Die Untersuchung des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zeigt außerdem, dass man die Zufriedenheit mit dem Leben in einem Grätzl nicht auf ein Merkmal, etwa den lokalen Ausländeranteil, reduzieren kann.
"Ermöglichungsraum
Die Wissenschaftler haben die wahrgenommene Qualität der Nachbarschaftsbeziehungen in Abhängigkeit von der städtebaulichen und sozialen Struktur in drei verschiedenen, aber für Wien typischen Gebieten untersucht: die Wohnhausanlage Am Schöpfwerk, in der Josefstadt (Laudongasse) und in Ottakring (Ludo-Hartmann-Platz).
"Unsere Ergebnisse belegen eindeutig die Bedeutung des Wohnumfeldes als 'Ermöglichungsraum' für ungeplante Begegnungen und Interaktionen", so die Studien-Autoren Josef Kohlbacher, Ursula Reeger und Philipp Schnell. Auch moderne Städter hätten einen klaren Bezug zu ihrem Wohnumfeld und lokal gebundene soziale Netzwerke seien nach wie vor entscheidend für das Ausmaß der nachbarschaftlichen Einbettung.
Josefstadt verbindet
Die Studie:
Die Arbeit wurde im Rahmen des EU-Projekts "Geitonies" (Generating Interethnic Tolerance and Neighbourhood Integration in European Urban Spaces) durchgeführt. In Bilbao, Lissabon, Rotterdam, Thessaloniki, Warschau und Wien wurden 3.600 Interviews mit Personen mit und ohne Migrationshintergrund durchgeführt, 600 davon in Wien. Ziel des Projekts ist die Erarbeitung eines Empfehlungskatalogs für Entscheidungsträger aus der Politik.
Im Vergleich der drei untersuchten Grätzl zeigt sich, dass das bürgerliche Wohnviertel in der Josefstadt das höchste Ausmaß an Verbundenheit mit der Nachbarschaft aufweist - unabhängig davon, ob die Bewohner Zuwanderer sind oder nicht. In den beiden anderen Wohnvierteln ist das Ausmaß der Einbettung in die Nachbarschaft bei weitem geringer als in der Gegend rund um die Laudongasse.
Rund um den Ludo-Hartmann-Platz fühlen sich Migranten etwas stärker zugehörig als Nichtmigranten. In der Wohnhausanlage Am Schöpfwerk würde die spezifische bauliche und soziale Situation mit einer unausgewogenen Mischung von armutsgefährdeten in- und ausländischen Haushalten sowie die periphere Lage eher ein Gefühl der Fremdheit erzeugen, so die Wissenschaftler.
Nicht auf ein Merkmal reduzierbar
Im zentraler gelegenen Wohnviertel Ludo-Hartmann-Platz, das vom gründerzeitlichen Altbaubestand dominiert wird, ist zwar der Zuwandereranteil mit 63 Prozent fast doppelt so hoch wie Am Schöpfwerk, trotzdem bewerten beide Bevölkerungsgruppen die Verbundenheit mit dem Wohnviertel und auch die Zufriedenheit mit dem Zusammenleben etwas positiver.
"Die Reduktion der Zufriedenheit mit dem Leben vor Ort auf ein Merkmal, nämlich den lokalen Ausländeranteil, ist also eine zu simple Vereinfachung", betonen die Forscher.
science.ORF.at/APA