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Universitätsvollversammlung im Audimax der TU Wien, 2010

Wissenschaftlicher Nachwuchs unter Druck

Junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollten vor allem flexibel sein. Denn sichere Anstellungen, fixe Arbeitszeiten und scharf eingegrenzte Forschungsgebiete gehören nicht zum Alltag. Doch die Universitäten bereiten den Nachwuchs auf diese Herausforderungen nicht ausreichend vor, betont Christiane Hintermann.

Technologiegespräche Alpbach 06.08.2012

Die Geographin und Migrationsforscherin spricht im Interview mit science.ORF.at über den Wandel der Forschungskultur und die Konsequenzen für eine wissenschaftliche Karriere. Am Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit befasst sich Christiane Hintermann mit "Migration und Erinnerungskultur".

Die Geographin Christiane Hintermann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit. Dort koordiniert sie u.a. das Forschungsfeld “MIGRATION & GEDÄCHTNIS”.

science.ORF.at: Im Rahmen ihres Forschungsschwerpunktes haben sie auch eine internationale Kooperation mit der Universität Malmö. Ist eine solche internationale Zusammenarbeit kennzeichnend für den modernen Wissenschaftsbetrieb?

Christiane Hintermann: Das trifft auf jeden Fall zu. Etwa bei den Boltzmann-Instituten ist es so, dass bereits bei der Institutsgründung Forschungspartner gefunden werden müssen und viele davon sind internationale Partner. Neben Malmö ist unser zweiter internationaler Partner noch die Universität Cluj in Rumänien. Speziell zum Forschungsfeld Migration hat sich im Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Kommission ein Exzellenznetzwerk zum Thema Migration, Integration, Multikulturalität und Diversität gebildet, das sogenannte Netzwerk "IMISCOE" (Immigration, Integration and Social Cohesion in Europe). Momentan sind 27 Institutionen aus 15 europäischen Ländern am "IMISCOE" beteiligt.

Der Name ihres Forschungsprojektes ist "Lieux de memoires of migration in urban spaces", also Erinnerungsorte in der Stadt am Beispiel von Wien. Was bedeutet projektgebundene Forschung für den Alltag von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen?

Das bringt mit sich, dass Kontinuität in der Forschung immer seltener wird. Weil man ständig darum bemüht ist, neue Projektgelder aufzustellen und die Forschung dadurch auch bestimmten "thematischen Wellen" unterworfen ist, was gerade gefördert wird und was eher nicht gefördert wird. Es wird schwieriger durchgehend zu bestimmten Themen arbeiten zu können. Denn neue Projektgelder einwerben zu müssen, stellt eine Unterbrechung der Arbeit dar, einen Zeitaufwand, der bei der Forschung dann fehlt.

Ö1 Sendungshinweis:

Über die Thesen von Christiane Hintermann berichtet auch Wissen aktuell am 6.8. um 13:55.

Wirkt sich das auch inhaltich auf die Themenfindung bzw. wissenschaftliche Problemstellung aus?

Man ist als Wissenschaftlerin bereits am Beginn eines Projektes damit konfrontiert, möglichst bald wieder fertig zu werden, weil man dann bereits den nächsten Projektantrag stellen muss. Natürlich wirkt sich das auch inhaltlich aus. Denn ein Forschungsprojekt muss in ein, zwei, vielleicht vier Jahren bewältigbar sein und das Thema sollte sich auch für Folgeprojekte eignen. Wenn man daran denkt, dass früher viel mehr in fixen Beschäftigungen an großen Institutionen geforscht wurde, und das über lange Zeit, vielleicht sogar ein Berufsleben lang, dann klingt das fast paradiesisch.

Welche sind die international anerkannten, standardisierten Parameter für wissenschaftlichen Erfolg?

Man sollte in bestimmten Zeitschriften publiziert haben, die peer-reviewed sind. Diese Fachblätter stehen in einem Ranking zu einander. Je höher diese Zeitschriften im Ranking stehen, desto mehr "Ansehen" bringt eine Veröffentlichung für den Wissenschaftler. Auch die Einwerbung von Drittmittelprojekten ist ein solcher Parameter. Förderungen sind sehr wichtig geworden, wie etwa die Grants des European Research Councils. Die stehen für einen großen wissenschaftlichen Erfolg.

Wie lassen sich diese Anforderungen mit der wissenschaftlichen Realität in Einklang bringen?

Es wird viel darüber gesprochen, dass allein die Qualität eines wissenschaftlichen Artikels noch nicht viel darüber aussagt, ob er gedruckt wird, in welcher Publikation, ob er gute Reviews kriegt. Natürlich kommt es auch immer darauf an, wer wen begutachtet. Diese Parameter sind nie ganz objektiv. Es kostet auch viel Zeit eine Studie in einer Fachpublikation unterzubringen. Wenn man gleichzeitig wieder damit beschäftigt ist, neue Projektanträge zu schreiben, dann wird manchmal die Zeit knapp. Es ist ein bisschen wie in einem Hamsterrad, dem man nicht leicht entkommen kann. Aber wenn man eine wissenschaftliche Karriere machen will, gehört das dazu.

Haben sie eine "klassische", lineare wissenschaftliche Karriere hinter sich?

Linear auf keinen Fall. Ich habe bereits in meinen ersten Jahren an der Universität mein Studium gewechselt, von Dolmetsch auf Geographie. Nach meinem Studium war ich zunächst bei der Akademie der Wissenschaften und der Universität Klagenfurt beschäftigt, bin aber dann für einige Jahre aus der Wissenschaft "ausgestiegen" und habe für den Wiener Integrationsfond gearbeitet. Zwar auch mit einem wissenschaftlichen Schwerpunkt, aber es ging mehr darum, Projekte und Förderungen zu bewilligen. Und ich bin dann durch Zufall wieder zur reinen Wissenschaft gekommen.

Ist der Zeitdruck heute größer geworden in der Wissenschaft?

Das bekommt man vermittelt. Es muss möglichst schnell studiert und ein Abschluss gemacht werden, damit diese Ausbildung und das Wissen auch in Wert gesetzt wird. Ob dieser Zeitdruck sinnvoll ist, bleibt fraglich. Meine eigene "unlineare" Karriere fasse ich zum Beispiel gar nicht als Nachteil auf, weil jeder Karriereschritt nützlich ist für das, was ich jetzt tue.

Kann man am Beginn einer wissenschaftlichen Karriere bereits wissen, ob man in der Forschung wird Fuß fassen können?

In Österreich ist das meiner Meinung nach heute nur mehr schwer möglich. Besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es gab Kürzungen an der Akademie der Wissenschaften und davor von Ministeriumsseite, die auch hauptsächlich kleinere Institute betroffen haben. Es gibt einfach immer weniger Institutionen, an denen junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Fuß fassen können. Viele bleiben für lange Zeit in einem Projektstadium, wenn sie überhaupt angestellt werden. Ich höre das auch immer öfter von jüngeren Kollegen und Kolleginnen: Sie wissen gar nicht, wofür sie ihre Dissertation schreiben, weil die Jobaussichten in Österreich nicht gut sind.

Wird Wissenschaft heute mehr als wirtschaftliche Ressource denn als gesellschaftliche Notwendigkeit betrachtet?

Das würde ich auf jeden Fall bejahen. Die Diskussion, die es in Bezug auf die Universitäten gibt, die es in Bezug auf die Kürzungen bei der Akademie der Wissenschaften gegeben hat, die zeigen, dass das Interesse an Wissenschaft und Bildung auf einen noch nie dagewesenen Tiefststand gesunken ist, zumindest, was die Geistes- und Sozialwissenschaften betrifft.

Darf man jungen Menschen heute noch empfehlen in die Wissenschaft zu gehen?

Ich würde jeder und jedem eine Karriere in der Wissenschaft raten, der das auch wirklich will, weil es ein wunderschöner Beruf ist. Viele werden auch ihren Weg gehen, aber es ist nicht einfach. Man darf nur nicht davon ausgehen, dass man einen gutbezahlten, sicheren Job haben wird, wenn man beschließt in die Wissenschaft zu gehen. Und man muss sehr flexibel und für andere wissenschaftliche Gebiete offen bleiben. Was leider durch die neue Art des Studierens, die auf Schnelligkeit und Effizienz setzt, konterkariert wird.

Technologiegespräche in Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Globale Zukunft - Erwartungen an Wissenschaft und Technologie".

Davor erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Christiane Hintermann nimmt am 24. August am Arbeitskreis "Klettersteig in die wissenschaftliche Karriere" teil.

Weitere Beiträge zu den Technologiegesprächen 2012:

Beiträge zu den bisherigen Technologiegesprächen

Bei den Technologiegesprächen Alpbach wird es auch einen Arbeitskreis zum Thema "Demographie und Humankapital als Chance für Innovation" geben. Dort wird u.a. auch über Frauen als wichtiges Potential für den Arbeitsmarkt diskutiert. Werden Frauen in der österreichischen Wissenschaftt ausreichend gefördert?

In diesem Bereich ist in den letzten Jahren viel getan worden. Ich bin selber Nutznießerin dieser Frauenförderung, da ich eine Elise-Richter-Stelle des FWF habe. Es gibt auch Stipendien, um die sich nur Frauen bewerben können. An der Universität Wien gibt es Mentoring-Programme für Wissenschaftlerinnen, die gerade an ihrer Habilitation arbeiten, um Netzwerke zu bilden und strukturelle Diskussionen zu fördern. Also das Problem ist heute nicht mehr, dass es nicht ausreichend Förderungen für Frauen gibt.

Trotzdem gibt es wesentlich weniger Professorinnen an der Universität Wien, als Professoren. Zum Beispiel am Institut für Geographie: Dort gibt es keine einzige Professorin. Auch in den nachgeordneten Rängen, bei den Assistenzprofessoren, gibt es gerade einmal zwei Frauen. Im Bereich der Ausbildung und der projektgebundenen Forschung gibt es aber unglaublich viele junge Frauen. Da in der Wissenschaft und den Universitäten Netzwerke besonders wichtig sind, bringen solche Mentoring-Programme durchaus etwas, aber anscheinend noch immer nicht genug.

Interview: Marlene Nowotny, science.ORF.at

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