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Violette Strahlen auf schwarzem Grund

Higgs-Teilchen: Die Spur wird deutlicher

Neue Analysen von Experimenten des letzten Jahres machen die Entdeckung des Higgs-Teilchens immer wahrscheinlicher. Ab wann wird Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit? Gute Frage. Die Physiker wollen sich jedenfalls noch immer nicht festlegen.

Statistik 09.02.2012

Viel Aufregung hat eine Verlautbarung von CERN-Forschern im Dezember letzten Jahres ausgelöst. Das lang gesuchte Higgs-Teilchen, Urquelle der Masse im Universum, sei möglicherweise entdeckt worden, hieß es. Mit Betonung auf "möglicherweise": Denn dass die Signale der Protonenkollisionen im Teilchenbeschleuniger LHC Zufall sein könnten, sei zwar unwahrscheinlich, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auszuschließen.

Eine delikate Situation - denn falls sich die Entdeckung bestätigen sollte, würde den Theoretikern, die das Teilchen (und das korrespondierende Feld) vorhergesagt haben, die Nobelierung aus Stockholm winken. Doch falls nicht, wäre mediale Häme im Falle vorschnellen Jubels wohl sicher. Schließlich ist der LHC die größte und teuerste Maschine der Welt, erbaut mit europäischen Steuergeldern. Dass sich die an den Experimenten beteiligten Physiker nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen wollen, ist daher verständlich.

0,004 Prozent Zufall

Ö1-Sendungshinweis

Über das Higgs-Teilchen berichtet auch "Wissen aktuell", Do., 9.2.2012, 13:55 Uhr.

So wurde die Fast-aber-noch-nicht-ganz-Entdeckung zur Geduldsprobe. Momentan ist der LHC abgeschaltet. Im Frühjahr soll er wieder in Betrieb gehen, diesmal mit noch höheren Energien. Wie hoch diese liegen werden, diskutieren Fachleute zurzeit bei einer Tagung in Chamonix. Neues vom Higgs-Teilchen gibt es dennoch zu berichten. Das Autorenkollektiv des sogenannten ATLAS-Experiments (mit dem das Higgs-Teilchen dingfest gemacht werden soll) hat vor zwei Tagen neue Datenanalysen veröffentlicht. Sie zeigen: Die Higgs-Spur wird immer deutlicher.

Kombiniert man ATLAS mit den Ergebnissen eines zweiten Experiments namens CMS, dann ergibt das, wie Geoff Brumfiel in "Nature" schreibt, ein Sicherheitsniveau von 4,3 Sigma. Umgerechnet in Prozent hieße das: Das Signal ist zu 99,996 Prozent real bzw. zu 0,004 Prozent zufällig. Klingt gut.

Christian Fabjan vom Österreichischen Institut für Hochenergieforschung weist darauf hin, dass die Sache allerdings etwas komplizierter ist. Die Zahlen gelten nämlich nur für die Annahme, dass das Higgs-Teilchen eine bestimmte Masse hat (wie es momentan aussieht, liegt der Wert um die 126 Gigaelektronenvolt). Sieht man jedoch in allen anderen möglichen Massenbereichen nach, schrumpft die Wahrscheinlichkeit entsprechend, weil dem Zufall mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen. "Look-elsewhere-effect" nennen das die Physiker. "Ab fünf Sigma entkorken wir die Sektflaschen", sagt Fabjan im Gespräch mit science.ORF.at, "aber nicht früher."

3,8 Sigma bei der Superbowl

Apropos Zufall: Um die Aussagekraft von 4 Sigma zu erläutern, hat der Caltech-Physiker Sean Carroll in seinem Weblog kürzlich auf die Superbowl verwiesen. Beim American Football wird nämlich, ähnlich wie im Fußball, zu Beginn des Spiels eine Münze geworfen. Der Wurf entscheidet darüber, welches Team zu Beginn des Spiels des Ball bekommt.

Wie die Statistik zeigt, haben in den letzten 14 Jahren immer die Teams der National Football Conference gewonnen. Nun kann man drüber streiten, ob die Wahrscheinlichkeit für diese Serie bei eins zu zwei hoch 13 oder 14 liegt. Caroll votiert für die konservative Variante 2 hoch 13 - ausgeschrieben eins zu 8.192. "Das ist besser als ein 3,8-Sigma Effekt!", schreibt Carroll. "Genug, um eine Pressekonferenz einzuberufen, wenn es sich denn um Teilchenphysik handelte." Der Zufall schläft nicht.

Noch ein Beispiel aus dem Umfeld der Redaktion. Bei einem Spiel "Schwarzer Peter" außerhalb der Bürozeiten passierte kürzlich folgendes: Der Schwarze Peter wurde ungelogen sechs Mal hintereinander gezogen - und das, obwohl alle drei Spieler jeweils sieben (mit Peter acht) Karten besaßen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist eins zu 262.144. In Sigma? You do the math.

Robert Czepel, science.ORF.at

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