Für das Kurzzeitgedächtnis sei das Kauen abträglich, heißt es etwa in einer weiteren aktuellen Studie. Generell gilt aber der Titel eines bereits sieben Jahre alten wissenschaftlichen Kommentars zu dem Thema: Kaugummi ist "a case of a functional food with function but no food".
Die Studien:
- "Cognitive advantages of chewing gum. Now you see them, now you don't" von Serge V. Onyper und Kollegen in "Appetite"
- "Effects of chewing gum on cognitive function, mood and physiology in stressed and non-stressed volunteers" von Andrew Smith in "Nutritional Neuroscience"
- "The effect of chewing gum on physiological and self-rated measures of alertness and daytime sleepiness" von Andrew J. Johnson und Kollegen in " Physiology & Behavior"
- "Gummed-Up Memory: Chewing Gum Impairs Short-Term Recall" von Michail Kozlov und Kollegen in "The Quarterly Journal of Experimental Psychology"
- Kommentar: "Chewing gum and cognitive performance: a case of a functional food with function but no food?" von A. Scholey in "Appetite"
Kein Randthema
Wer glaubt, dass es sich beim Kaugummi um ein Randthema der Medizin und Physiologie handelt, irrt. Die Artikeldatenbank PubMed findet 605 Studien, die "chewing gum" im Titel tragen, alleine heuer wurden 31 veröffentlicht. Zwar geht es dabei oft um seine Rolle bei Gewichtsabnahme, Zahnbehandlung oder Raucherentwöhnung, aber gar nicht selten werden auch seine leistungssteigernden Eigenschaften untersucht.
Serge Onyper von der St. Lawrence University und sein Team etwa haben soeben eine veröffentlicht, bei der der Einfluss von Kaugummi auf kognitive Funktionen im Mittelpunkt stand. Den rund 160 Teilnehmern der Studie wurde eine Reihe schwieriger Aufgaben gestellt, wie z.B. zufällig ausgewählte Zahlen in verkehrter Reihenfolge zu wiederholen oder logische Puzzles zu lösen.
Wacher, aufmerksamer, besser fokussiert
Die Hälfte der Probanden hatte dabei Kaugummi zu kauen, die andere nicht. In fünf von sechs Aufgabenkategorien übertrafen die ersteren die Nichtkauer deutlich; allerdings: Das galt nur, wenn sie den Kaugummi fünf Minuten vor dem Test ausspuckten und währenddessen nicht mehr kauten. Wer während des Problemlösens weiterkaute, konnte seine Resultate nicht verbessern.
Zudem hielt der Effekt auch nicht lange an: Maximal 15 bis 20 Minuten lang dauerte die mentale Leistungssteigerung, danach waren alle Studienteilnehmer bei den Tests wieder gleich gut.
Wiewohl sie keine exakte Erklärung für ihre Resultate haben, formulieren die Forscher um Onyper zumindest einige Thesen. Prinzipiell habe die Leistungssteigerung nichts mit Zucker im Kaugummi zu tun, denn die Unterschiede blieben auch bei zuckerfreien Kaugummis bestehen. Viel eher sei ein "Erregungszustand, der auf dem Kauen beruht" dafür verantwortlich. Mit anderen Worten: Wer Kaugummi kaut, ist wacher, aufmerksamer und besser auf eine Aufgabe fokussiert.
Weniger tagesmüde
Das passt zu einer anderen, soeben veröffentlichten Studie, derzufolge Kaugummikauen gegen Müdigkeit helfen kann. Der Psychologe Andrew Johnson und Kollegen haben dabei die sogenannte Tagesschläfrigkeit untersucht. Sie haben dafür Probanden tagsüber künstlich ermüdet, indem sie sie elf Minuten in einem verdunkelten Laborraum verbringen ließen.
Danach werteten sie ein subjektives und objektives Maß ihrer Müdigkeit aus: zum einen Eigeneinschätzungen, wie sie sich gerade fühlten, zum anderen die Oszillation ihrer Pupillen. An insgesamt drei Tagen wurde das Prozedere durchgeführt, am ersten Tag kauten die Studienteilnehmer während der Zeit in der Dunkelheit einen Kaugummi mit Minzgeschmack, am zweiten nicht, am dritten kauten sie ohne Gummi im Mund.
Es zeigte sich, dass nur das echte Kaugummikauen gegen die Ermüdung half. Auch Andrews machten für diese Wirkung einen "Erregungseffekt" verantwortlich, der die Hirnaktivität erhöht und die Studienteilnehmer in einen wacheren und aufmerksameren Zustand versetzt hat.
Besser in Stresssituationen
Bei einer dritten, schon 2010 publizierten Studie bekamen 133 Teilnehmer Kaugummis mit zufällig verteilten Geschmacksrichtungen zu kauen. Andrew Smith von der Universität Cardiff wollte wissen, wie dies in Zusammenhang mit der Bewältigung von Stress steht.
Ausgelöst wurde der Stress im Labor durch künstlich erzeugten Lärm: Die Hälfte der Probanden musste bei Hintergrundgeräuschen von rund 75 Dezibel eine Reihe von Erinnerungs- und Aufmerksamkeitsaufgaben bewältigen, die anderen Hälfte in Stille. In beiden Gruppen gab es sowohl Kaugummikauer als auch Kaugummiabstinente.
Das Resultat: Die Kauer waren aufmerksamer und nach Eigenaussage allgemein in besserer Stimmung. Ihre Reaktionszeiten waren deutlich schneller als die der anderen, und zwar umso mehr, je schwieriger die Aufgabenstellung war. Dazu passten gemessene Körperwerte: Ihr Herzschlag war erhöht und in ihrem Speichel zeigten sich größere Mengen Cortisol, ein Stresshormon, das auch als Indikator für Aufmerksamkeit gilt. Allerdings: Im Gegensatz zu anderen Studien erhöht Kaugummikauen laut Andrew Smith die Merkfähigkeit nicht.
Aber schlecht für das Kurzzeitgedächtnis
Die Universität Cardiff dürfte eine Hochburg der kaugummikritischen Forschung sein, denn zu ähnlichen Schlüssen kommt auch eine Studie von Michail Kozlov, ein Psychologenkollege von Smith. In bestimmten Fällen, so Kozlov und sein Team, stehen sich Kurzzeitgedächtnis und Kaugummi geradezu im Wege. Dies hätten sie nach Eigenaussagen "erstmals" bei einer Reihe von Experimenten bewiesen, etwa bei der Erinnerung an eine Abfolge von Buchstaben.
In einem Nebenexperiment fanden sie heraus, dass Fingerklopfen auf den Tisch eine ähnliche Behinderung für das Kurzzeitgedächtnis darstellt wie das Kaugummikauen: Beides motorische Tätigkeiten, die in anderen Gehirnregionen verarbeitet werden, als jene der Worterinnerung.
Dies spreche gegen Theorien, wonach das Vergessen von Kurzzeitgedächtnisinhalten mit konkurrierender Informationsverarbeitung in den gleichen Hirnarealen zu tun hat. Offenbar, so schließen die Forscher, beschränken sowohl Kauvorgang als auch das Fingerklopfen die Gesamtkapazität des Gehirns, Informationen zu verarbeiten.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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