt Ingo Titze, "dann klingt das so ähnlich, wie wenn ein Baby schreit." Ob der "Vocal Scientist" von der University of Utah selbst Kinder hat, ist nicht bekannt. In Sachen Akustik jedenfalls kennt sich der studierte Physiker aus: "Wenn Babys schreien, entstehen keine schönen Töne. Der Klang ist rau, die Schwingungen sind unregelmäßig."

Das Gleiche trifft laut Tietze auch auf das Gebrüll von Großkatzen zu, wenngleich Letztere bekanntlich in einer etwas tieferen Tonlage zu Hause sind. Und in beiden Fällen hat die tonale Rauheit wohl auch eine Signalfunktion, sie erregt Aufmerksamkeit: "Babys schreien, damit jemand kommt und sich um sie kümmert. Der Löwe will das Gegenteil. Er sagt: 'Das ist mein Territorium. Hau ab!'"

Die Form entscheidet

Die Studie

"Adapted to Roar: Functional Morphology of Tiger and Lion Vocal Folds", PLoS One (doi: 10.1371/journal.pone.0027029)

Wer sich den Bass von Tiger und Löwe schon einmal im Tiergarten zu Gemüte geführt hat, weiß: In Sachen Lautstärke sind die großen Katzen annährend konkurrenzlos. Titze hat nun den Stimmapparat der beiden Arten analysiert - und räumt mit einer bisher verbreiteten Theorie auf. Früher meinte man nämlich, der durchdringende Klang des Katzengebrülls entstünde durch in den Stimmfalten eingelagertes Fett.

Dass die Katzen über einen derart lauten und tiefen Bass verfügen würden, liegt laut Titze weder an der Größe des Stimmapparates noch am darin eigelagerten Fett. Entscheidend sei vielmehr die Form. Die Stimmfalten von Tiger und Löwe seien im Gegensatz zu den meisten Tierarten nicht drei-, sondern viereckig, schreibt Titze nun im Fachblatt "PLoS One". Und sie seien überdies besonders widerstandsfähig gegenüber Dehnungs- und Scherkräften, das Fett indes habe nur Schutzfunktion.

Oper, Schule und Kaserne

Ö1-Sendungshinweis

Über diese Studie berichtete auch "Wissen aktuell": Do., 3.11.2011, 13.55 Uhr

Titze hat ähnliche Studien schon an anderen Tierarten durchgeführt, er weiß auch, wie Elche, Hirsche, Hunde und Hauskatzen zu ihren stimmlichen Eigenheiten kommen. Und das habe, sagt er, durchaus praktische Aspekte. "Wenn man weiß, wie die Stimmfalten aufgebaut sind und welche Effekte deren Form auf die Stimme hat, dann kann das auch Medizinern helfen, verletztes Stimmgewebe wiederherzustellen."

Titzes Hinweis auf mögliche Verwertungen im Alltag gehört wohl zum üblichen Mantra von Forschern, die regelmäßig Fördergelder einwerben müssen. So gesehen ist es nur folgerichtig, dass Titze auf Krebspatienten, Sänger und Lehrer als mögliche Profiteure seiner Stimmbanderkenntnisse hinweist, sei das nun realistisch oder nicht. Etwas ungewöhnlicher ist sein Hinweis auf, wie der Angelsachse sagt, "Drill Seargents".

Dabei handelt es sich um, und hier dürfte das Hollywood-Klischee einen gewissen Realismus besitzen, jene leicht aufbrausenden Zeitgenossen, die Rekruten militärische Schneidigkeit mit Hilfe einer hohen Dosis Dezibel zu vermitteln versuchen. Nicht auszudenken, was in den Kasernen los wäre, wenn Chirurgen deren Stimmfalten viereckig rekonstruieren würden.

Robert Czepel, science.ORF.at

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