Harriet MacMillan, Kinderpsychiaterin von der McMaster Universität Hamilton in Kanada, schreibt über emotionalen Missbrauch in einem Positionsblatt der Amerikanischen Akademie der Kinderärzte. Es soll Kinderärzte auf den neusten Stand des Wissens bringen und fasst Ergebnisse aus der Forschung zum Thema seelischer Missbrauch zusammen.
Der Bericht
"Psychological Maltreatment" erscheint in der Augustausgabe des Journals "Pediatrics", das von der Amerikanischen Akademie der Kinderärzte herausgegeben wird.
(doi: 10.1542/peds.2012-1552)
Seelische Gewalt
Zu emotionalem Missbrauch zählt eine ganze Palette an Verhaltensweisen wie zum Beispiel Entwertungen ("du bist dumm, hässlich etc."), Verspottungen, Liebesentzug sowie das Nicht-reagieren auf emotionale Äußerungen, aber auch übermäßige Kontrolle, Verwöhnung und Manipulation oder das Drängen in eine das Kind überfordernde Rolle ("Partnerersatz"). Ebenso stellt ein unberechenbares und ängstigendes Verhalten der Eltern eine große Belastung dar.
Diese Form des Missbrauchs wurde bereits vor Jahrzehnten in der psychologischen Literatur beschrieben, jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg nicht ausreichend beachtet. "Seelische Gewalt ist jedoch ebenso schädlich wie andere Formen der Misshandlung", sagt MacMillan.
"Wir sprechen über Verhaltensweisen, die dem Kind das Gefühl der Wertlosigkeit, Nicht-Liebenswürdigkeit und des Nicht-Genügens vermitteln, sowie über das damit einhergehende Risiko von Entwicklungsdefiziten", erklärt MacMillan, während sie das Beispiel eines Elternteils anführt, das sein Kind in seine Suchtprobleme mit einbezieht.
Entwicklungsstörungen als Folge
Der Bericht verweist auf die Auswirkungen von emotionalem Missbrauch: So können psychische Entwicklungsstörungen, wie etwa Bindungsstörungen, psychiatrische Erkrankungen, soziale Beeinträchtigungen, Kriminalität, aber auch kognitive und emotionale Defizite die Folgen sein.
Je früher es zu missbrauchenden Verhaltensweisen kam, desto gravierender seien die Auswirkungen. Zu den folgeschwersten Traumatisierungen käme es während der ersten drei Lebensjahre, in welchen sich das Gehirn gerade erst entwickle und höchst empfindlich auf die Umwelt reagiere, so die Autoren.
Emotionaler Missbrauch kann in den verschiedensten Familiensystemen vorkommen. Es neigen jedoch vor allem jene dazu, bei welchen eine hohe Zahl an Konflikten, Stressfaktoren, körperliche Gewalt, Suchterkrankungen sowie psychischen Störungen von Familienmitgliedern vorliegen. So berichten zirka zehn Prozent der Frauen und vier Prozent der Männer in den USA und in Großbritannien über schweren emotionalen Missbrauch in der Kindheit.
Aufruf zur erhöhter Aufmerksamkeit
Das Positionsblatt ruft in diesem Zusammen zu einer vermehrten Zusammenarbeit von Kinderärzten, Psychologen und Kinderschutzzentren auf, um gefährdeten Kinder rechtzeitig zu helfen. Ebenso gibt es Anregungen dazu, wie emotionaler Missbrauch aufgedeckt und verhindert werden könnte. Kinderärzte sollten daher mit erhöhter Aufmerksamkeit auf das psychosoziale Milieu und Risikofaktoren innerhalb einer Familie achten.
Aaron Salzer, science.ORF.at