Auch der Gesichtsausdruck sei ein Produkt soziokultureller Umstände und keineswegs so interkulturell wie bisher angenommen, betonen Rachael Jack von der Universität Glagow und Kollegen. In einem computerbasierten Versuch fanden sie heraus, dass Asiaten viel mehr durch die Augen ausdrücken als Europäer.
Die Studie:
"Facial expressions of emotion are not culturally universal" ist in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" erschienen (DOI:10.1073/pnas.1200155109).
"Man and Animal"
"Ich achtete auf diesen Punkt bei meinem erstgebornen Kinde, welches nicht durch den Verkehr mit anderen Kindern gelernt haben konnte, und kam zu der Überzeugung, dass es ein Lächeln verstand und Freude empfand, ein solches zu sehen, es auch durch ein gleiches beantwortete, in einem viel zu frühen Alter, als dass es irgendetwas durch Erfahrung gelernt haben konnte“, notierte Charles Darwin schon 1840. Ob die Darstellung von Emotionen durch die Mimik erlernt oder angeboren ist, diese Frage behandelte er dann ausführlicher in seinem
1872 erschienenen Werk "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren".
Darwins Schluss: In allen Kulturen würden die Menschen sechs grundlegende Gemütszustände verstehen, die überall mit Hilfe der gleichen Gesichtsmuskeln dargestellt werden. Es handle sich demnach um eine "biologische Funktion", um Gefühlsregungen über die Kulturen hinweg verständlich zu machen.
Nahezu unumstritten
Diese Feststellung, dass Freude, Überraschung, Angst, Ekel, Ärger und Trauer überall mit dem gleichen Gesichtsausdruck kommuniziert werden, hielt sich seit Darwins Publikation nahezu unumstritten - auch wenn es immer wieder Hinweise darauf gab, dass die einzelnen Gesichtspartien in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedliche Rollen in der Kommunikation übernehmen (z.B. die Studie "Eyes Are Windows to the Chinese Soul").
Die Psychologin Rachael Jack nahm gemeinsam mit ihren Kollegen diese Hinweise zum Ausgangspunkt für eine eigene Studie. Sie überprüften anhand von 15 Versuchspersonen aus Asien und 15 Europäern, welche Gemütszustände wie schnell erkannt wurden. Durch Computermanipulation konnten sie Teile der gezeigten Gesichter verändern und dadurch herausfinden, welcher Teil der Mimik für die Betrachter zentral war. Insgesamt produzierten die Forscher 180 Gesichter, die die sechs zentralen Emotionen spiegelten.
Mehr Augenaktivität
Das Ergebnis: Europäer und Asiaten zeigten deutliche Unterschiede darin, auf welche Muskelpartien und zu welchem Zeitpunkt sie reagierten, besonders bei den Emotionen Überraschung, Angst, Abscheu und Ärger. Menschen aus Asien bewegen bei der Darstellung der genannten Gefühle stärker die Augen und weniger den Mund als Europäer. Auch die Wahrnehmung hänge an der Augenpartie, berichten die Forscher um Rachael Jack in ihrer Studie. Außerdem waren bei den asiatischen Testpersonen die Grenzen zwischen den Gefühlsregungen flexibler.

Oliver G.B. Garrod
Überrascht stellten die Forscher zudem fest, dass die Asiaten der Intensität der Gefühle keine Bedeutung beimaßen. Während westliche Menschen zum Beispiel zwischen starker und leichter Angst unterschieden, kategorisierten die Chinesen beides gleich. Dies könnte theoretisch daran liegen, dass starke Gefühle in ihrer Kultur eher unterdrückt werden, so die Forscher.
"Kulturspezifische Signale
"Die wahrgenommenen Gesichtsbewegungen entsprechen jenen, die die Testpersonen in ihrem Alltag sehen", schreiben die Psychologen und stellen damit die von Darwin erstmals formulierte Universalität in Abrede. Und sie gehen sogar noch darüber hinaus: Die Einteilung des Gefühlslebens in sechs zentrale Emotionen funktioniere für Europäer. Für Asiaten sei diese Kategorisierung aber nicht adäquat, weil in ihrer Kultur fundamentale Regungen wie Scham, Stolz und Schuld fehlten.
"Gefühle werden durch kulturspezifische Signale des Gesichts ausgedrückt. Ehemals einheitliche Muster wurden in den letzten Jahrhunderten durch unterschiedliche soziale Praktiken aufgebrochen", schließen die Wissenschaftler. Der kulturelle Unterschied werde auch in den typischen "Emoticons" - kurzen Zeichenfolgen zum Ausdruck der Stimmung in E- Mails oder SMS - deutlich. Im Westen verdeutliche vor allem das Zeichen für den Mund die Stimmung. Im Osten seien dagegen auch bei den Smileys die Augen entscheidend - daher werden andere Sonderzeichen für fröhlich und traurig verwendet.
Die Forscher postulieren einen Sieg der Kultur über die Natur - ob verfrüht, werden wohl weitere Studien zeigen.
Elke Ziegler, science.ORF.at