Sie sehen aus, als wären sie dem Phantasieuniversum eines George Lucas entsprungen - wie fremdartige Wesen von einem entlegenen Planeten: Zwei bis drei Finger, lange silbrige Haare auf Kopf und Körper, ein breites Stofftiergesicht mit humanoiden Zügen. Und dazu diese fast provozierende Gemächlichkeit: alle Bewegungen in Zeitlupe, der Rest der Welt wirkt in ihrer Gegenwart unnatürlich beschleunigt.
Höchstens 100 Meter legen Faultiere pro Tag zurück, ihre Maximalgeschwindigkeit liegt bei gerade mal einem halben Kilometer pro Stunde. Warum sind die Faultiere so langsam - können oder wollen sie nicht schneller?
"Im Prinzip hätten sie einen Bewegungsapparat, der ihnen auch eine schnellere Fortbewegung ermöglichen würde", sagt Cathrin Schwarz von der Universität Wien. "Aber der Stoffwechsel der Faultiere lässt es nicht zu. Sie haben sich punkto Ernährung auf Blätter spezialisiert, die - im Gegensatz zu Früchten - sehr nährstoffarm sind. Es ist zu wenig Energie da."
Variables Gleichgewichtsorgan
Die Studie
"High morphological variation of vestibular system accompanies slow and infrequent locomotion in three-toed sloths", Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences (doi: 10.1098/rspb.2012.1212).
Schwarz hat nun mit sechs weiteren Kollegen das Innenohr von Faultieren per Computertomographie sichtbar gemacht - und mit jenem von Ameisenbären, Gürteltieren und Eichhörnchen verglichen. Die ersten beiden gelten auch nicht gerade als Hektiker unter den Säugetieren, im Vergleich zu den Faultieren sind sie allerdings deutlich behänder. Das lässt sich laut Schwarz auch am Gleichgewichtsorgan der vier Arten ablesen. Während bei Ameisenbären, Gürteltieren und Eichhörnchen die Bogengänge präzise und einheitlich gebaut sind, tanzen sie bei den Faultieren regelmäßig aus der Reihe.
Die ringförmigen Schläuche im Innenohr, die der Wahrnehmung von Drehbewegungen dienen, besitzen bei Faultieren alle möglichen Formen. Mal sind die verdreht, mal verbogen, gerade so, als wäre die große Disziplinlosigkeit im Innenohr ausgebrochen. Was in gewisser Hinsicht auch stimmt.
"... von der Selektion nicht überprüft"
Charles Darwin notierte bereits 1859 in seinem Opus magnum "Über die Entstehung der Arten": "Ein Organ, das keine Funktion mehr erfüllt, wird mehr Variationen zeigen, weil es von der natürlichen Selektion nicht mehr überprüft werden kann." Das dürfte hier der Fall sein: Die Selektion ist abgeschwächt - und damit ihre normierende Kraft. Wenngleich das Gleichgewichtsorgan der Faultiere nicht komplett seiner Funktion enthoben ist.
Das Organ funktioniert, nur ist es nicht besonders wichtig, sagt Schwarz im Gespräch mit science.ORF.at. Wer den lieben langen Tag kopfüber abhängt und nach Blättern späht, benötigt offenbar kein leistungsfähiges Sensorium für die richtige Balance.
Das gleiche Prinzip kennt man von Höhlenfischen. Sie haben ihre ehedem funktionsfähigen Augen zurückentwickelt, weil sie diese kaum oder nicht mehr benötigen. Ob das Auge des Höhlenfisches, sofern noch vorhanden, auch so variabel gebaut ist wie das Ohr des Faultiers, wurde noch nicht untersucht.
Robert Czepel, science.ORF.at
Mehr zu diesem Thema: