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Salutierender NASA-Roboter

Roboter, befreit euch!

Kreativität und Freiheit sind nach Ansicht von Hans Briegel nicht dem Menschen vorbehalten. In einem Interview erklärt der Quantenphysiker, wie Roboter zu eigenständigen Wesen werden könnten. Ein Gespräch über Zufall, Intelligenz und Sinn im "Roboterhirn".

Künstliche Intelligenz 03.08.2012

science.ORF.at: Sind Sie aus freien Stücken zu diesem Interview gekommen?

Hans Briegel: Natürlich, wir hatten es ja vorher abgemacht. Es war mein freier Entschluss.

Folgt Ihr Verhalten physikalischen Gesetzen?

Es ist jedenfalls verträglich mit physikalischen Gesetzen.

Ist das ein Widerspruch zum Konzept des freien Willens?

Nein, auch wenn die Frage gerechtfertigt ist. Es sieht so aus, als ob man sich von den Naturgesetzen lösen müsste, um zur Freiheit zu gelangen. Aber ich glaube, dass das nicht notwendig ist.

Hans Briegel

IQOQI

Hans Briegel lehrt und forscht an der Universität Innsbruck sowie am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Akademie der Wissenschaften. Forschungsgebiete: Theoretische Quanteninformation und Quantencomputation, Künstliche Intelligenz.

Studien zum Thema:

"On creative machines and the physical origins of freedom", Scientific Reports (doi: 10.1038/srep00522).

"Projective simulation for artificial intelligence", Scientific Reports (Bd. 2, S. 400; doi: 10.1038/srep00400).

Max Planck hat allerdings gesagt: Das Ich ist von den Naturgesetzen unabhängig.

Das sehe ich nicht so. Ich strebe ein einheitliches Weltbild an. Die Möglichkeit von freiem Verhalten muss verträglich sein mit unserer Einsicht in die Natur und ihre Gesetze.

Sie haben kürzlich zwei Arbeiten zum Thema Künstliche Intelligenz veröffentlicht, in denen Sie die Freiheit mit dem Determinismus der Physik gewissermaßen versöhnen. Worum geht es darin?

Um ein Modell der Informationsverarbeitung für intelligente Agenten, das eine rudimentäre Form von kreativem und freiem Verhalten erlaubt.

Was sind Agenten?

Agenten sind Systeme, die in enger Wechselwirkung mit ihrer Umgebung stehen und dabei zu eigenständigem und lernendem Verhalten fähig sind. Dabei kann es sich um natürliche, das heißt biologische Agenten handeln oder um künstliche Agenten, zum Beispiel in Form von Robotern.

Wie entwickeln diese Roboter freies Verhalten?

Um kreatives und ansatzweise so etwas wie freies Verhalten zu erzeugen, sind die klassischen Modelle der theoretischen Informatik - etwa die Turingmaschine oder der Von-Neumann-Computer – meines Erachtens nicht gut geeignet. Die Formulierung mit Hilfe von intelligenten Agenten liefert hier einen besseren Ausgangspunkt.

Wie funktioniert der intelligente Agent laut Ihrer Theorie?

Eine zentrale Rolle in unserem Modell spielt der Begriff der projektiven Simulation. In der Wissenschaft gehören Simulationen mit Hilfe von Computern ja zum Tagesgeschäft - von der Physik bis zur Biologie. Eine Simulation ist im Prinzip ein Modell der Wirklichkeit.

Für den Agenten besteht die Wirklichkeit allerdings nur aus seinen Erfahrungen. Und in unserem Modell ist er gewissermaßen ständig damit beschäftigt, sich selbst zu simulieren. Um das zu ermöglichen, kann er Fragmente von Erfahrungen in einem Netzwerk von sogenannten Clips in seinem Speicher ablegen. Sieht er zum Beispiel etwas, reagiert er darauf und hat damit Erfolg oder Misserfolg.

Dieses Erlebnis verändert seine Erfahrung und beeinflusst damit sein zukünftiges Verhalten. Der Agent kann die Erinnerungsfragmente aber auch zu neuen Episoden zusammenfügen, bis hin zu völlig fiktiven Variationen des bisher Erlebten. Er spielt in seinem Gedächtnis Möglichkeiten durch, handelt, dadurch entstehen neue Optionen usw.

Der Agent entwickelt Hypothesen und testet sie an der Welt?

Ja, obwohl das ein wenig so klingt, als wäre das ein bewusster Prozess. Der Agent muss kein Bewusstsein haben.

Im Sinne des bisher Gesagten: Was macht den Agenten nun frei?

Der von ihm selbst geschaffene Spielraum seiner Möglichkeiten. Würde er nur vorgegebene Regeln ausführen, wäre er nicht frei. Wären seine Handlungen andererseits an einen externen Zufallsgenerator gekoppelt, wäre er auch nicht frei. Der Agent macht sich aber den Zufall gewissermaßen intern zunutze, nämlich als Teil der Simulation, um neue Handlungsmöglichkeiten zu erzeugen.

Freiheit ist Möglichkeit mal Zufall?

Könnte man sehr verkürzt sagen. Wobei man hinzufügen muss: Im Zufall, das heißt in den Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Clips, steckt seine gesamte Geschichte. Das ist nicht der blinde Zufall.

Im Prinzip ist das auch beim rationalen menschlichen Handeln so: Unter zwingenden Umständen tun wir ziemlich sicher das Notwendige. Manchmal sind die Entscheidungen aber auch unwichtig oder belanglos - ob ich mich nun für Vanille- oder Schokoladeeis entscheide, kann dann auch relativ zufällig sein.

Würden Sie so einem Agenten auch ein Innenleben zusprechen? Was keine allzu extreme Position wäre: Der australische Philosoph David Chalmers geht etwa davon aus, dass selbst Thermostaten eine kleine Dosis Proto-Bewusstein besitzen, was auch immer das sein mag.

Von Bewusstsein möchte ich auf keinen Fall sprechen. Aber ja, der Agent hat eine Form der Innerlichkeit. Sie besteht aus dem gesammelten Schatz von Erfahrungen in Form von Clips, als „Gedächtnisschnipsel“ und ihren Verknüpfungen.

Seine Innenwelt ist mit Sinn ausgekleidet?

Wenn "Sinn" der Zusammenhang zwischen Erfahrung und projiziertem Verhalten ist, ja.

Ein großer Kritiker der Künstlichen Intelligenz, Hubert Dreyfus, behauptet allerdings: Sinn kann durch Algorithmen niemals entstehen.

Wobei durchaus fraglich ist, was man als Algorithmus bezeichnen soll. Für mich ist ein Algorithmus etwas, das ich wie ein Flussdiagramm an die Tafel schreiben kann. Eine Abfolge von Anweisungen, bei der jeder Schritt festgelegt ist. Und das ist beim Verhalten dieses Agenten eben nicht der Fall.

Kleine Nebenbemerkung: Dreyfus hat zwar immer daran gezweifelt, dass man echte Intelligenz künstlich nachbilden könnte - war aber laut Wikipedia der erste Mensch, der gegen ein Schachprogamm verloren hat.

(Lacht) Er hat zweifelsohne große Verdienste, weil er die Beschränktheit der computerorientierten Sicht auf die Künstliche Intelligenz klargemacht hat. Ich würde mit Dreyfus sagen: Die Künstliche-Intelligenz-Forschung kann etwas von der philosophischen Phänomenologie lernen, etwa von Heidegger.

Ihren Vorstellungen zufolge könnte es in ferner Zukunft auch einmal Quantenroboter geben. Was können wir uns darunter vorstellen?

Mit Quantenrobotern meine ich nicht Roboter, in die bloß ein Quantencomputer gesteckt wurde. Ein Quantenroboter muss natürlich auch lernen können. Quanteneffekte könnten ihm bei der Durchforstung seines Gedächtnisses und der projektiven Simulation einen großen Vorteil bieten. Der Agent könnte sämtliche Erinnerungen gleichzeitig abrufen und wäre dadurch deutlich schneller.

Wo würde das hinführen - zum Terminator oder zu Marvin, dem depressiven Roboter aus "Per Anhalter durch die Galaxis"?

Prinzipiell sehe ich kein Hindernis dafür, dass es hochentwickelte humanoide Roboter einmal geben wird. Praktisch kann die Herstellung freilich so komplex und aufwendig sein, dass es sinnlos wird, es zu versuchen. Falls es sie jemals geben sollte, dann wird ihr Verhalten wesentlich davon bestimmt sein, wie wir sie erziehen - und wie wir mit ihnen umgehen.

Interview: Robert Czepel

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