Standort: science.ORF.at / Meldung: "Katalysatoren des Neuen "

Heinz von Foerster, Archivbild

Katalysatoren des Neuen

Am 13. November würde Heinz von Foerster, der Pionier des kybernetischen Konstruktivismus, 100 Jahre alt. Der österreichische Philosoph Karl H. Müller sucht in einem Gastbeitrag nach den Ursachen kreativer Höhenflüge, wie sie von Foerster und seinen Kollegen gelangen.

Heinz von Foerster 09.11.2011

Müllers Resümee: Das Biological Computer Laboratory, an dem von Foerster tätig war, hatte die richtige Struktur und Größe. Es war überschaubar, besaß eine flache Hierarchie - und seine Mitarbeiter agierten ohne disziplinäre Schrebergartenmentalität.

Heinz von Foerster zum hundertsten Geburtstag

Von Karl H. Müller

Der Autor

Karl H. Müller ist Leiter des Wiener Instituts WISDOM, Präsident der Heinz von Foerster-Gesellschaft und Autor wie Mitherausgeber mehrerer neuer Bücher zu Heinz von Foerster und der Kybernetik zweiter Ordnung.

Dazu zählen: Heinz von Foerster, Albert Müller, Karl H. Müller (2011), Radikaler Konstruktivismus aus Wien. Eine kurze Geschichte vom Entstehen und vom Ende eines Wiener Denkstils. (Enzyklopädie des Wiener Wissens) Weitra:Bibliothek der Provinz; Karl H. Müller (2011), The New Science of Cybernetics. The Evolution of Living Research Designs, vol. I: Methodology, zweite Auflage. Wien:edition echoraum; Karl H. Müller (2011), The New Science of Cybernetics. The Evolution of Living Research Designs, vol. II: Theory. Wien:edition echoraum; „Re-Discovering and Re-Inventing Heinz von Foerster“ (herausgegeben von Albert Müller und Karl H. Müller). Sonderausgabe der Zeitschrift Cybernetics and Human Knowing 3-4 (vol. XVIII), 2011.

Heinz von Foerster entstammt einem kulturell stark verbundenen Elternhaus in Wien, das zudem in einer langen Tradition von Architekten des großstädtischen Wien des 19. Jahrhunderts steht. Schon in der frühen Jugend- und Studienzeit zeigt sich Heinz von Foerster fasziniert von Ludwig Wittgenstein, der ein Bekannter seiner Eltern ist, sowie von den Vortragsaktivitäten des Wiener Kreises.

Nach einer wechselvollen frühen beruflichen Tätigkeit in Köln, Berlin oder Wien publiziert Heinz von Foerster 1948 in Wien als Redakteur für den Sender Radio Rot Weiß Rot ein kleines Buch mit dem Titel „Das Gedächtnis. Eine quantenphysikalische Untersuchung“, das er dazu benützt, Verbindungen mit einem der damals führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Kognitionsforschung in den Vereinigten Staaten herzustellen, nämlich mit Warren McCulloch, der auch für die Organisation der Macy-Konferenzen verantwortlich ist, einem frühen und sehr folgereichen transdisziplinären Diskussionskreis aus den 1940er und frühen 1950er Jahren mit Norbert Wiener, Gregory Bateson, Margaret Mead, John von Neumann und vielen anderen.

Kybernetik zweiter Ordnung

In schneller Folge gelingt es Heinz von Foerster, zum Sekretär der Macy-Konferenzen wie auch zum Direktor an einem elektronischen Labor im Rahmen des Department für Electrical Engineering an der Universität von Illinois in Urbana zu avancieren.

HvF-Kongress

Der diesjährige Heinz von Foerster-Kongress beginnt am 10. November mit einem Vortrag von Siegfried J. Schmidt im Rahmen der Wiener Vorlesungen und findet zwischen dem 11. und dem 13. November in den beiden Festsälen der Universität Wien seine Fortsetzung.

1958 gründet Heinz von Foerster in Urbana dann sein Biological Computer Laboratory (BCL), das an der Schnittstelle von Kognitionsforschung, Computerwissenschaften und Neurowissenschaften angesiedelt ist und in dem eine Reihe an Pionierarbeiten und Prototypen im Bereich Wahrnehmung, Akustik, Gedächtnis, neuronale Netze, Erkenntnistheorie oder Selbstorganisation vorangetrieben werden.

Gegen Ende der 1960er Jahre stehen diese BCL-Arbeiten zunehmend im Zeichen einer von Heinz von Foerster so benannten Kybernetik zweiter Ordnung, die er als radikale neue Form einer Wissenschaft über lebende Systemen von lebenden Systemen für lebende Systeme tituliert, in denen Begriffe wie Beobachter und Selbstreferenz eine zentrale Position einnehmen.

Wie entstehen Innovationen?

Ö1-Sendungshinweis

Zum Heinz von Foersters 100. Geburtstag sendet Ö1 im November folgende Beiträge:

SALZBURGER NACHTSTUDIO, 9. 11., 21.00 Uhr
"Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen". Zum 100. Geburtstag des radikalen Konstruktivisten Heinz von Foerster.

MATRIX, 12. 11., 22.30 Uhr
Systeme beobachten oder verstehen zu verstehen. Heinz von Foerster zum 100. Geburtstag.

RADIOKOLLEG, 14. – 17. 11., 9. 30 Uhr
Der Zauber der Zirkularität. Heinz von Foerster und die Kybernetik .

DIMENSIONEN, 17. 11., 19. 05 Uhr
Systeme ohne Steuermann - von Organismen und Finanzmärkten. Eine Sendung zum Heinz-von-Foerster-Symposion 2011.

Nach seiner Emeritierung von der University of Illinois im Jahre 1976 beginnt für Heinz von Foerster eine dritte Karriere, die ihn als viel beschäftigten Visionär und Redner im Rahmen einer Forschungstradition sieht, die seit den 1980er Jahren im deutschsprachigen Raum als Radikaler Konstruktivismus generell bekannt wird.

Mit zahlreichen Publikationen und Vorträgen zum Thema seiner Kybernetik zweiter Ordnung trägt Heinz von Foerster – zusammen mit Ernst von Glasersfeld, Niklas Luhmann, Humberto R. Maturana oder Francisco J. Varela - entscheidend dazu bei, den Radikalen Konstruktivismus als ein weithin diskutiertes Objekt der obskuren Begierde oder der grundlosen Ablehnung zu betrachten.

Diese kurze Übersicht zu Heinz von Foerster soll aber nicht nur aus Gründen der Reminiszenz oder eines besonderen Datums unternommen werden. Gerade gegenwärtig lautet wissenschaftspolitisch eine zentrale Frage danach, warum es wissenschaftlichen Instituten – konkret: Heinz von Foerster mit seinem BCL – gelingen kann, radikale wissenschaftliche Durchbrüche und Innovationen zu erreichen – und beispielsbezogen wurden ja am BCL zwischen 1958 und 1976 die Grundlagen der Kognitionswissenschaften wie der Kybernetik auf eine höchst originelle Art neu vermessen.

Wenn man nicht dem Dogma von der unbefleckt-kontingenten Ideenempfängnis oder dem Geniekult huldigt, dann stellt sich immerhin das Problem, was Institute vom Typ des BCL zu hoch innovativen Resultaten und Forschungsleistungen befähigt und beflügelt hat.

* Siehe hierzu: J. Rogers Hollingsworth, Ellen Jane Hollingsworth (2011), Major Discoveries, Creativity and the Dynamics of Science. Wien:edition echoraum

Und zur Beantwortung dieser Frage können zudem neuere empirische Organisationsstudien herangezogen werden, die sich auf die Bereiche Biologie und Medizin im 20. Jahrhundert konzentrieren und darüber hinaus ein sehr homogenes Ergebnisprofil zeigen.*

Fokus und Vielfalt

Der erste Teil der Antwort liegt darin, dass sich das BCL inter- oder transdisziplinär an den Schnittstellen von Kognitionswissenschaften, Biologie und Computertechnologien angesiedelt und nicht im disziplinären Fächerkanon als Bindestrich-Domäne verankert hat. Und obwohl das BCL mit seinen durchschnittlich zwanzig MitarbeiterInnen zu den kleineren Instituten gehört, schaffen es einzelne Mitglieder, fehlende große Quantitäten durch eine jeweils eigene feine Vielfalt zu kompensieren.

Neben dem Universalisten Heinz von Foerster wirkten am BCL eine Reihe von Bürgern mehrerer Disziplinwelten wie W. Ross Ashby im Grenzbereich von Kybernetik, Neurologie und Informationstheorie, Humberto R. Maturana an der Schnittstelle von Physiologie, Biologie und Erkenntnistheorie, Lars Löfgren im Bereich von Logik, Sprachforschung und Komplexitätstheorie oder Gotthard Günther im Grenzgebiet von Logik, Erkenntnistheorie und Computerwissenschaften. Diese mittlere disziplinäre Vielfalt, fokussiert auf ein neues Thema, kann als erste gewichtige Voraussetzung für einen hohen Grad an Forschungsinnovationen betrachtet werden.

Enge Zusammenarbeit

Das wahrscheinlich zentrale Moment in der BCL-Forschungsorganisation – wie auch in anderen sehr innovativen Einrichtungen – lag aber im hohen Grad an sozialer und kognitiver Integration, der das BCL zusammenhielt. Rückblickend wird man bei Heinz von Foerster eine große Vision für computergestützte Kognitionsprozesse in lebenden Systemen feststellen können, welche die einzelnen BCL-Projekte verband und aufeinander verwies.

Zu diesem hohen Ausmaß an kognitiver Integration passt weiters in sozial-organisatorischer Sicht, dass sich das BCL schon wegen seiner relativen Kleinheit durch extrem flache Hierarchien, geringe Differenzierung, ein Minimum an Bürokratisierung wie Standardisierung und durch ein hohes Ausmaß an sozialer Integration auszeichnete – alles Voraussetzungen, die ebenfalls für die organisatorische Struktur wissenschaftlicher Revolutionen unabdingbar sind.

Big science, small science

Das seinerzeitige BCL vermag durchaus als spezielles Beispiel für ein viel allgemeineres Phänomen zu stehen, nämlich für die relativen innovativen Vorteile organisatorischer Kleinheit. So fanden die großen wissenschaftlichen Durchbrüche in der Medizin, der Biologie und der Biochemie in den Vereinigten Staaten unter Ausschluss der meisten großen Forschungsuniversitäten in Michigan, Minnesota, Johns Hopkins, Pennsylvania oder Wisconsin statt.

Mehr als zwei Drittel aller substantiellen wissenschaftlicher Neuerungen gehen in den Vereinigten Staaten auf zwei relativ kleine Forschungseinheiten zurück, nämlich auf die Rockefeller University in New York mit derzeit rund 70 Laboratorien und auf das California Institute of Technology (Caltech) mit seinen 294 ProfessorInnen und etwas mehr als 2100 StudentInnen.

Mit dem hundertsten Geburtstag Heinz von Foersters kann jedenfalls nicht nur ein Stück nostalgischer Wissenschaftsgeschichte geschrieben, sondern vor allem die Weite, die Tiefe und die Radikalität der damaligen Arbeiten wieder in Erinnerung gerufen und das BCL von seiner Forschungsorganisation her als ein Musterbeispiel einer hoch innovativen Forschungsorganisation gewürdigt werden.

Mehr zu diesem Thema: