Die Annahme, dass ein Lügner anhand seines Blicks entlarvt werden kann, ist weit verbreitet. Diese Behauptung entstammt der umstrittenen Kommunikationstechnik der "Neurolinguistischen Programmierung" (NLP). Die NLP ist eine Sammlung unterschiedlicher psychologischer Methoden.
Die Studie:
"The Eyes don't have it: Lie Detection and Neuro-Linguistuic Programming" von Caroline Watt et al.
ist in PloS ONE erschienen.
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 12.7., 13:55 Uhr.
Ihre Anwendung hat das Ziel, die Kommunikationsfähigkeit der Menschen zu verbessern. Eine grundlegende Annahme der NLP betrifft die Beziehung von Gedanken und Augenbewegungen: Wenn Menschen nach rechts schauen, dann denken sie an etwas Konstruiertes, etwa eine erfundene Begebenheit, und wenn Menschen nach links schauen, dann erinnern sie sich und stellen sich etwas vor, was wirklich passiert ist.
Drei Experimente - ein Ergebnis
Eine internationale Gruppe von Psychologen hat den von NLP-Anhängern propagierten Zusammenhang von Blickrichtung und Wahrheitsgehalt nun in einer Studie überprüft. Mit dem Ergebnis, dass diese neuronale Verknüpfung nicht existiert. In drei Experimenten wurden die Augenbewegungen der Probanden analysiert, während sie gelogen bzw. die Wahrheit gesagt haben. Die von der NLP behauptete "Reiz-Reaktions-Kette" konnte in keiner der drei Versuchsanordnungen entdeckt werden.
"Viele Menschen glauben, dass die Augenbewegungen ein Hinweis auf Lügen sind. Diese Behauptung wird sogar in unternehmerischen Effizienztrainings unterrichtet", stellt die Psychologin Caroline Watt fest. "Die Ergebnisse unsere Studien unterstützen diese Annahme überhaupt nicht und plädieren dafür, diesen Ansatz als nachweislichen Betrug abzulegen."
Rechtshänder lügen offensichtlicher?
Am ersten Experiment haben 32 rechtshändige Studenten und Studentinnen der Universität Edinburgh teilgenommen. Denn laut NLP wäre der Zusammenhang von Augenbewegungen und Lügen bei Rechtshändern am stärksten ausgeprägt. Im ersten Schritt sollten die Probanden das Mobiltelefon des Studienleiters in ein Büro zu bringen, es dort in ihre eigene Tasche stecken und sich dann in einen Befragungsraum begeben. Auf die Fragen: "Was haben Sie in dem Büro gemacht?", "Welche Objekte haben sich in der Schreibtischlade befunden?" und "Welche Form hatten die Objekte in der Schreibtischlade?" sollten die Teilnehmer mit Lügen antworten. Sie sollten angeben, dass sie das Telefon in die Schreibtischlade gelegt und die Objekte, die sie dort gesehen hätten, beschreiben.
In einem zweiten Schritt sollten sie das Handy wirklich in die Schreibtischlade legen und die dort gesehenen Objekte wahrheitsgetreu beschreiben. In beiden Fällen wurden sie vom Studienleiter interviewt und gefilmt. Danach wurde sie von einem zweiten Psychologen, der nicht wusste, ob die Probanden logen oder nicht, befragt. Die exakte Analyse des Videomaterials führte zu keinem signifikanten Ergebnis. Egal ob Lüge oder Wahrheit, die Augen der Untersuchungsteilnehmer wanderten genauso oft nach rechts wir nach links.
Intuitive Analyse
NLP-Anhänger könnten nun argumentieren, dass wissenschaftliche Videoanalysen nichts mit den Kommunikationstechniken der Neurolingualen Programmierung zu tun haben. Denn Menschen würden das Lügen eines anderen intuitiv und in Echtzeit registrieren. Deswegen wurde das Videomaterial aus Experiment Nummer eins in einem zweiten Verfahren an der Universität Hertfordshire analysiert.
50 Personen wurden für dieses Experiment rekrutiert. Die eine Hälfte wurde über den von der NLP behaupteten Zusammenhang von Augenbewegungen und Lügen informiert und trainiert, darauf zu achten. Die anderen 25 Personen wurden nicht aufgeklärt. Nun sollten sie das Videomaterial ansehen und die Lügen von den wahren Aussagen unterscheiden. Auch von "intuitiv" Analysierenden konnte kein signifikanter Unterschied herausgearbeitet werden.
Lügen im Labor, Lügen im Alltag
Da die Lügner ihre Unwahrheiten im Rahmen einer Studie verbreitet haben und für sie dabei nichts auf dem Spiel stand, haben die Psychologen ein drittes Experiment angesetzt. Videomaterial von 52 Pressekonferenzen wurde gesammelt. Auf diesen Videos sind Menschen zu sehen, die über das Verschwinden eines Verwandten sprechen und in den Medien um die sichere Rückkehr dieser Personen bitten.
Ob diese Menschen lügen oder nicht, wurde bereits wissenschaftlich geklärt. Die Lügner haben zum Beispiel wesentlich weniger Wörter benutzt, sich zögernd geäußert und öfter mit den Augen geblinzelt. Diese Verhaltensweisen wurden später mit dem Beweismaterial kriminalistischer Untersuchungen in Verbindung gebracht: Jene Menschen, die als Lügner identifiziert wurden, waren die eigentlichen Entführer, Mörder oder Mitwisser.
Ihre Augenbewegungen und Blickrichtung sind jedoch noch nicht berücksichtigt worden - was die Forscher nun nachgeholt haben. Jedes Video wurde von zwei Personen analysiert. Und wieder gab es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen den Augenbewegungen und dem Wahrheitsgehalt der Aussagen.
NLP sollte nicht Entscheidungsgrundlage sein
In allen drei Experimenten konnten keine Beweise für die NLP-Behauptung gefunden werden. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit zahlreichen anderen psychologischen Studien: Kleine Bewegungen von Gesicht und Augen sind keine guten Beweise für einen Täuschungsversuch.
In einem weiteren Schritt soll nun untersucht werden, warum Menschen dennoch an diesem Irrglauben festhalten. Einen Erklärungsansatz sehen die Psychologen im Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Denn Menschen tendieren dazu, sich nur die Ereignisse zu merken, in denen ihre Annahmen bestätigt werden und schließen daraus auf eine Gesetzmäßigkeit.
Nun soll untersucht werden, ob auch der zufällige Zusammenhang von Blickrichtung und Lügen speziell erinnerungswürdig ist. Für die Forschergruppe aus England, Schottland und Kanada steht auf jeden Fall fest, dass es unverantwortlich ist, Menschen dazu aufzufordern, sich an diesem NLP-Glauben zu orientieren und wichtige Entscheidungen davon abhängig zu machen.
Marlene Nowotny, science.ORF.at
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