Im Interview mit science.ORF.at erklärt der Physiker und Fachdidaktiker Peter Labudde, wie man den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht verbessern kann, was an PISA gut und weniger gut ist und was Kinder beim Bauen eines Styroporbootes über Physik lernen können.
science.ORF.at: Was kann man tun, damit sich Jugendliche für MINT-Studien (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) entscheiden?
Labudde
Zur Person:
Der Physiker Peter Labudde ist ausgebildeter Gymnasiallehrer für Physik, Mathematik und Chemie und leitet das Zentrum Naturwissenschafts- und Technikdidaktik an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel.
Peter Labudde: Da gibt es einerseits Möglichkeiten im Unterricht, aber es geht auch um gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Naturwissenschaftliche Bildung sollte möglichst früh einsetzen, bereits im Kindergarten oder in der Volksschule. Gerade Lehrkräfte in der Volksschule sollten fachlich und fachdidaktisch besser in Naturwissenschaften ausgebildet sein.
Der Unterricht sollte einen stärkeren Alltagsbezug herstellen und sich stärker an Fragen und Interessen der Schüler und Schülerinnen ausrichten. Und das selbstständige, entdeckende Lernen sollte auf allen Schulstufen verstärkt werden.
Und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?
Die Bilder der naturwissenschaftlich-technischen-mathematischen Berufe sind in der Öffentlichkeit häufig nicht korrekt. Da machen eher verschrobene Naturwissenschaftler und Ingenieure irgendetwas fernab des Alltags und irgendwelcher Personen. Dieses Bild ist falsch. Naturwissenschaft hat viel mit dem täglichen Leben zu tun und es gibt sehr viel Austausch mit anderen Menschen.
Auch die Arbeit mit Eltern ist wichtig. Wenn sich zeigt, dass Jugendliche für ein MINT-Fach talentiert sind, sollte man mit den Eltern sprechen, ob nicht ein entsprechender Beruf etwas für ihr Kind wäre.
Woran scheitert es, dass dies umgesetzt wird?
Naturwissenschaft in der Volksschule in Österreich:
Projekt IMST, Innovations in Mathematics, Science and Technology Teaching (deutsch: Innovationen machen Schulen Top), des Instituts für Unterrichts- und Schulentwicklung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Mit der naturwissenschaftlichen Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen in der Früherziehung beschäftigt sich zum Beispiel auch das Institut für Innovative Pädagogik und Inklusion der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Graz.
Da muss man stark auf die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte setzen. Eben zum Beispiel bei den Volksschullehrerinnen und -lehrern. Da gibt es ja auch Ansätze in Ihrem Land, etwa den Modellversuch IMST - Innovations in Mathematics, Science and Technology Teaching. Das geht in die richtige Richtung.
Wäre auch fächerübergreifender Unterricht besser?
Der Unterricht wird häufig zu einseitig am Fach, an der Fachsystematik ausgerichtet. Die ist im ganzen MINT-Bereich sehr ausgeprägt. Diese Ausrichtung ist wichtig, aber man muss das auch mehr an den Interessen der Schüler ausrichten, auch am Vorwissen, egal, ob das richtig oder falsch ist. Mit einer derartigen Ausrichtung wird der Unterricht fächerübergreifender und es besteht die Chance, dass sich mehr Schülerinnen und Schüler für diesen Fachbereich interessieren.
Haben Sie eine Lieblingsmethode, wie man naturwissenschaftlich-technisches Wissen spannend und kreativ vermitteln kann?
Eines meiner Lieblingsbeispiele aus dem Physikunterricht ist die Aufgabe, ein Schiff aus Styropor zu bauen, das in einer PET-Flasche Wasser transportieren und dadurch angetrieben werden soll. Aus der Flasche geht zum Beispiel ein Schlauch ins Wasser und durch den Rückstoß wird das Schiff angetrieben.

Labudde

Labudde
Da gibt es erstaunliche Resultate. Die Schülerinnen und Schüler lernen etwa, dass die PET-Flasche möglichst hoch gelagert werden soll und dass das was mit Energie zu tun hat. Da treten während des Arbeitens viele physikalisch-technische Fragen auf, die Kinder und Jugendliche faszinieren.
Gerade bei Physik und Technik, aber auch bei der Chemie ist der Förderungsbedarf besonders groß, etwas weniger in der Biologie und Geografie. Diese beiden Fächer kommen bei Schülerinnen und Schülern sehr gut an.
Wie kann man Mädchen stärker für Naturwissenschaft begeistern?
Technologiegespräche in Alpbach
Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Globale Zukunft - Erwartungen an Wissenschaft und Technologie".
Davor erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Peter Labudde nimmt am 24. August am Arbeitskreis "Lernen durch innovative Bildungsnetzwerke" teil.
Weitere Beiträge zu den Technologiegesprächen 2012:
Der Unterricht müsste mädchengerechter sein. Eine Hauptmaßnahme ist, dass man das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen von Mädchen und jungen Frauen im MINT-Bereich stärkt. Das man Talent betont, wenn es vorhanden ist.
Auch der Alltagsbezug muss mehr gestärkt werden. Und man muss kommunikationsorientierte Unterrichtsmethoden einsetzen, also weniger auf Wettbewerb setzen, mehr auf Kooperation und Kommunikation. Bewährt hat sich auch, phasenweise geschlechtergetrennt zu unterrichten.
Ein weiterer Punkt sind andere Prüfungsformen. In verschiedenen Ländern hat sich gezeigt, dass Mädchen besser abschneiden, wenn Experimentieren beurteilt wird. Auch beim Durchführen kleiner naturwissenschaftlicher Projekte sind junge Frauen und Mädchen sehr gut. Und mit den besseren Noten wird natürlich auch ihr Selbstvertrauen gestärkt. Man muss auch Lehrpersonen, Schulleitung, Behörden und Eltern für diese Aspekte sensibilisieren.
Hat sich naturwissenschaftlich-technische Bildung in den letzten Jahren verbessert?
Insgesamt hat sich naturwissenschaftlich-technische Bildung gebessert. Aber das ist ein langer Prozess. Es beginnt, dass Lehrkräfte anders unterrichten, andere Strukturen geschaffen werden, die naturwissenschaftlich-technische Ausrüstung in den Schulen verbessert wird.
Sind PISA-Tests sinnvoll?
Es gab in den letzten knapp 20 Jahren immer wieder internationale Vergleichsstudien. PISA ist die bekannteste von diesen. Diese Ländervergleiche sind wichtig, aber weniger wegen der Ranglisten, die wie bei den Olympischen Spielen sind.
Das Projekt "Quality of Instruction in Physics" (QuIP) - Lehren und Lernen im Physikunterricht - Eine Videostudie in Finnland, Deutschland und der Schweiz" des Zentrums Naturwissenschafts- und Technikdidaktik untersucht und vergleicht die Qualität des Physikunterrichts in diesen drei Ländern.
Das Interessante sind die Detailanalysen, wo man Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler eines Landes sieht. Das Problem ist, dass diese Studien keine Erklärungen liefern, deswegen darf man nicht vorschnelle Schlüsse ziehen. Da braucht es vertiefte Forschung. Und man muss dafür Länder nehmen, die kulturell ähnlich sind. Es ist schwierig, auf ein Land gute Beispiele aus einem anderen zu übertragen.
Warum ist das so?
Bei Physik und Technik hängt das vor allem im Volksschulbereich damit zusammen, dass die Lehrkräfte hierfür zu wenig ausgebildet sind. Wenn sie naturwissenschaftlichen Unterricht machen, unterrichten sie Biologie oder Geografie. Die Lehrkräfte haben aber kaum Zugang zu Physik und technischen Fächern, weil Sie selber als Schülerinnen und Schüler negative Erfahrungen gemacht haben.
Interview: Mark Hammer, science.ORF.at
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