Wie diese Spurensuche funktioniert, beschreibt die Mikrobiologin und Genetikerin Katarzyna Retzer in einem Gastbeitrag.
Gravitropismus - Ausrichten der Wurzel nach der Schwerkraft
Von Katarzyna Retzer

privat
Zur Person:
Katarzyna Retzer, Jahrgang 1982, hat an der Universität Wien ihren Magister in Mikrobiologie und Genetik, mit dem Schwerpunkt Zell- und Entwicklungsgenetik, absolviert. Im Jänner 2011 hat sie ihr Doktoratsstudium an der BOKU in der Arbeitsgruppe von Dr. Christian Luschnig am Department für Angewandte Genetik und Zellbiologie begonnen, finanziert über das DOC-fFORTE-Stipendium (Nr. 23154). Retzer untersucht in ihrer Dissertation, wie das Wachstum der Wurzeln durch das Zusammenspiel von Wachstumshormonen und Transportproteinen reguliert wird.
Wird eine Pflanzenwurzel gedreht, gelingt es ihr relativ schnell, sich wieder nach der Schwerkraft zu orientieren. Dem liegen komplexe Vorgänge in der Wachstumszone der Wurzel und ihrer Kommunikation mit der Wurzelspitze zugrunde. Die Wurzelspitze realisiert die veränderte Lage, da sich in spezialisierten Zellen Stärkekörner am Boden der Zelle absetzen, die der Wurzel signalisieren, dass sie nun aus einem oberen und unteren Teil besteht.
Damit sich die Wurzelspitze wieder richtig ausrichten kann, müssen Zellen im unteren Bereich weniger stark wachsen als im oberen Bereich; dadurch entsteht eine Krümmung und die Wurzel ändert ihre Wachstumsrichtung. Diese reduzierte Expansion der Zellen wird durch einen gezielten Einstrom des Pflanzenhormones Auxin erreicht.
Auxin - ein modulierendes Pflanzenhormon
Auxin wird als Überbegriff für eine Gruppe von kleinen Molekülen verwendet, die als Hormon einheitlich wirken. Auxin wird gezielt von Zelle zu Zelle transportiert und spielt für viele Entwicklungsschritte der Pflanze eine essentielle Rolle. Deswegen ist der Name auch vom griechischen Wort auxano - ich wachse - abgeleitet.
Viele Proteine sind an der Verteilung des Hormons beteiligt, manche nur in gewissen Abschnitten der Pflanze, sodass sie nur bestimmte Aspekte der Pflanzenentwicklung regulieren. Fehlen gewisse Transporter, kann das je nach ihrer Funktion unterschiedliche negative Auswirkungen auf die gesamte Pflanze haben.
Das Fehlen eines Proteins
ÖAW Young Science:
Der Text ist Teil des Projektes Young Science, im Zuge dessen Gastbeiträge von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheinen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen Ö1/science.ORF.at und der Akademie der Wissenschaften.
In der Wurzel wirkt in der Wachstumszone in der Nähe der Wurzelspitze das Transporterprotein AtPIN2, welches gezielt Auxin für die oben erwähnte Biegung der Wurzel transportiert. Wurzeln, die kein funktionierendes Transporterprotein besitzen, wachsen unkoordiniert in beliebige Richtungen.
In der Regel wächst eine Wurzel vertikal nach unten und das Protein ist gleichmäßig verteilt. Wird die Wurzel jedoch gedreht, kommt es zur Ausbildung einer unteren und oberen Wurzelseite. Das Protein muss im oberen Bereich entfernt werden und vermehrt im unteren Teil wirken. Es kommt zu einer asymmetrischen Verteilung des Transporterproteins und somit des Wachstumshormons.
Ein molekularbiologisch fein regulierter Prozess
Die Ackerschmalwand - ein Modellorganismus
Pflanzen müssen sich laufend an Umweltveränderungen anpassen, um zu überleben und Nachkommen zu produzieren. Sie können sich weder Kälte, Dürre noch starker Sonneneinstrahlung entziehen und sind mechanischen Einflüssen hilflos ausgeliefert.
Um verschiedene Vorgänge in Pflanzen zu untersuchen, wird stellvertretend an dem Unkraut Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand, experimentiert. Arabidopsis ist klein, hat einen schnellen Generationswechsel von wenigen Monaten und gewonnene Erkenntnisse können aufgrund von Übereinstimmungen auf zellulärer und molekularer Ebene sowohl auf höhere Pflanzen als auch teilweise auf Vorgänge in tierischen Zellen übertragen werden.
Damit das Transporterprotein AtPIN2 das Wachstumshormon Auxin von einer Zelle zur anderen pumpen kann, ist es an der Zellmembran lokalisiert. Es muss bei der Ausrichtung nach der Schwerkraft in der oberen Wurzelseite aus der Zellmembran entfernt und in der unteren Seite stabilisiert werden. Somit passieren abhängig von der relativen Position gleichzeitig zwei voneinander unabhängige Prozesse mit ein und demselben Protein.

Georgie Retzer
Besonderes Augenmerk legen wir in unserer Arbeitsgruppe auf das Entfernen des Proteins. Wir suchen nach Faktoren die den AtPIN2-Transporter regulieren. Der Transporter kann entweder für spätere Einsätze aufgehoben und recycelt oder abgebaut werden. Dieser exakt regulierte Prozess scheint für eine Reihe von Proteinen zu wirken und ist konserviert, d.h. diese Vorgänge laufen in verschiedenen Spezies ähnlich oder sogar gleich ab.
Die Suche nach unbekannten Proteinen
Literatur:
Korbei B. und Luschnig C., Cell Polarity: PIN It Down!, Curr Biol. Mar 8;21(5):R197-9 (2011).
Titapiwatanakun B., Murphy A.S., Post-transcriptional regulation of auxin transport proteins: cellular trafficking, protein phosphorylation, protein maturation, ubiquitination, and membrane composition. J Exp Bot;60(4):1093-107. Epub 2008 Sep 29 (2009).
Kleine-Vehn J. und Friml J., Polar targeting and endocytic recycling in auxin - dependent plant development. Annu Rev Cell Dev Biol 24 :447 - 473(2008).
Um unbekannte Proteine, die in einem bestimmten Prozess beteiligt sind, zu identifizieren, kann man unter anderem einen Ansatz anwenden, bei dem mit Hilfe einer Chemikalie kleine Veränderungen am Protein erzielt, die sich auf die Funktion des Proteins auswirken können.
In unserer Laborgruppe wird das Transportprotein AtPIN2 dahingehend modifiziert, dass es vermehrt aus der Zellmembran entfernt wird, was sich durch das Fehlen der asymmetrischen Auxinverteilung negativ auf den Gravitropismus auswirkt.
Ziel meiner Arbeit ist es, jene bisher unbekannten Proteine zu identifizieren und zu charakterisieren, deren Veränderung durch die zugesetzte Chemikalie dazu geführt hat, dass das Transportprotein AtPIN2 wieder in der Zellmembran stabilisiert wird. Ein neues Puzzlestück im molekularbiologischen Mechanismus des Wurzelwachstums ist entdeckt.