Mit Übersetzungen ist das so eine Sache. Als "geisterhafte Fernwirkung" hat Albert Einstein die Quantenverschränkung einmal bezeichnet. Im Englischen wurde "spooky action at a distance" daraus. Und weil sich später niemand mehr an das deutsche Originalzitat erinnern konnte, wurde es wieder rückübersetzt - und geistert nun als "spukhafte Fernwirkung" in deutschen Texten herum.
Einstein jedenfalls, zunächst Pionier der Quantentheorie und später einer ihrer heftigsten Kritiker, wies mit seinem Sager auf ein Problem hin: Verschränkte Teilchen (Photonen etwa) sind durch ein unsichtbares Band verbunden, theoretisch könnte man dieses Band so lang wie das Universum machen, die Theorie schreibt da kein Limit vor. Die Verbindung bewirkt, dass die Messung (etwa des Spins) an einem Teilchen ohne Verzögerung auch das Messergebnis des anderen herstellt, egal, wie weit es weg ist.
Und, verrückter noch: Man kann sogar den Spin des einen Teilchens manipulieren und das andere Teilchen marschiert, wie von Geister- respektive Spukhand bewegt, einfach mit. Mit dem klassischen Konzept von Ursache und Wirkung sind solche Quantenzaubereien nicht unter einen Hut zu bringen. Und weil die Physiker ansonsten mit der Kausalität sehr gut gefahren sind, müssen sie verschränkte Quanten nolens volens als ein Ganzes ansehen - und das Unteilbare als trübe Ursuppe des Kausalen.
Kurzlebige "Telepathie"
Die Studie
"Entangling Macroscopic Diamonds at Room Temperature", Science (Bd. 334, S. 1253, doi: 10.1126/science.1211914).
Für Einstein, im Herzen noch Klassiker, war das offenbar schwer zu akzeptieren. Die junge Physikergeneration indes ist da deutlich pragmatischer und verlegt sich auf die experimentelle Ausreizung des Prinzips. Einen neuen Rekord vermelden nun Forscher um Ian Walmsley von der University of Oxford. Sie haben zwei Diamanten verschränkt, wohlgemerkt solche, die mit freiem Auge sichtbar sind.
In diesem Fall kommt es tatsächlich auf die Größe an: Bei Photonen ist die Angelegenheit relativ einfach, bei Diamanten mit einem Durchmesser von rund einem Millimeter ist sie, gelinde gesagt, kompliziert. Denn je größer ein Objekt ist, desto mehr Möglichkeiten haben seine atomaren Einzelteile, sowohl miteinander als auch mit der Umwelt in Wechselwirkung zu treten.
Und diese Wechselwirkung, erzählen Physiker, zerstöre die Verschränkung und stelle das Prinzip von lokaler Ursache und Wirkung wieder her. "Dekohärenz" nennen sie den unaufhaltbaren Zerfallsprozess, der dafür sorgt, dass die "telepathischen Mittel" (wieder Einstein) auf den Mikrokosmos beschränkt bleiben.
Von der Quanten- in die Makrowelt

Science/AAAS
Wie Walmsley und Co. in ihrer Studie schreiben, kann man die Dekohärenz immerhin vorübergehend aushebeln und so Quanteneffekte in der "richtigen" Welt, bei Alltagsgegenständen, beobachten. Im konkreten Fall blieb die Verschränkung ungefähr sieben Pikosekunden (Millionstel Millionstel Sekunden) aufrecht. Das ist kurz, betrifft jedoch im Gegenzug entsprechend viele Atome: Die britischen Physiker ließen die Diamanten in ihren Versuchen gekoppelt vibrieren, an diesen Schwingungen waren 10 hoch 16 (10 Millionen Milliarden) Atome beteiligt.
Ö1-Sendungshinweis
Über diese Studie berichtet auch "Wissen aktuell", Fr., 2.12.2011, 13:55 Uhr.
Um den nur sieben pikosekündigen Gleichschritt der Diamanten herstellen und nachweisen zu können, bedurfte es freilich noch schneller getakteter Signale. Ian Walmsley, Chef der "Ultrafast Quantum Optics Group" an der Oxforder Universität, hat derlei Werkezeuge in Form ultraschneller Laserpulse zur Hand.
Das von ihm verwendete Versuchsschema heißt im Fachdeutsch übrigens "DLCZ-Protokoll", benannt nach den vier Physikern Duan, Lukin, Cirac und Zoller. Letzterer, der Österreicher Peter Zoller, forscht seit Jahren an der Schnittstelle von Quantenoptik und Quanteninformation, gilt als einer der theoretischen Vordenker des Faches und hat mittlerweile so ziemlich alle Auszeichnungen abgeräumt, die in diesem Bereich zu kriegen sind.
Als da wären: Blaise-Pascal-Medaille, Benjamin-Franklin-Medaille, Dirac-Preis, Max-Planck-Medaille, Humboldt-Forschungspreis etc. etc. Nur der Nobelpreis war noch nicht dabei. Sollte das schwedische Preiskomitee die Quanteninformation dereinst als auszeichnungswürdiges Fach erachten, Zoller wäre allemal für eine Wette gut.
Robert Czepel, science.ORF.at
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