science.ORF.at: Haben Sie heute schon eine Tasse Kaffee getrunken?
Veronika Somoza: Ja, natürlich.
Was ist aus ernährungswissenschaftlicher Sicht dazu zu sagen?
Veronika Somoza: Kaffee ist nicht so schlecht wie sein Ruf. In Maßen genossen - drei bis vier Tassen pro Tag - kann er durchaus positive Effekte haben. Epidemiologische Studien zeigen, dass moderater Kaffeekonsum einhergeht mit geringeren Erkrankungsraten von zum Beispiel Typ-2-Diabetes, koronaren Herzerkrankungen, Darmkrebs oder Alzheimer.
Warum?
Das versuchen wir herauszufinden. Die Forschung befindet sich in dieser Hinsicht noch am Anfang. In Bezug auf Diabetes weiß man zumindest: Im Kaffee sind offenbar Substanzen, die den Transport von Glukose vom Blut in die peripheren Zellen beschleunigen. Außerdem dürfte Kaffee die Glukose-Aufnahme über den Magen-Darmtrakt verzögern.
Sie haben nachgewiesen, dass die dunkle Röstung der Kaffeebohnen positive Effekte hat. Welche sind das?

Universität Wien
Veronika Somoza ist seit 2011 Vorständin des Instituts für Ernährungsphysiologie und Physiologische Chemie der Uni Wien und leitet das neu gegründete Christian Doppler Labor für Bioaktive Aromastoffe. Die Eröffnung des Labors findet am 9. März 2012 statt.
Mehr dazu: Forscher suchen Aromen, die schlank machen
Viele Menschen reagieren auf Kaffeekonsum mit Magenbeschwerden. Das liegt unter anderem daran, dass Koffein die Magensäureproduktion anregt. Beim Röstprozess wird allerdings eine Substanz namens N-Methylpyridinium gebildet, die das Gegenteil tut. Sie hemmt die Produktion von Magensäure.
Aus Sicht der Magenschonung wäre also koffeinfreier Espresso ideal?
So ist es.
Warum hat Espresso - zumindest bei manchen Konsumenten - eine ganz andere Wirkung als Filterkaffee?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen trinken Sie vom Espresso bedeutend weniger. Ein Espresso hat ein Volumen von ungefähr 50 Milliliter und enthält etwa 50 Milligramm Koffein. Eine Tasse Filterkaffe hat das mindestens dreifache Volumen, der Koffeingehalt kann bis zu doppelt so hoch sein.
Werden beim Filterkaffe durch den langen Wasserkontakt andere Substanzen gelöst?
Ja, das Inhaltsstoffprofil ist völlig unterschiedlich. Die Zubereitungsmethode hat überhaupt großen Einfluss. Ein Beispiel dafür ist die French-Press-Methode: Dabei gehen die Substanzen Kahweol und Cafestol in den Brühkaffee über, die den Blutdruck erhöhen. Im Filterkaffee kommen sie gar nicht vor, weil sie im Filter hängen bleiben.
Wechseln wir vom Kaffee zum Rotwein. Einem Inhaltsstoff, dem Resveratrol, sagt man gesundheitsfördernde Wirkungen nach. Kürzlich wurde Dipak Das, einer der prominentesten Forscher auf diesem Gebiet, der Manipulation etlicher Studien bezichtigt. Wackeln nun die Forschungsergebnisse zum Resveratrol?
Sie wackeln nicht. Wenn Sie das Stichwort Resveratrol in eine Publikationsdatenbank wie PubMed eingeben, erhalten Sie Tausende Treffer. Da fallen die paar Arbeiten von Dipak Das nicht so sehr ins Gewicht. Seine Arbeiten waren zwar wichtig, aber die wirklich bahnbrechenden Arbeiten haben andere gemacht.
Etwa die beiden US-Amerikaner Joseph Baur und David Sinclair. Sie haben im Jahr 2006 Mäuse auf eine hochkalorische Diät gesetzt und einer Gruppe zusätzlich Resveratrol verabreicht. Diese Gruppe lebte deutlich länger. Was will man mehr? Man schlemmt, nimmt Resveratrol und lebt länger. Allerdings muss man dazu sagen, dass man diese Menge allein durch Rotwein nicht zu sich nehmen kann. Menschen müssten 120 Liter Rotwein trinken, um die gleiche Dosis pro Kilogramm Körpermasse zu erhalten.
Pro Jahr?
Nein, pro Tag.
Oh, das ist nicht zu schaffen.
Eben. Resveratrol hat zweifelsohne positive Effekte auf das Herzkreislaufsystem, die Frage ist nur, wie hoch die Dosis sein muss. Wir arbeiten übrigens mit der Weinbauschule Klosterneuburg zusammen und haben uns im Zuge dieser Kooperation die Magenverträglichkeit von Weinen angesehen. Viele Konsumenten vertragen nämlich Rotwein besser als Weißwein.
Bisher hat man gemeint, das liege nur am Säuregehalt, doch das ist falsch. Es liegt am gesamten Inhaltsstoffprofil. Das Gleiche gilt für Bier: Nicht nur der Alkohol regt die Produktion von Magensäure an, auch die Bittersäuren des Hopfens haben diese Wirkung. Stark gehopftes Bier macht also eher einen "sauren Magen".
Warum schmeckt das Vanillin, der Aromastoff der Vanille, schlichter und daher anders als die Bourbon-Vanille?
Grundsätzlich gilt: Wenn die Strukturen der Aromastoffe identisch sind, dann müssen sie auch gleich schmecken. Die Gewürzvanille enthält neben Vanillin allerdings noch weitere Aromastoffe, daher unterscheidet sich das Aroma von Vanilleschoten von dem des isolierten Vanillins. Vanillin ist übrigens ein überaus interessantes Molekül: Wenn sie es nur ein bisschen modifizieren, dann erhalten sie Capsaicin - und das ist richtig scharf.
Apropos: Der Chili-Inhaltsstoff Capsaicin, sagt man, soll gut fürs Abnehmen sein.
In Japan wurden Studien durchgeführt, die das nahelegen. Probanden, die täglich Chilipulver über ihre Hauptmahlzeit streuten, hatten langfristig eine verringerte Energieaufnahme.
Sie aßen weniger?
Genau.
Warum?
Das ist noch unbekannt.
Haben Sie eine Vermutung?
Durchaus, wir haben soeben eine Verbindung zum Patent eingereicht, die eine ähnliche Wirkung hat wie das Capsaicin - mehr darf ich dazu momentan leider nicht sagen. In Bezug auf Lavendel gibt es übrigens ähnliche Untersuchungen, allerdings bei Ratten: Tiere, auf deren Käfige ein mit Lavendel getränktes Stück Stoff gelegt wurde, fraßen messbar weniger. Auch hier ist über die Gründe kaum etwas bekannt. Die Untersuchungen auf diesem Gebiet sind bislang nur deskriptiv.
Chemisch betrachtet: Was macht die Mittelmeerdiät so gesund?
Sie hat einen relativ hohen Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren: Das wirkt sich positiv gegenüber koronaren Herzkrankheiten aus. Außerdem enthält die Mittelmeerdiät viel Obst und Gemüse. Man darf aber nicht den Fehler machen, das nur auf eine Verbindung zu reduzieren. Es geht um den gesamten Lebensstil in den Mittelmeerländern, warmes Klima, Siesta zu Mittag, Bewegung - all das spielt eine Rolle.
Die so genannte "food pairing hypothesis" besagt: Lebensmittel, die eine große Schnittmenge von Aromastoffen haben, schmecken als Kombination gut. Beispiele sind etwa Spargel und Butter oder - etwas ungewöhnlicher - Schokolade und Blauschimmelkäse. Können Sie das bestätigen?
Nein. Es gibt noch keinen wissenschaftlich-basierten Nachweis mit kontrollierten Studien am Menschen.
Niederländische Forscher haben vor ein paar Jahren nachgewiesen, dass Aromen das Verhalten ändern. In Lokalen, in denen Orangenaroma versprüht wurde, begannen die Leute eher zu tanzen.
Fahren Sie einmal in die USA und gehen Sie dort in ein Department Store. Dort werden sie ständig beduftet, um das Kaufverhalten anzuregen. Allerdings gibt es auch hier kaum fundierte Untersuchungen - es wird einfach gemacht.
Interview: Robert Czepel
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