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Künstlerische Darstellung des Sternensystems

Planetenentstehung anders als gedacht

Ein internationales Team von Astronomen bezweifelt gängige Theorien über die Entstehung von Planeten. Sie haben das rasante Verschwinden eines Staubgürtels um einen Stern beobachtet. Eine mögliche Folgerung: Planeten könnten sich in wenigen Jahren formieren, viel schneller als bisher angenommen.

Astronomie 05.07.2012

Die Studie:

"Rapid disappearance of a warm, dusty circumstellar disk" von Carl Melis et al. ist am 5.7. in "Nature" erschienen.

Viele junge Sterne sind von ringförmigen Scheiben umgeben. Diese Ringe, optisch vergleichbar mit denen des Saturns, bestehen aus Gasen, Asteroidenbruchstücken und vor allem Staubpartikeln. Die Staubteilchen sind kleiner als ein Sandkorn. Sie stoßen in der Umlaufbahn der Sterne zusammen und verschmelzen dabei.

Diese Staubklumpen werden immer größer, schlucken weitere Teilchen und werden schließlich zu Planeten. Die Staubwolke verschwindet dabei. Soweit die gängige Theorie zur Entstehung von Planeten. Die Dauer dieses Vorgangs wurde von Astronomen bis dato mit mehreren hunderttausend Jahren beziffert.

Verschwundener Staubgürtel

Eine neue Studie stellt diese Annahmen nun in Frage. Ein internationales Forscherteam geht davon aus, dass sich Planeten wesentlich schneller entwickeln als bisher angenommen. Ausgangspunkt der Studie war eine überraschende Entdeckung: Die Staubwolke eines jungen Sterns in der Sternenkonstellation von Skorpion und Zentaur verschwand innerhalb von drei Jahren komplett.

"In der Astronomie ist man bis jetzt davon ausgegangen, dass die Auflösung einer so großen Menge stellaren Staubes mehrere hunderttausend Jahre, manchmal sogar Millionen Jahre braucht", so Inseok Song von der University of Georgia, Co-Autor der Studie. "Was wir gesehen haben, war wesentlich schneller als das und wurde zuvor noch nie beobachtet oder überhaupt vorhergesagt. Das sagt uns, dass wir noch sehr viel mehr über die Entstehung von Planeten zu lernen haben."

Entdeckung des Sterns vor 30 Jahren

Die Astronomen wurden 1983 zum ersten Mal auf besagten Stern aufmerksam. Er war zu diesem Zeitpunkt von einem großen Staubgürtel umgeben. Weil der Staub die Energie des Sterns absorbiert, gibt er Wärmestrahlung ab. Diese konnte im infraroten Bereich von einem astronomischen Satelliten, dem IRAS, gemessen werden.

Künstlerische Darstellung des "staubigen" Planetensystems

Gemini Observatory/AURA artwork von Lynette Cook

Künstlerische Darstellung des "staubigen" Planetensystems

Die Wissenschaftler beobachteten diesen Stern dann wieder in den Jahren 2008 und 2009, mithilfe des Bodenteleskops im Gemini South Observatory in Chile. 2008 waren die Größe des Staubgürtels und die damit verbundene Infrarotstrahlung noch vergleichbar mit den Messungen aus dem Jahr 1983. 2009, bei einer erneuten Messung, machte das Forscherteam dann eine überraschende Entdeckung: Die Infrarotabstrahlung war um zwei Drittel gesunken.

Untersuchungen der NASA im Jahr 2010 ergaben dann, dass der stellare Staub fast gänzlich verschwunden war. Um diese Erkenntnisse verifizieren zu können, überprüften die Wissenschaftler ihre Beobachtungen mit zwei weiteren Teleskopen, einem in Japan und einem in Deutschland. Beide zeigten die gleichen Ergebnisse: Der Staubgürtel war innerhalb von zwei Jahren verschwunden.

Unterschiedliche Erklärungsmodelle

"Es ist so, als ob man heute ein ganz gewöhnliches Bild des Planeten Saturns machen würde. Wenn man es dann zwei Jahre später wiederholen möchte, muss man feststellen, dass seine Ringe einfach verschwunden sind", ergänzt Ben Zuckerman von der Universität von Los Angeles.

Die Wissenschaftler untersuchen nun verschiedenen Erklärungen für das Verschwinden dieses Staubgürtels. Jeder dieser Erklärungsansätze stellt konventionelle Annahmen über die Entstehung von Planeten und Sonnensystemen in Frage.

Der Staubgürtel könnte verschwunden sein, weil sich innerhalb dieser kurzen Zeit aus den Staubpartikeln Planeten geformt haben. Die Forscher gehen davon aus, dass das unter guten Bedingungen möglich sei. Doch bestätigen können sie diese Annahme nicht. Denn der beobachtete Stern ist 450 Lichtjahre entfernt. Planeten in seinem Umfeld sind mit heutiger Technologie nicht zu erkennen.

Ein weiterer Erklärungsansatz der Forscher besagt, dass der Stern selber den Staubgürtel absorbiert haben könnte. Der Stern hätte dann den Planetenrohstoff eliminiert. Die Entstehung von Planeten wäre dann wesentlich unwahrscheinlicher als bisher gedacht.

Lawinen auf Kollisionskurs

Ein drittes Erklärungsmodell geht davon aus, dass der Staub aus der Umlaufbahn des Sternes hinausgeschleudert wurde. Der konstante Photonenstrom, der vom Stern ausgeht, könnte die Staubpartikel von ihm weg und in einander gedrückt haben. Es bilden sich dann Staubkugeln, die den Orbit der Sonne verlassen und wie eine Lawine weggespült werden.

"Um zu schätzen, wie viele Sterne ein Planetensystem haben, berechnen die Astronomen gerne den Prozentsatz der Sterne, die einen großen Staubgürtel um sich haben. Aber wenn unsere Erklärungen stimmen, dann können wir das nicht mehr machen. Viele Sterne ohne Staub haben dann vielleicht ein ausgereiftes Planetensystem, das einfach unauffindbar ist", betont Inseok Song.

Nächste Schritte

Wie bei den meisten wichtigen Entdeckungen werfen die Erkenntnisse der Wissenschaftler mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Das Forscherteam will nun systematisch Messungsdaten aus dem Jahr 1983 mit heutigen Daten vergleichen, um mehr Sterne zu finden, die ihren Staubgürtel abgebaut oder vielleicht auch wieder aufgefüllt haben. Ziel ist es, die Häufigkeit dieser Prozesse zu erfassen und in letzter Konsequenz verstehen zu können, wie Planeten entstehen.

"Viele Astronomen werden sich mit unseren Erklärungsmodellen unwohl fühlen, denn sie stellen viele etablierte Theorien in Frage", stellt der Astronom Inseok Song fest. "Aber meine Hoffnung ist, dass sie uns die Planetenentstehung bald wirklich verstehen lassen."

Marlene Nowotny, science.ORF.at

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