Markt und Moral
Von Andreas Suchanek
Seit dem historischen Scheitern der Zentralverwaltungswirtschaft ist zur Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem keine Alternative in Sicht. Das bedeutet indes nicht, dass sie von den Menschen auch als System akzeptiert wird. Insbesondere nach der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 stellen sich viele Menschen die Frage nach der moralischen Qualität der Marktwirtschaft.

Suchanek
Der Wirtschaftswissenschaftler Andreas Suchanek leitet an der HHL Leipzig Graduate School of Management die Abteilung für Wirtschafts- und Unternehmensethik. Seit 2005 ust er unter anderem Vorstand des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Wirtschafts- und Unternehmensethik, Corporate Responsibility, Wertemanagement und Führungsethik.
Beim Europäischen Forum Alpbach 2012 leitet Suchanek gemeinsam mit Steve Young das Seminar "Responsible Capitalism" (18.- 22.8.2012). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
Dies ist kein neues Phänomen. Marktwirtschaft konnte sich kaum je rückhaltloser Zustimmung in der Gesellschaft erfreuen. Eine wesentliche Ursache hierfür liegt darin, dass Marktwirtschaft und insbesondere der konstitutiv zugehörige Wettbewerb ihre Vorteile nur entfalten, indem den Menschen immer wieder Zumutungen - hoher Leistungs-, Veränderungs- und Kostendruck, Strukturwandel, Krisen - abverlangt werden.
Zudem gilt: Der Wettbewerb sowie der mit ihm einhergehende Druck ist als solcher ambivalent; Vorteile im Wettbewerb können durch produktive Leistungen, die von anderen gewünscht werden, erreicht werden, aber auch durch unfaire Praktiken, politisch unterstützte Vergünstigungen oder andere Benachteiligungen von Wettbewerbern, denen keine eigene Wertschöpfung gegenübersteht. Mehr noch: Marktwettbewerb fordert von Unternehmen die Orientierung am Erfolg, d.h. an Leistungskriterien; andere Maßstäbe, zum Beispiel Solidarität, Nachhaltigkeit oder andere moralische Werte, werden im Markt nur berücksichtigt, solange dies nicht systematisch zu Wettbewerbsnachteilen führt.
Anreize zur Zusammenarbeit
Wie kommt es dann überhaupt dazu, dass sich gesellschaftlich ein Wirtschaftssystem durchgesetzt hat, das in gewissem Sinne auf Konflikt - denn jeder Wettbewerb ist offensichtlich immer auch ein Konflikt zwischen den Konkurrenten - beruht statt auf Kooperation und einer primären Orientierung an moralischen Werten?
Die Antwort liegt darin, dass Menschen generell ihr Handeln nie nur an moralischen Maßstäben ausrichten, sondern immer auch an ihren jeweiligen eigenen Interessen. Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Wie muss eine Wirtschaftsordnung beschaffen sein, dass sie Menschen Anreize und Informationen bietet, Beiträge zu einer "Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil" (J. Rawls) zu leisten?
Märkte, und nicht zuletzt Wettbewerb, können genau diese Anreize und Informationen bieten und dadurch Menschen dazu bringen, sich für andere anzustrengen und zur gesellschaftlichen Wertschöpfung beizutragen. Doch beruht eine solche, auch moralische, Vorzugswürdigkeit von Märkten auf drei Voraussetzungen: Dauerhaft funktionsfähige Märkte benötigen (1) gute Spielregeln, (2) verantwortliches Verhalten der Marktteilnehmer sowie (3) die grundsätzliche Akzeptanz der Marktwirtschaft als solcher.
Gute Spielregeln
Jeder Markt beruht zwingend auf Regeln, Gesetzen und Normen wie Eigentums-, Vertrag-, Wettbewerbs-, Haftungsrecht usw. Ohne solche Regeln würde weder investiert - da man nicht wüsste, ob man auch selbst die Früchte der eigenen Anstrengungen erntete - noch könnte sich Leistungswettbewerb entfalten, da jeder Anbieter befürchten müsste, dass seine Konkurrenten ihn mit unfairen Mitteln aus dem Rennen werfen wollen. Wie beim Fußball oder anderen Sportarten konstituieren die Regeln erst die Möglichkeit zum Spiel, d.h. hier: zu einem geordneten Wirtschaften.
Verantwortliches Verhalten
Diese Regeln sollen indes nicht alle Freiräume ersticken, sondern eigentlich Freiheit ermöglichen und fördern. So ist es gerade ein zentrales Element des Marktwettbewerbs, dass er einerseits den Nachfragern die Freiheit zur Konsumwahl und zum Wechsel zwischen Anbietern ermöglicht und andererseits den Anbietern die Freiheit bietet, sich auf das Offerieren solcher Güter und Dienstleistungen zu spezialisieren, für die sie sich selbst als besonders befähigt sehen. Die Produktivität und der Erfolg der Marktwirtschaft beruht gerade auf der Entfaltung dieser Freiheiten.
Ö1 Hinweise:
Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2012 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.
Mitglieder des Ö1 Club erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent.
Doch Freiheit kann immer aus missbraucht werden - oder anders formuliert: Der Erhalt dieser Freiheiten setzt voraus, dass Anbieter und Nachfrager grundsätzlich verantwortlich damit umgehen und damit das notwendige Vertrauen in das System und in den jeweiligen Kooperationspartner immer wieder neu bestätigen. Dies ist in Zeiten der Globalisierung und des Internet sehr viel anspruchsvoller als früher geworden; insofern ist es kein Zufall, dass seit einiger Zeit eine intensive Debatte um die Verantwortung von Unternehmen geführt wird.
Akzeptanz der Markwirtschaft
Regeln und Verantwortung sollten sich wechselseitig ergänzen und stützen. Doch beides verlangt immer auch, dass die Öffentlichkeit sinnvolle Regeln fordert und fördert und dass sie verantwortliches unternehmerisches Handeln als solches erkennt und unterstützt. Deshalb ist auch ein angemessenes Grundverständnis nötig, was von Märkten und Unternehmen gefordert werden kann, aber auch, was ihnen zuzubilligen ist: Unternehmen müssen Gewinne machen, Kosten senken und auch Mitarbeiter entlassen dürfen, sofern dies innerhalb der Regeln und in verantwortlicher Weise geschieht.
Moral und Marktwirtschaft sind sie also nicht prinzipiell antagonistisch, doch gehen auch nicht immer schon automatisch zusammen. Ob das gelingt, hängt von uns ab.
Weitere Gastbeiträge zum Forum Alpbach 2012:
- Heim & Herd: Eine Selbsttäuschung
- Der Jugend ihre Kunst
- Wege aus der Krise
- "Neuronen sind nicht höflich"