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Dominique Strauss-Kahn bei der Gerichtsverhandlung in New York

Vom Mittelalter bis zu DSK

Was auch immer Dominique Strauss-Kahn in der "Sexaffäre" tatsächlich gemacht hat: Die Bilder, die ihn in Handschellen zeigten, gingen um die Welt. Bilder sind die beste Methode, um Menschen öffentlich bloßzustellen. Angewandt wird sie seit dem Mittelalter, als man "Schandbilder" von Verurteilten an die Wände pinselte.

Schandbilder 19.06.2012

Mit der Moderne wurden die Bilder durch Fotografien ersetzt, wie der Kunsthistoriker Christian Joschke erklärt. Der Effekt bleibt aber der gleiche: Ruf und Ehre einer Person sollen zerstört werden.

science.ORF.at: Die Kunstgeschichte ist voller Porträts. Sie haben sich mit dem "schwarzen Schaf" dieser Tradition beschäftigt, Bilder, die gegen den Willen der Betroffenen gemacht wurden. Warum?

Christian Joschke: In den vergangenen Jahren sind immer wieder Bilder in die Presse gelangt - sei es bei den arabischen Revolutionen oder in anderen Fällen - die versucht haben, den Ruf einer Person zu schädigen. Damit ist ein Genre wieder aufgegriffen worden, das bereits seit dem Mittelalter existiert: Porträts, die nicht die Würde oder den sozialen Status einer Person darstellen, sondern Ehre und Ruf zerstören sollen. Das wollte ich mit dem historischen Begriff des "Schandbildes" aufgreifen, den es schon seit dem Mittelalter gibt, und ihn für die Neuzeit anwenden.

Wo liegen die historischen Wurzeln dieser Schandbilder genau?

Die ersten sind aus der Mitte des 13. Jahrhunderts bekannt und stammen aus italienischen Städten wie Bologna, Modena und Florenz. Die kommunalen Gerichte verurteilten z.B. gestürzte Tyrannen, Hochverräter oder korrupte Beamte nicht nur zum Tode, zu körperlicher Züchtigung und zu Geldstrafen, sondern auch dazu, dass ihre Porträts auf öffentliche Wände gemalt wurden. Diese Schandbilder waren nicht die Veröffentlichung eines Gerichtsentscheids, sondern eine echte symbolische Strafe. Damit wurden Ruf und Erinnerung angegriffen, und zwar nicht nur des Verurteilten selbst, sondern auch von seiner Familie und seinen Nachfolgern.

Anfertigung eines Schandbildes in Florenz (Zitiert aus A. Poliziano, Conjurationis pactiane commentarium, Neapel, 1769)

A. Poliziano, Conjurationis pactiane commentarium, Neapel, 1769

Anfertigung eines Schandbildes in Florenz (Zitiert aus A. Poliziano, Conjurationis pactiane commentarium, Neapel, 1769): rechts das gesamte Bild, oben ein Detailausschnitt, der das Bemalen der Wand mit einem Schandbild zeigt.

Anfertigung eines Schandbildes in Florenz (Zitiert aus A. Poliziano, Conjurationis pactiane commentarium, Neapel, 1769)

A. Poliziano, Conjurationis pactiane commentarium, Neapel

Das Ganze hatte auch ein Ablaufdatum, nach einer bestimmten Zeit wurden die Bilder wieder entfernt. Eine ähnliche Funktion hatte eine andere Praxis, die es zeitgleich in Mitteleuropa gab: die Schand- und Schelterbriefe, in denen Porträts von Personen gemalt werden, die ihre Schulden nicht zurückgezahlt haben.

Porträtbild des Kunsthistorikers Christian Joschke

IFK

Christian Joschke ist Universitätsdozent für Fotogeschichte an der Université Lyon II und derzeit Research-Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien.

Vortrag zum Thema in Wien:

Am 18.6. hält Christian Joschke einen Vortrag mit dem Titel "Schandbilder der Neuzeit. Porträt und Schande im Zeitalter der Fotografie".

Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17,
1010 Wien; Zeit: 18 Uhr c.t.

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Wie lange hat es diese Schandbilder gegeben?

Noch bis ins 19. Jahrhundert, obwohl sie immer seltener geworden sind. Es hat aber noch im 18. und 19. Jahrhundert berühmte Fälle von Bestrafungen "in effigie" - also die symbolische Bestrafung anhand von Bildnissen - gegeben. Etwa die Hängung einer Stoffpuppe o. ä. des Grafen Gyula Andrássy, der an der Märzrevolution 1848 in Pest teilgenommen hatte und 1851 von einem k.u.k.-Militärgericht in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden ist. Er ist geflohen und wurde dennoch symbolisch hingerichtet. Galgen wurden auf einem öffentlichen Platz in Pest aufgerichtet für Andrássy, Lajos Kossuth und andere Vertreter der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung, und die Puppen mit ihren Namen gehängt. Einige Jahre danach wurde das Urteil gegen Andrássy wieder aufgehoben, und er wurde von Kaiser Franz Joseph zum ungarischen Ministerpräsidenten ernannt.

Warum sind Schandbilder danach aus der Mode gekommen?

Es gibt sie meines Erachtens noch immer, nur hat sich ihre Praxis stark verändert. Schandbilder waren lange Teil des Strafrechts, im preußischen Landrecht etwa bis Ende des 19. Jahrhunderts. Mit dem Aufkommen der Fotografie und der Modernisierung der Polizeibehörden wandelte sich das. Bilder wurden nun v.a. für die Fahndung eingesetzt, die Polizei stellte sie her und brachte sie in die Öffentlichkeit. Das waren zwar keine klassischen Schandbilder mehr, weil es keinen Gerichtsentscheid für ihre Veröffentlichung gab, sie wirkten aber genauso und zerstörten Ruf und Ehre einer Person. Zeitgenössische Zeugenaussagen vom Beginn des 20. Jahrhunderts zeigen, wie sie sehr sich ausgestellte Personen herabgewürdigt fühlten. Das Monopol der symbolischen Gewalt blieb beim Staat, aber er wechselte von der legislativen zur exekutiven Macht.

Welche Rolle spielen dabei die Massenmedien?

Sie sorgen für die Verbreitung der Bilder, dahinter steht eine Neudefinition von "Öffentlichkeit" und "öffentlicher Meinung". In der frühen Neuzeit war Öffentlichkeit ein fast geografisch zu bezeichnender öffentlicher Raum, ab dem 19. Jahrhundert wird das zunehmend ein virtueller, von Massenmedien hergestellter.

Profil- und Porträtbild von François Cornu, Mörder von Mme Duperray in 1923 in Martoret (Loire), in Abwesenheit verurteilt und in Troyes erfasst

Le Petit Parisien, Musée Nicéphore Niépce

Profil- und Porträtbild von François Cornu, Mörder von Mme Duperray in 1923 in Martoret (Loire), in Abwesenheit verurteilt und in Troyes erfasst

Sie haben ein Beispiel mitgebracht, bitte erklären Sie, was man da sieht. (Bild oben)

Das ist ein Porträt von François Cornu, ein Mörder, der 1923 in Frankreich zuerst in Abwesenheit verurteilt und dann von der Polizei 1931 festgenommen wurde. Die Bilder stammen aus den Polizeiakten: Profil und Gesicht von vorne, die Methode stammt vom Leiter des Pariser Erkennungsdienstes Alphons Bertillon und war ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts der Standard zur Identifizierung von Personen. Die Polizei hat die Bilder einem Journalisten der Tageszeitung "Le petit Parisien" gegeben, der sie dann für die Illustration einer Geschichte verwendet hat - das war kein Fahndungsfoto als solches, die Fotos wurden nach der Verhaftung von Cornu veröffentlicht. Die Zeitung hat dann quasi Photoshop mit analogen Mitteln betrieben. Das Porträt wurde zum Teil mit weißen und grauen Farben übermalt, um die Kontraste zu erhöhen und den Gesichtsausdruck für den Druck besser zur Geltung kommen zu lassen, die Druckqualität war nämlich nicht sehr gut. Das ist eine Zwischenetappe zwischen Fahndungsbild und Schandbild, der Prozess der Veröffentlichung zeigt diesen Übergang zum Schandbild, zur symbolischen Anprangerung.

Heute regeln Gesetze, was man mit Bildern tun darf und was nicht, aber als Strafe sind sie im Rechtssystem nicht mehr vorgesehen. Dennoch werden sie so verwendet …

Der Effekt der symbolischen Bestrafung von Ehre und Ruf wird heute genauso empfunden. Natürlich gibt es Gesetze: So gibt es ein Recht auf das eigene Bild, das aber eine Ausnahme hat: nämlich wenn Sicherheitsinteressen im Spiel sind, also Steckbriefe, Fahndungsfotos etc. dürfen verbreitet werden. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Ereignissen in letzter Zeit, die dieses Recht auf das eigene Bild verletzt haben: Bilder von Verdächtigen, die in die Öffentlichkeit gelangt sind, ohne dass die betroffenen Personen verurteilt worden sind, und die auch nicht als Fahndungsbilder benutzt wurden.

Etwa die Handschellenbilder von Dominique Strauss-Kahn …

Ja, dieser Fall ist sehr typisch. Er zeigt den Unterschied zwischen dem französischen und dem amerikanischen Recht auf das eigene Bild. In Frankreich darf ein Verdächtiger nicht als Festgenommener oder Häftling abgebildet werden, bevor ein Urteil gefällt wurde, in den USA schon. Über diese Zurschaustellung von Verdächtigen (Perp Walk), die in Amerika polizeiliche Praxis ist, wurde auch dort heftig diskutiert.

Abgesehen vom Juristischen. Warum wirken moderne Schandbilder wie die von Strauss-Kahn so anziehend auf ihre Betrachter?

Das ist eine gute Frage für Kunsthistoriker (lacht), die Antworten sind natürlich komplex. Nur ganz kurz: Zum einen stellen Bilder einen unmittelbaren Bezug zu dem her, was dargestellt wird. Zum anderen sind Bilder nicht nur Repräsentationen von Fakten, Objekten oder Personen, sondern auch Akte, die in der Gesellschaft eine Wirkung haben. Sie können auch eingesetzt werden und agieren in sozialen Verhältnissen, wie das der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp beschrieben hat. Schandbilder führen uns das sehr gut vor Augen.

Sind Sie bei Facebook?

Nein. Ich halte das für Zeitverschwendung und will mit meinen Freunden anders kommunizieren. Außerdem ist es sehr problematisch, wie Facebook mit den Informationen seiner User umgeht.

Das soziale Netzwerk besteht ja aus vielen Porträts, beim umstrittenen Vorgänger Facemash konnte man Bilder von Studenten und Studentinnen ohne ihr Wissen miteinander vergleichen: Geht das auch in Richtung moderne Schandbilder?

Das wäre eine sehr weite Definition von Schandbildern. … Auf jeden Fall war es eine unbefugte Reproduktion von Porträts. Der Erfolg von Facebook zeigt jedenfalls die Wichtigkeit von Porträts und die unglaubliche symbolische Gewalt, die durch diese Medien erzeugt werden. Je mehr technische Medien man in der Verwaltung von Ehre und Ruf einsetzen kann, desto mehr symbolische Gewalt ist präsent. Mit Facebook ist ein Ort entstanden, wo sich diese Gewalt ausdrückt und das ist nicht nur rechtlich problematisch.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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