Bakterien sind gut
Bereits vor über 20 Jahren stießen Forscher auf einen Zusammenhang, der für Hygienefanatiker und Mediziner einen Tiefschlag darstellte. Erst im letzten Jahrhundert hatte die moderne Medizin im Kampf gegen Keime als Krankheitsverursacher entscheidende Fortschritte gemacht. Nun stellte sich plötzlich heraus, dass der Kontakt mit Schmutz und Bakterien auch sein Gutes haben könnte.
Er soll vor Autoimmunerkrankungen, wie etwa Allergien, Asthma und entzündlichen Darmerkrankungen, schützen. Bekannt wurde die Vermutung als Hygiene-Hypothese. Sie besagt, dass unser Immunsystem in den ersten Lebensjahren mit Mikroben umgehen muss. Übertriebene Hygiene ist demnach schädlich.
Die Studie in "Science":
"Microbial Exposure During Early Life Has Persistent Effects on Natural Killer T Cell Function"
Die These erklärt auch die weltweite Zunahme von Allergien, vor allem in städtischen Gebieten. Landkinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen und dort auch mit mehr Schmutz in Berührung kommen, sind bekanntermaßen weniger davon betroffen. Hinzu kommen andere Faktoren, wie z.B. die frühe und häufige Gabe von Antibiotika.
Steriles Leben macht krank
In Fachkreisen ist die Hypothese heute weitgehend anerkannt, bleibt die Frage, wie uns die Mikroorganismen konkret helfen. Bis jetzt hat man vermutet, dass sie in irgendeiner Form das Immunsystem anstoßen, wie ist allerdings nicht klar. Das haben die Forscher um Richard S. Blumenberg von der Harvard Medical School nun versucht herauszufinden. Dafür haben sie Mäuse ohne jegliche Mikrobenbesiedlung untersucht. Diese verbringen ihr ganzes Leben in sterilen Käfigen und knabbern an keimfreier Kost. So wird verhindert, dass sich in ihrem Darm die üblichen Bewohner ansiedeln.
Ö1 Sendungshinweis:
Über die Studie berichtet auch Wissen Aktuell am 23.3. um 13:55.
Verglichen mit ihren bakterienbesiedelten Verwandten waren sie weitaus anfälliger für Colitis, einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, sowie für Asthma. Im Darm und in der Lunge fanden die Forscher außerdem eine ungewöhnlich hohe Anzahl natürlicher Killer-T-Zellen, sogenannte iNKT-Zellen. Diese können beim Kontakt mit Mikroben oder körpereigenen Molekülen Entzündungen auslösen. Genau diese Zellen dürften demnach auch für die Krankheitsanzeichen verantwortlich sein.
Genetisch modifizierte Mäuse, bei welchen sich dieser Zelltypus erst gar nicht entwickeln konnte, blieben von den Erkrankungssymptomen verschont, selbst wenn sie in einer sterilen Umgebung lebten. Auch wenn die Forscher die iNKT-Zellen mit einem Antikörper blockierten, blieben die Mäuse gesund. Es deute alles darauf hin, dass die Zellen entscheidend am Krankheitsgeschehen beteiligt sind. Und eine normale Bakterienflora zügelt offensichtlich deren Entwicklung.
Weniger Immunzellen statt mehr
Das mache die Ergebnisse der Untersuchung auch so überraschend, wie der Immunologe Anthony Horner in einem News-Artikel in derselben Ausgabe des "Science" erklärt. Die meisten hätten erwartet, dass die Mikroben zu mehr Immunzellen führen, die Studie zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Mikroorganismen halten die iNKT-Zellbildung in Schach. Verantwortlich für deren Häufung ist vermutlich ein bestimmtes Signalprotein namens CXCL16, das bei Abwesenheit von Bakterien ansteigt.
Die Untersuchung bestätigt außerdem, wie wichtig ein früher Kontakt ist. Übersiedelten die Forscher erwachsene sterile Mäuse zu ihren normalen Artgenossen, übernahmen sie zwar schnell deren Bakterienbesiedlung, die iNKT-Zellen im Darm wurden aber nicht weniger.
Ein Absinken ließ sich erst beim Nachwuchs von sterilen Mäusen feststellen, die schwanger zu ihren Artgenossen transferiert worden waren. D.h., für eine langfristig vorbeugende Wirkung sollte der Kontakt mit Bakterien möglichst in der ersten Lebensphase stattfinden. Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun herausfinden, welche der unzähligen Bakterien für diesen Schutz verantwortlich sind.
Eva Obermüller, science.ORF.at