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Mann und Frau vor dem Herd

Heim & Herd: Eine Selbsttäuschung

Moderne Beziehungen sind nicht so modern, wie sie zu sein vorgeben, sagt die deutsche Soziologin Cornelia Koppetsch. In einem Gastbeitrag beschreibt sie, wie Kinder und Haushaltspflichten zum Einfallstor für alte Rollenbilder werden - selbst bei aufgeklärten Paaren.

Forum Alpbach 2012 13.08.2012

Gleichheitsillusionen in Paarbeziehungen

Von Cornelia Koppetsch

Männer und Frauen, die eine Partnerschaft eingehen, tun das heute - so eine gängige Auffassung - ohne explizite Anleihen bei den traditionellen Geschlechtsrollen. Sie sind individualisiert, verstehen sich als autonome Subjekte. Die moderne Partnerschaft wird auf die persönliche Beziehung und nicht auf Geschlechtsrollen gegründet. Die Gestaltung der Paarbeziehung, die Bewältigung der häuslichen Pflichten und die Betreuung von Kindern sind scheinbar eine Angelegenheit der persönlichen Aushandlung zwischen Frau und Mann geworden.

Doch wie unsere Studie zu Geschlechterverhältnissen in Paarbeziehungen im Milieuvergleich gezeigt hat, leben die meisten Paare eher traditionelle Geschlechterarrangements. Dies zeigt sich selbst bei den modernen Paaren in der gebildeten Mittelschicht aus dem urban-akademischen Milieu, die sich den Grundsätzen von Gleichheit und Partnerschaftlichkeit am stärksten verpflichtet haben. Selbst hier schleichen sich in der Praxis nach und nach die altbekannten Muster geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung ein: Die Hausarbeit wird zur Frauensache, je länger das Paar zusammenlebt - und das selbst bei kinderlosen Paaren.

Cornelia Koppetsch

Cornelia Koppetsch

Cornelia Koppetsch ist Universitätsprofessorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte: Bildung, Arbeit und Sozialstruktur sowie Familien- und Geschlechterforschung.

Texte zum Thema

Geschlecht und Liebe. Überlegungen zu einer Soziologie des Paares. In: Heintz, Bettina (Hrsg.): Geschlechtersoziologie. Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2002, S. 431-453 (gemeinsam mit Günter Burkart).

Liebesökonomie. Ambivalenzen moderner Paarbeziehungen. In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 2 (1), 2005, S. 96-107.

Fallbeispiel: Brigitte und Heiko

Was sind die Ursachen für die Hartnäckigkeit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Paarbeziehungen? Offenkundig ist, dass die Wirkweise von Geschlechtsnormen dem Einzelnen oft gar nicht bewusst wird, weil diese unser Leben gewissermaßen "heimlich" bestimmen. Zentral ist es daher, zwischen den von den Paaren geäußerten Ideen und partnerschaftlichen Vereinbarungen auf der einen Seite und der Alltagspraxis auf der anderen Seite sorgfältig zu unterscheiden. Betrachten wir dazu einige Fälle aus dem individualisierten Milieu (urban, akademisch), bei denen die Idee der Gleichheit sich am weitesten durchgesetzt hat.

Da sind zum Beispiel Brigitte (37) und Heiko Lichtenberg (39) - alle genannten Namen sind anonymisiert -, für die die Gleichheitsidee bei der Gestaltung der Partnerschaft einen wichtigen Grundsatz darstellt. Beide Partner sind in anspruchsvoller Weise berufstätig und möchten die Haushaltsarbeiten gleich verteilen. Brigitte ist wissenschaftliche Assistentin im Fach Pädagogik an einer Hochschule. Heiko ist nach Abschluss seines Studiums Verkehrsplaner geworden.

Die gegenwärtige häusliche Situation von Brigitte und Heiko ist durch den Erziehungsurlaub des Mannes für das zweite Kind und die alleinige Berufstätigkeit der Frau geprägt. Damit soll ein Ausgleich für den Erziehungsurlaub, den Brigitte für das erste Kind genommen hat, geschaffen werden. Mit dieser Rotationsvereinbarung ist das Paar überzeugt, den Rollentausch erfolgreich vorgenommen zu haben: Zurzeit ist allein der Mann für Haushalt und Kinder zuständig.

"Dann hilft er mit"

Seminare beim Forum Alpbach:

Koppetsch leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2012 das Seminar "Partnerschaften von morgen" (17.- 22.8.2012). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen und Interviews vor.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Was Heiko als Übernahme "des ganzen Programms" der Hausarbeit bezeichnet, ist lediglich ein bestimmter Ausschnitt. Brigitte über das morgendliche Ritual: "Dann ziehe ich sie an, mach Frühstück, und dann müssen die Kinder fertig gemacht werden, da hilft dann aber Heiko, wenn er denn aufwacht." Bevor Heiko sich morgens rührt, hat seine Frau bereits das meiste erledigt. Geändert hat sich nur, dass sie den Tisch nicht mehr abräumt, bevor sie geht - eigentlich eine Selbstverständlichkeit bei der neuen Rollenverteilung. Trotzdem sagt Brigitte: "Das ist jetzt ein bisschen eine privilegierte Situation, weil er zu Hause ist."

Der Arbeitstag von Heiko Lichtenberg als Hausmann beginnt erst mit der Abwesenheit der Frau und endet mit ihrem Wiedereintritt in die häusliche Sphäre. Am Abend und am Wochenende bereitet Brigitte für die Familie Essen zu, kümmert sich um die liegen gebliebene Wäsche, räumt die Spülmaschine ein und beschäftigt sich vor allem mit den Kindern, die ihre Mutter trotz der Anwesenheit des Vaters als Ansprechpartnerin bevorzugen. Zudem wurde eine Putzfrau engagiert, seit Heiko Hausmann ist.

Brigitte findet all das "nicht problematisch". Formulierungen wie "dann hilft er auch mit" sind darauf ausgelegt, die jetzt erreichte Gleichverteilung der häuslichen Arbeiten hervorzuheben. Dennoch wird deutlich, dass diese Dinge nach wie vor in den Zuständigkeitsbereich der Frau fallen.
Auch andere Paare unterliegen der Illusion, dass ihre Beziehung von einer Praxis der Gleichheit bestimmt sei.

"Feine" und "grobe" Pflichten

Ö1-Hinweise

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2012 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in "Wissen aktuell", in den "Dimensionen" und bei der Kinderuni.

Mitglieder des Ö1-Clubs erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent.

Zum Beispiel Paul Kreibich (26) und Beate Kalitz (26). Beide Partner studieren im gleichen Semester Kunst, wodurch die Partnerschaftsidee in idealer Weise erfüllt scheint. Gleichzeitig entsteht dadurch eine Konkurrenzsituation, in deren Sog auch die Verteilung der häuslichen Pflichten gerät. Im Widerspruch zu der von beiden geäußerten Absicht, die Hausarbeit gleich zu verteilen, beschränkt sich die häusliche Beteiligung des Mannes auf die Mithilfe beim Abwaschen, das Hinuntertragen des Mülleimers und die groben Putzarbeiten.

Die meisten und zeitaufwendigeren Arbeiten wie die Pflege der Wäsche, das ständige Sauberhalten der Wohnung und die Zubereitung der Nahrung verbleiben dagegen in den Händen der Frau. Diese praktisch realisierte Aufteilung weist seine Ambitionen gegenüber ihren als höherwertig aus, obwohl die Partner ähnliche berufliche Ziele verfolgen. Seine künstlerischen Ambitionen sind - gemessen an der Menge der unterlassenen Hausarbeit - wertvoller.

Ausblendung von Indizien

Wie kommt es angesichts der fortbestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zur Fiktion zwangloser Gemeinsamkeit und Egalität? Wie funktioniert die beiderseitige Selbsttäuschung? Sie beruht im Wesentlichen auf der Uminterpretation von Wirklichkeit und auf der Ausblendung von Indizien, die der Partnerschaftsidee widersprechen.

Die Paare vermeiden, zu genau hinzusehen, denn die Existenz von Ungleichheiten ist in Anbetracht der Wichtigkeit der Gleichheitsidee für die Paarbeziehung gefährlich. Gemeinsam "erarbeiten" die Partner Gleichheitsfiktionen: Die Hausarbeiten werden bei Paul und Beate zum Beispiel in grobe und "feine" aufgeteilt und damit zunächst von der emotional aufgeladenen Gleichheitsfrage abgekoppelt. Beate ist für die "feinen", Paul für die "groben" Arbeiten zuständig.

Praktisch bedeutet diese Aufteilung jedoch, dass Beate für das ständige Sauberhalten der Wohnung verantwortlich ist, während die als "grob" klassifizierten Arbeiten Pauls punktuelle und einmalige Hilfeleistungen darstellen. Damit wird die Verteilung der Hausarbeit - in Übereinstimmung mit der Idee der Partnerschaftlichkeit - als das Resultat der Anwendung fairer Regeln ausgegeben.

Individualisierung zementiert Ungleichheit

Eine weitere Fiktion besteht in der Individualisierung von Ansprüchen, die an Sauberkeit und Ordnung im Haushalt gestellt werden. Paul zieht es vor, gepflegte Wäsche und sauberes Geschirr angesichts der damit verbundenen Anstrengungen nicht so wichtig zu finden. Wenn Beate nun mehr Hausarbeit erledigt, ist das nach Meinung Pauls ihr Problem, sie hat eben andere Ansprüche an Sauberkeit und Ordnung.

Damit können auch die Schuldgefühle, die den Mann angesichts der Fülle der Indizien fortbestehender Ungleichheit befallen, besser zum Schweigen gebracht werden. Doch wäre es zu kurz gegriffen, dies allein als typisch männliches Manöver zur Abwendung unangenehmer Pflichten zu begreifen: Auch Beate beruft sich auf ihre höheren Ansprüche.

Nachdem Paul einmal Beates neue Jeansjacke mit roter Wäsche vermengt hatte, wodurch sich die Jeansjacke verfärbte, wanderte die Wäschepflege kurzerhand in ihren Zuständigkeitsbereich: "Ich habe dann ganz einfach beschlossen, dass ich jetzt die Wäsche wasche." Und sie erklärt der Interviewerin, die von ihr in die Hand genommene Wäschepflege sei "kein karitativer Einsatz", kein Opfer, sondern entspringe ihrem eigenen Interesse - nämlich dem Versuch, den Wert der Wäsche zu bewahren.

Die Praxis zählt

Wo liegen die Gründe dafür, dass Paare trotz des Anspruchs partnerschaftlicher Gleichheit traditionellen Rollenmustern verhaftet bleiben? Ein wesentlicher Grund dafür besteht in der Tatsache, dass die Wirklichkeit des Paares weniger durch Absichtserklärungen und Entscheidungen, sondern im Wesentlichen auf der Ebene der etablierten Alltagspraxis, das heißt der inkorporierten Gewohnheiten und Praktiken, begründet wird.

Es sind wiederkehrende Ablaufmuster und Regelmäßigkeiten scheinbar unbedeutender Handlungen, die dem Paar Stabilität verleihen und durch die zugleich Geschlechterdifferenzen hervorgebracht werden. Geschlechtsnormen existieren nicht zufällig, sie erfüllen häufig wichtige Ordnungsfunktionen für den Zusammenhalt des Paares, weshalb die Barrieren, die der Gleichstellung der Geschlechter in der Paarbeziehung entgegenstehen, unter Umständen sogar höher sind als in den öffentlichen, konkurrenzbestimmten Lebenssphären.

"Jeder hat sein Recht auf seine Unordnung"

Dabei schafft die Idee der Gleichheit eine Situation, durch die Geschlechterungleichheiten nicht aufgelöst, sondern in bestimmter Weise noch verschärft werden: Sie verhindert, das eigene Verhalten im Bezugsrahmen vorgegebener Geschlechtsrollen wahrzunehmen. Deshalb kann die Mehrarbeit der Frauen auch nicht mehr innerhalb des traditionellen Geschlechtervertrags honoriert werden.

Sie wird als Pingeligkeit, als unnötige Sauberkeit zurückgewiesen und aus dem gegenseitigen Nehmen und Geben in der Paarbeziehung herausgenommen. Sie ist nun keine Gabe mehr, die Dankbarkeit oder eine entsprechende Gegengabe nach sich zieht, sondern eine persönliche Vorliebe: Jeder hat sein Recht auf seine Unordnung, und niemand darf dem anderen sein System aufzwingen. Die Aufrechterhaltung der alten Rollen wird durch diese Sichtweise verdeckt.

Fiktion der freien Entscheidung

Wenn die Frau mehr Hausarbeit erledigt, so die gemeinsame Annahme, ist das ihr Problem, sie hat eben andere Ansprüche an Sauberkeit und Ordnung. Da die meisten modernen Paare auf die Idee der Gleichheit dennoch nicht verzichten wollen, bleibt ihnen letztlich nur die Möglichkeit, die fortbestehenden Ungleichheiten zu leugnen oder so zu tun, als seien sie das Ergebnis einer bewussten Entscheidung.

Insbesondere egalitär gestimmte, moderne Frauen greifen - in Übereinstimmung mit dem Postulat der selbstbestimmten Lebensführung - auf die Fiktion der freien Entscheidung zurück: "Ich habe jetzt entschieden, die Wäsche allein zu machen." Oder: "Ich habe jetzt entschieden, zu Hause zu bleiben und mich um die Kinder zu kümmern."

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