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Ein Schaltkreis des Fab Lab am MIT

Elektronische Zwerge als technologische Riesen

Mikrochips waren gestern. Die Prozessoren und Schaltkreise, die heute in der Nanoelektronik verarbeitet werden, befinden sich in der Größenordnung von Millionstel Millimetern. Europa kann ein wichtiger Produktionsstandort dieser Schlüsseltechnologie bleiben - jedoch nur bei gezielter Forschungsförderung und internationaler Zusammenarbeit.

Technologiegespräche Alpbach 25.07.2012

Im Interview mit science.ORF.at spricht der Elektrotechniker Lothar Pfitzner über wichtige Einsatzgebiete der Nanoelektronik und Neuerungen im Produktionsprozess. Denn die Innvovationskraft Europas kann Länder wie Österreich und Deutschland als Fertigungsstätten von Nanoelektronik langfristig konkurrenzfähig machen.

Universität Erlangen-Nürnberg

Lothar Pfitzner ist Leiter der Abteilung für Halbleiterfertigungsgeräte und - methoden am Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie und Professor für elektronische Bauelemente an der Universität Erlangen-Nürnberg.

science.ORF.at: Die Nanoelektronik stellt einen wachsenden Industriezweig dar. In welchen Bereichen wird diese Technologie in Zukunft besonders wichtig sein?

Lothar Pfitzner: Die Nanoelektronik hat unglaublich viele Einsatzfelder. E-mobility ist zum Beispiel eines davon, also die Herstellung und Verbesserung von Elektro- und Hybridautos, Elektroräder oder - roller. Dieser Bereich ist in den letzten Jahren hochaktuell geworden, weil man im Transport verstärkt auf erdölfreie- bzw. erdölarme Fortbewegung setzt. Solche Elektrofahrzeuge erfordern aber einen hohen Kontrollaufwand durch Leistungselektronik . Und dafür werden kleinste Bauelemente benötigt, die aus der Nanoelektronik kommen. ´

Die Zuverlässigkeit solcher kontrollierenden und steuernden Bausteine ist genauso wichtig und gleichermaßen komplex, wie von Bausteinen modernster Computerprozessoren. Weitere Anwendungsfelder sind etwa die Medizin-, Energie- oder Kommunikationstechnik. In diesen Bereichen ist Europa absolut wettbewerbsfähig, ja sogar führend.

Was ist die Basistechnologie dieser Nanoelektronik?

Es handelt sich um eine hochdichte Packung von elektronischen Grundbausteinen, die sich auf einem gemeinsamen Substrat, dem Silicium- Chip, befinden. Und die können Leistungen schalten, Kontrollfunktionen übernehmen oder auch als Steuerung fungieren. Also wie ein Mikrochip, nur die Größe der elektronischen Bauteile hat mittlerweile Nanometerdimension erreicht.

Seit wann beschäftigt sich die Wissenschaft mit Mikro- bzw. Nanoelektronik?
Vor über 40 Jahren hat man begonnen, sich mit solchen elektronischen Miniaturschaltungen auseinander zu setzen. Die Mikroelektronik gehört ja zur Halbleiterelektronik. Auch in diesen Schaltungen finden sich Dioden, Widerstände oder Transistoren, aber natürlich in Miniaturgröße. Am Beginn der Mikroelektronik war die Größenordnung ungefähr 10 Mikrometer. Das ist bereits bedeutend kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Ein Mikrometer entspricht einem Tausendstel-Millimeter. Aber im Vergleich zur Nanoelektronik von heute ist das riesengroß. Heute arbeiten wir mit Größenordnungen von 30 Nanometer und ein Nanometer entspricht einem Millionstel-Millimeter.

Technologiegespräche in Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Globale Zukunft - Erwartungen an Wissenschaft und Technologie".

Davor erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Lothar Pfitzner nimmt am 24. August am Arbeitskreis "Produktionsstandorte der Zukunft - Entscheidungsfaktoren, Chancen und Risiken" teil.

Beiträge zu den bisherigen Technologiegesprächen

Welchen Stellenwert haben Europa, und hier vor allem Österreich und Deutschland, als Produktionsstandorte für Nanoelektronik?

Das sind mit Sicherheit wichtige Fertigungsorte. Aber man muss leider sagen, dass dieser Produktionsbereich im Vergleich zu anderen Regionen, wie den USA oder Ländern Südostasiens, weniger stark wächst. Man muss auf jeden Fall versuchen, die Fertigung von Mikro- und Nanoelektronik in Europa zu behalten und zu erhalten. Denn diese Produktion ist die unabdingbare Voraussetzung für Industriezweige wie Medizintechnikanlagenbau, Kommunikationstechnologien, Energieinnovation oder eben auch Automobile.

Wenn die Produktion abwandert, dann ist es nur eine Frage der Zeit, dass die Fachleute und somit die Fachkenntnis, die in der Mikro- und Nanoelektronik steckt, auch abwandern. Die Europäische Union hat dieses Risiko bereits erkannt und deswegen wird die Nanoelektronik als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts von der Europäischen Kommission gezielt gefördert. Im Moment liefern die Europäer circa zehn Prozent der weltweit produzierten Mikro- und Nanoelektronik.

Womit kann Europa als Produktionsstandort punkten? Mit Innovation?

Das ist ohne Zweifel der Fall. Die Forschung und Entwicklung, die im Bereich der Mikro- und Nanoelektronik in Europa geleistet wird, ist überproportional groß. Und deswegen gibt es auch viele Möglichkeiten, zukünftige Produkte aus den vorhandenen Anwendungstechniken zu erarbeiten. Dieser Bereich wird auch mit vielen Projekten von der Europäischen Kommission gefördert.

Das Fraunhofer-Institut IISB gehört zu den Einrichtungen, die sich der Forschung und Entwicklung im Bereich der Nanoelektronik widmen. Wie eng kooperieren sie mit der Industrie?

Das Einverständnis, dass in diesem Technologiebereich von Forschung und Industrie eng zusammen gearbeitet werden muss, ist groß, und zwar in der gesamten Versorgungskette. Das heißt von der Grundlagenforschung, über die Verwendung bestimmter Materialien, bis zu den notwendigen Fertigungsgeräten und der Produktion selbst , arbeiten wir mit unterschiedlichen Partnern aus der Industrie zusammen und wir haben auch etliche Kooperationspartner in Österreich.

Eines ihrer letzten Projekte war eine internationale Kooperation zum Thema "mainentance", also zur Wartung und Aufrechterhaltung des Fertigungsbetriebs.

Bei diesem Projekt haben sich neun Standorte aus dem Bereich der Halbleiterfertigung - unter anderem in Kärnten, der Steiermark, Bayern, aber auch Frankreich, Irland und Sizilien - zusammengeschlossen. Es geht darum, die Ausfallsraten in der Produktion und die Wartungszeiten zu verkleinern. Ziel ist es, von einer „Wartung nach fixen Zeitintervallen“ wegzugehen und eine „vorausschauende Wartung“ zu betreiben (die häufig als "preventive" bzw. "predictive maintenance" bezeichnet wird). D.h. Wartung soll nicht erst dann stattfinden, wenn einem die Erfahrung sagt: "Es könnte etwas passieren", sondern der richtige Wartungszeitpunkt soll zielgerichtet prognostiziert werden.

Denn die Halbleiterproduktion ist ein hoch komplexer Bereich. Deswegen nutzen wir die schon eingebaute Sensorik mit innovativen Auswertungen und Korrelationen. Diese Daten werden dann mit Fertigungsdaten der Vergangenheit zusammengeführt und damit der richtige Zeitpunkt für die Wartung errechnet. So kann der nichtproduktive Betriebszustand von Anlagen rechtzeitig erkannt und clever in der Fertigungsplanung berücksichtigt werden.

Was heißt rechtzeitig in diesem Zusammenhang

Die meisten Anlagen in der Halbleiterfertigung sind 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche in Betrieb. Mit der "predictive maintenance", also mit der Vorhersage der Wartungsnotwendigkeit, kann man zum Beispiel einen Ausfall am Wochenende, wo nur eine reduzierte Anzahl von Ingenieuren und Technikern präsent ist, erkennen, rechtzeitig beheben und so laufend produzieren. Das ist ein großer Kostenvorteil, der die Fertigung hier in Europa, trotz der hohen Lohnkosten, attraktiv macht.

Um Europa als Produktionsstandort der Zukunft zu sichern, muss in Forschung und Entwicklung investiert werden. Welche Rolle spielt hier der universitäre Bereich, also die Grundlagenforschung und Ausbildung?

Dass man für Forschung und Entwicklung exzellent ausgebildete Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von den Universitäten braucht, ist klar. Hinzu kommt, dass es in der Halbleiterproduktion derart komplexe Fertigungsprozesse gibt, dass man selbst für die Produktion Mitarbeiter mit einem technischen Hochschulabschluss beschäftigen muss. Der universitäre Bereich darf also nicht vernachlässigt werden, um die Konkurrenzfähigkeit Europas im Bereich der Nanoelektronik zu stärken.

Interview: Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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