Durch Fleisch zum Erfolg?
Das große Hirn, die vergleichsweise lange Lebensdauer und die hohe Fruchtbarkeit gelten als Schlüsselelemente der erfolgreichen menschlichen Evolution. Erst Werkzeuge, Jagd und Fleischkonsum sollen uns zu diesen überlegenen Eigenschaften verholfen haben. Der entscheidende Übergang hat gängigen Theorien zufolge vor etwa zwei Millionen Jahren stattgefunden.
Diese Thesen stehen allerdings auf wackligen Beinen. Erst vor zwei Jahren wurden Spuren von deutlich älteren menschlichen Werkzeugen gefunden und auch ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Gehirngröße und Ernährung wird von manchen Forschern bezweifelt.
Frühes Abstillen als Vorteil
Zur Studie in "PLoS ONE":
"Impact of Carnivory on Human Development and Evolution Revealed by a New Unifying Modell of weaning in Mammals" von Elia Psouni et al.
Um den Einfluss des Fleischkonsums auf die menschliche Entwicklung zu untersuchen, haben die Wissenschaftler um Elia Psouni von der schwedischen Lund Universität nun einen völlig anderen Ansatz gewählt, nämlich die Länge der Stillzeit.
Die Stillzeit ist beim Menschen recht kurz - in Relation zur langen Individualentwicklung und zur gesamten Lebensdauer sowie im Vergleich mit anderen Menschenaffen. Kinder werden selbst in ursprünglichen Gesellschaften im Durchschnitt nicht länger als zwei Jahre und vier Monate gestillt und das bei einer Lebenserwartung von bis zu 100 Jahren. Unsere nahen Verwandten die Schimpansen säugen ihre Kinder vier bis fünf Jahre und werden dabei nur rund 60 Jahre alt.
Das frühe Abstillen hat Folgen für die Entwicklung des Nachwuchses, denn er muss nicht ewig in unmittelbarer Nähe der Mutter bleiben, aber auch für deren Fortpflanzungserfolg, der durch die kürzeren Intervalle zwischen den Geburten steigt.
Frühes Abstillen durch Fleisch
Manche Forscher vermuten soziale Ursachen hinter der kurzen Stillzeit, wie etwa die Struktur und die Größe menschlicher Familien. Andere halten biologische Gründe für wahrscheinlicher: Der Nachwuchs hört auf bei der Mutter zu trinken, sobald sein Gehirn ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht hat, ein Umstand der mit der Versorgungslage zusammenhängen könnte.
Diese These haben die Forscher nun durch einen breiten phylogenetischen Vergleich überprüft, ausgewählt wurden dafür Säugetiere aus 12 Ordnungen bzw. 67 Gattungen, jeweils eine Art pro Gattung. Neben der Stillzeit der 67 Tiere wurden die Gehirnmassen, der Body-Mass-Index der Weibchen, aber auch biomechanische Größen herangezogen, etwa ob die Tiere Sohlengänger sind oder nicht. Sohlengänger beginnen später zu gehen, was auch eine Rolle spielen könnte.
Hinsichtlich der Ernährungsgewohnheiten unterschieden die Forscher Fleischfresser - als solche gelten alle, die mindestens 20 Prozent ihrer Nahrung durch Fleisch decken, reine Pflanzenfresser und Allesfresser. Die Forscher fanden tatsächlich einen signifikanten Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und frühem Abstillen. Zwischen den Alles- und Pflanzenfresser gab es in dieser Hinsicht keine messbaren Unterschiede.
Fleisch als Entwicklungsmotor
Wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, ist Fleisch offensichtlich nicht nur eine notwendige, sondern sogar eine hinreichende Erklärung für die kurze Stillzeit. Soziale Faktoren haben demnach bei der menschlichen Entwicklung zwar eine wichtige Rolle gespielt, sicher auch für konkrete Stillpraktiken. Aber der Vergleich mit anderen Fleischfressern, die weniger sozial vernetzt sind, zeigt, dass für die Dauer der Stillzeit einer Art ausschließlich der Fleischkonsum maßgeblich ist.
"Diese Parallele könnte natürlich als Provokation aufgefasst werden", so Psouni. "Wir glauben, dass wir durch unsere Kultur etwas Besonderes sind, aber wenn es ums Stillen geht, brauchen wir diese nicht. Für unsere Spezies als Ganzes ist das eine rein biologische Frage."
Während es im Lauf der Menschheitsgeschichte im länger gedauert hat, bis der einzelne ausgewachsen war, wurde die Stillzeit durch eine bessere Versorgungslage bzw. Fleisch immer kürzer. Das führte zu einer höheren Geburtenrate, was den Forschern zufolge die Ausbreitung des Menschen und seine Geschichte in irgendeiner Form beeinflusst haben muss. Theorien, denen zufolge der Fleischkonsum die menschliche Entwicklung entscheidend vorangetrieben hat, könnten damit letztlich doch Recht behalten.
Eva Obermüller, science.ORF.at