Im Dezember 2011 sorgte die Studie "Jugend und Zeitgeist: Wie denken und leben 16- bis 19-Jährige?" des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung für einigen medialen Aufruhr. Hinter der Coolness der österreichischen Teenager stecke übertriebener Egoismus, politisches Desinteresse und ein Mangel an sozialem Mitgefühl.
Was den Begriff der Coolness ausmacht und wie diese Eigenschaft historisch entstanden ist, erklärt die Amerikanistin Judith Kohlenberger in einem Gastbeitrag.
Von Judith Kohlenberger

ÖAW / Kohlenberger
Zur Person:
Judith Kohlenberger (geb. 1986) ist Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien.
Hedonismus, Apathie und Individualität
Punktgenau spiegelt die Studie des Instituts für Jugendkulturforschung wider, was wohl als die wichtigsten Eigenschaften eines coolen Charakters verstanden werden müssen: Narzissmus, emotionale Apathie und ein Hang zur hedonistischen, nicht selten waghalsigen Lebensweise, die der Kultivierung der eigenen Individualität alles andere unterordnet.
Beispiele für historische Persönlichkeiten, die augenscheinlich im Besitz dieses gewissen Etwas waren, gibt es viele: Humphrey Bogart, Marlon Brando, James Dean und Kurt Cobain. Die Aufzählung zeigt deutlich, dass Coolness in erster Linie als männliche Tugend gilt. Frauen sind im besten Fall nicht kühl, sondern heiß, wie uns Paris Hiltons offiziell patentierter Wahlspruch „That’s Hot!“ zu verstehen gibt.
Cool als emotionale Maske
Während wir also intuitiv zu wissen scheinen, wer cool ist, wird es bei der Frage nach der Ontologie schon schwieriger: Was genau ist dieses Cool eigentlich? Einerseits ein emotionaler Deckmantel, der es erlaubt, hitzigere Gefühlsregungen zu verbergen und somit zu kontrollieren. Coolness kann also als eine (mehr oder weniger bewusst eingesetzte) Strategie in der zwischenmenschlichen Interaktion dienen.
Internetlinks:
Studie "Jugend und Zeitgeist: Wie denken und leben 16- bis 19-Jährige?"
Literaturtipps
Is It ‘Cause It’s Cool? Affective Encounters with American Culture. Hrsg. Astrid M. Fellner, Susanne Hamscha, Jennifer Moos und Klaus Heissenberger, LIT Verlag 2013 i.V. (Sammelband zur Tagung)
Coolness: Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde. Hrsg. Annette Geiger, Gerald Schröder und Änne Söll, transcript Verlag 2010.
Cool Rules: Anatomy of an Attitude. Dick Pountain und David Robins, Reaktion Books 2000.
Als bevorzugte Gemütshaltung beherrscht sie das interpersonelle Klima in der postmodernen Massengesellschaft und wird damit nicht nur zu einer individuellen, sondern auch kulturellen Attitüde, ein Teil des Zeitgeists. Und nicht zuletzt hat Cool auch eine ästhetische Komponente, wie uns etwa die kühlen Kuben der Minimal Art vor Augen führen.
Im alltäglichen Sprachgebrauch ist Cool kaum mehr als eine lässige Form der Befürwortung, wovon vor allem Jugendliche gerne und oft Gebrauch machen. Seinen globalen Siegeszug deshalb nur auf die große strukturelle Flexibilität zurückzuführen, scheint dennoch ein wenig kurz gegriffen: Coolness, unter welchem Decknamen auch immer, ist ein zentrales Prinzip in nahezu allen Jugend(sub)kulturen seit den 50ern und hat das kulturelle Selbstverständnis der westlichen Welt maßgeblich geprägt.
Afrikanische Vorfahren
Theorien zur Entstehungsgeschichte der Coolness sind dementsprechend weit gefächert. Einig sind sich die meisten Forscher darüber, dass der Begriff des Coolen wie wir ihn heute verwenden im afroamerikanischen Jazz- und Bluesmilieu des frühen 20. Jahrhunderts kultiviert wurde. Der Name von Miles Davis’ späterem Album "Birth of the Cool" (erschienen 1957) ist hier also Programm.

EPA Handout
Marlon Brando im Film "The Wild One", 1953

© (P) 2000 Capitol Records, Inc.
Cover des 1957 erschienenen Albums "The Birth of the Cool" von Miles Davis
Die Wurzeln des Coolen reichen aber noch weiter zurück: Anthropologen wollen im westafrikanischen itutu, einem Zustand absoluter Selbstbeherrschung und Gemütsruhe angesichts drohender Gefahr, den direkten Vorläufer des heutigen Cool erkennen. Durch den Sklavenhandel verbreitete sich diese alte Stammestugend auf dem nordamerikanischen Kontinent, wo sie den Plantagenarbeitern als Überlebensstrategie gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Misshandlung diente.
Andere Untersuchungen lassen auf europäische Einflüsse schließen, zeigt unser heutiges Cool doch unbestreitbare Parallelen zum sprezzatura der italienischen Höflinge während der Renaissance oder zur Affektkontrolle der griechischen Stoa. Und der romantische Archetypus des zynischen und unnahbaren Byronschen Helden lebt nicht umsonst in vielen coolen Charakteren der Gegenwart, sei es Batman oder Dr. House, weiter.
Obama und Coca Cola
Im globalisierten 21. Jahrhundert ist Cool nicht nur zur internationalen Währung geworden, sondern scheint im Zuge dessen seine (afro)amerikanischen Konnotationen großteils eingebüßt zu haben. Während die Mehrheit cooler Stars noch immer aus den USA stammt, war das Konzept "Amerika" vor allem während George W. Bushs Präsidentschaft trotz Bluejeans und Coca Cola definitiv uncool.
Nicht zuletzt deshalb freuten sich die Amis mit dem Wahlsieg Obamas vor allem über den damit einhergehenden Imagewandel: "America Is Cool Again" titelten da sogar die konservativen Fox News und übersahen dabei ganz, dass Politik bisher als Inbegriff des Uncoolen galt.
Ein neues Cool?
ÖAW Young Science:
Der Text ist Teil des Projektes Young Science, im Zuge dessen Gastbeiträge von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheinen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen Ö1/science.ORF.at und der Akademie der Wissenschaften.
Jüngste Forschungsergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass die klassisch ironisch-abgeklärte Coolness eine Wandlung erfährt: Das neue Cool ist sozial und politisch engagiert, wie etwa die Occupy-Bewegung oder MTVs Kampagnen zum Klimaschutz zeigen. Dies bliebt auch der Populärkultur nicht verborgen: Der emotions- und mimiklose lonesome ranger, Clint Eastwoods Paraderolle, hat ausgedient. Denn selbst der Cowboy, die zeitlose Ikone des American Cool, ist jetzt verliebt, verzweifelt und vergießt bittere Tränen - und trifft dabei den Nerv der Zeit.
Parallel dazu scheint mit der steigenden Bedeutung der Informationsliteralität in modernen Wissensgesellschaften die Bewunderung für Rebellen, Aussteiger und bad boys überwunden zu sein. Der US-amerikanische Konzern Apple und dessen idolisierter Gründer Steve Jobs zeigen, dass nun jene, die einstmals als Streber und Computerfreaks belächelt wurden, die Richtung des Cool vorgeben.
Für die iGeneration, wie die Soziologie die Jugend ab dem Millennium bezeichnet, gelten die rasant fortschreitenden Technowissenschaften und die damit einhergehende Individualisierung ihrer Lebenswelten, ob maßgefertigtes Fernsehen, Handy oder Musikportal, als cool. Facebook, Twitter und YouTube erlauben ein nie dagewesenes Präsentieren und Zelebrieren der eigenen Individualität, möge sie auch auf noch so massenkonforme Kanäle zurückgreifen. Das Kernstück einer jeden coolen Pose bleibt also trotz wechselnder Konventionen in der Affekthygiene zeitlos.
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