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Screenshot der PC-Oberfläche für ältere Menschen

Hilfreiche Häuser

Die Technik des Ambient Assisted Living - des umgebungsunterstützten Lebens - sollen in Zukunft alten Menschen den Alltag erleichtern. Derzeit wird vor allem zu Marktchancen, Akzeptanz und Standards geforscht. Der Schlüssel zum Erfolg könnte sein, die neuen Umgebungen nicht nur für alte Menschen, sondern für jeden zu nutzbar zu machen.

Technologiegespräche Alpbach 27.07.2012

"Haben Sie die Kaffeemaschine ausgeschaltet?"

Ein Pensionist geht zur Haustür, zieht seinen Mantel an, den Schlüssel ab und greift zur Türschnalle. In diesem Moment ertönt ein Gong und eine Anzeige neben der Tür verweist auf die noch eingeschaltete und heiße Herdplatte oder Kaffeemaschine. Willkommen in der Zukunft!

Demente Menschen könnten eines Tages beim Verlassen der Wohnung daran erinnert werden, bestimmte Dinge nicht zu vergessen: eben den Herd oder die Kaffeemaschine abzudrehen, das Licht auszumachen und die Fenster zu schließen. Ein akustisches Signal macht auf eine Anzeige in der Nähe der Wohnungstür aufmerksam, auf der dann die entsprechende Nachricht erscheint.

Hilfe in allen Lebenslagen

Technologiegespräche in Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Globale Zukunft - Erwartungen an Wissenschaft und Technologie".

Davor erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dem Thema Ambient Assisted Living widmet sich ein Arbeitskreis bei den Alpbacher Technologiegesprächen am 24. August. Reiner Wichert und Robert Pfarrwallner tragen dort vor.

Weitere Beiträge zu den Technologiegesprächen 2012:

Beiträge zu den bisherigen Technologiegesprächen

Die Technik des Ambient Assisted Living kann aber nicht nur Schaden an Haus und Wohnung vermeiden, sie kann Menschen auch direkt helfen. Der Teppich könnte erkennen, ob eine Person gestürzt ist, oder ein Medikamentenspender erinnert daran, eine Arznei einzunehmen.

Ambient Assisted Living ist aber nicht nur etwas für alte oder demente Menschen. Unter diese Technik fällt auch das automatische Steuern von Komponenten im Haus, sodass insgesamt weniger Energie verbraucht wird. "Für uns ist das auch Ambient Assisted Living: Unterstützung in allen Lebenslagen", sagt Reiner Wichert, Sprecher der Fraunhofer Allianz "Ambient Assisted Living" vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt.. Und: "Wenn sich Ambient Assisted Living nur auf Ältere bezieht, hat es kaum das Potential, sich am Markt durchzusetzen."

Die Industrie scharrt auch schon in den Startlöchern. "Der stetige demografische Wandel verändert die Alterspyramide in unserem Land dramatisch. Zusätzlich nehmen u.a. als Folge dieser zunehmenden Alterung auch die chronischen Erkrankungen stark zu. Diese Entwicklungen stellen unsere Gesellschaft vor enorme Herausforderungen", sagt J. Robert Pfarrwaller, der Generaldirektor von Philips Austria.

Suche nach dem Durchbruch

Denn gerade der Eintritt in den Markt ist laut Wichert derzeit noch die größte Hürde. Es gibt vieles als Prototyp, aber Absatz und Stückzahlen sind noch gering, die Preise hoch. "Das dreht sich im Kreis", sagt Wichert. Die Benutzer wollen die Technik billiger. Die Industrie ist jedoch nicht bereit, die Geräte und Programme um diesen Preis auf den Markt zu bringen. Ziel der Forschung ist derzeit daher vor allem auch, geeignete Geschäftsmodelle zu finden. Dazu kann etwa die Kooperation mit Baugenossenschaften und Sozialen Einrichtungen gehören, durch die Ambient Assisted Living weiter verbreitet werden könnte.

Ähnlich sieht es auch Robert Pfarrwaller: "Dank intelligenter Technikunterstützung sollen künftig insbesondere ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben können. Dazu müssen heute schon die richtigen, umsetzbaren Konzepte mit allen Akteuren der Gesundheitsversorgung - Technologieentwickler, Industrie, Mediziner, Krankenkassen, Verbände, Sozial-Gesundheits-Dienstleiter, Interessenvertretungen, Wohnungswirtschaft und Psychologen - diskutiert und entwickelt werden."

Virtuelle Diener

Ambient Assisted Living könnte alten Menschen auch helfen, sozial aktiv zu bleiben. Spezielle Plattformen könnten fördern, mit anderen in Kontakt zu bleiben, sich zum Beispiel einen gemeinsamen Konzerttermin auszumachen. Das hebt das Selbstwertgefühl und vermindert Depressionen.

Da alte Menschen meist unerfahren mit Computern sind, braucht es eigene Oberflächen dafür. Die Systeme könnten auf dem Fernseher laufen oder auf einem Tablett-PC. Sogenannte Avatare, virtuelle Figuren, könnten dort erscheinen und Menschen motivieren, mit anderen in Kontakt zu treten. Derzeit werden solche Systeme in Altersheimen getestet. Die Rückmeldungen dazu fließen in die Entwicklung ein.

Ein Handy gegen Übergewicht

Ambient Assisted Living ist aber nicht nur etwas für Alte: Auch für junge Kranke hat AAL etwas zu bieten: So könnte ein Beschleunigungsmelder im Handy erkennen, wenn sich Kinder mit Adipositas zu wenig bewegen und das Handy kann sie daran erinnern. Dies auszutricksen wäre Wichert zufolge nichts, was ihm Sorgen bereitet. Zum einen gehört zum begleitenden Konzept auch das Vermitteln des Sinns von mehr Bewegung an die Kinder und zum anderen ist es auf Dauer auch anstrengend, ein Telefon ständig zu schütteln.

Um sich breit am Markt durchzusetzen, ist manchmal auch das Image von Ambient Assisted Living hinderlich. Denn so hilfreich die Technik sein kann: Sie wird oft mit alten und kranken Menschen in Zusammenhang gebracht. Doch wer will schon gerne alt und krank sein - oder es sich eingestehen.

Die Technik sollte Wichert zufolge daher anders vermarktet werden: nicht als Lösung für Kranke, sondern als eine, die das Leben erleichtert. "Einfacher und sicherer Leben, darum geht es", sagt Wichert. So kann die gleiche Technik, die bemerkt, ob man stürzt, auch erkennen, wo man sich in der Wohnung aufhält, und beim Verlassen eines Raumes das Licht hinter einem abdrehen und damit Strom sparen.

Vor unerwünschten Nebenwirkungen …

Aber was, wenn die Technik das Leben zu bequem macht, sich Menschen dann zu wenig bewegen? Auch daran denken die Forscherinnen und Forscher. Mögliche Nebeneffekte werden untersucht. Die Forscher rechnen damit, dass die Intelligente Wohnumgebung den Nutzer auf die mangelnde Bewegung hinweist und Vorschläge macht, wie das geändert werden kann. So sind bewegungsbasierte Konsolenspiele schon jetzt für viele Menschen ein gutes körperliches Training.

Nachteile können auch in den Erinnerungsfunktionen von Ambient Assisted Living stecken: Wer bei jedem Verlassen des Hauses auf das Abdrehen des Herds hingewiesen wird, hört irgendwann vielleicht auf, darüber nachzudenken. Beim Entwickeln der neuen Technik sollte man Vorsicht walten lassen, sagt Wichert, der seine Forschungsprojekte gemeinsam mit Soziologen und Psychologen durchführt, um den Umgang der Menschen mit der neuen Technik besser zu verstehen.

Ein wichtiger Punkt ist Wichert zufolge auch, die Technik zu standardisieren. Damit könnte vermieden werden, dass manche Komponenten mehrfach gekauft werden und vorliegen müssen. Wenn ein Haushalt bereits mit bestimmten Sensoren für eine Aufgabe ausgestattet ist, sollte diese ein neues System, das dazu kommt, auch gleich nutzen können, anstatt dass mit jedem System zusätzliche Sensoren angebracht werden müssen.

Mark Hammer, science.ORF.at

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