Standort: science.ORF.at / Meldung: "Biologie im Gerichtssaal "

Die Waage der Gerechtigkeit

Biologie im Gerichtssaal

Die Verteidiger des "Batman"-Todesschützen von Aurora halten ihren Mandanten für psychisch krank. Das könnte sich auf das Strafmaß auswirken. Einer neuen Studie zufolge werten US-Richter diesen Umstand eigentlich als erschwerend. Gibt es nachweisbare biologische Ursachen für die Störung, verhängen sie jedoch eine mildere Strafe.

Rechtssprechung 17.08.2012

Zum Verbrecher geboren

Warum ein Mensch zum Verbrecher wird, ist umstritten: Liegt es an den Genen oder hat kriminelles Verhalten doch eher psychologische bzw. soziale Ursachen? In den letzten Jahren scheinen sich die Erklärungen wieder mehr in Richtung Biologie zu verschieben. So wird etwa versucht, verbrecherische Veranlagungen am Gehirn abzulesen, auch wenn Experten derartigen Tendenzen eher skeptisch gegenüber stehen. Ihnen zufolge kann die Biologie nur in Einzelfällen Erklärungen liefern.

Die Studie:

"The Double-Edged Sword: Does Biomechanism Increase or Decrease Judges' Sentencing of Psychopaths?" von L.G. Aspinwall et al. ist am 16.8. in "Science" erschienen

Dennoch hat diese bereits Einzug in den Prozessalltag gefunden, vor allem in den US-Gerichtssälen, in jüngerer Vergangenheit auch in Europa. Neben dem Gehirn als dem "eigentlichen Verbrecher", gelten auch bestimmte Genvarianten als verbrechensanfälliger. So wurde in Italien vor drei Jahren das Strafmaß für einen Mörder aufgrund einer bestimmten genetischen Variante herabgesetzt. Menschen mit einer wenig aktiven Variante eines bestimmten Gens, das das Enzym Monoaminooxidase (MAOA) herstellt, sollen aggressiver und krimineller sein - auch diese Tatsache ist in der Fachwelt nicht unumstritten, dennoch fließt sie immer häufiger in gerichtliche Argumentationen ein.

Zweischneidiges Schwert

Wie sehr sich Richter in ihrem Urteil von derartigen "harten" biologischen Fakten beeindrucken lassen, haben die Forscher um Lisa G. Aspinwall von der University of Utah nun in den USA untersucht. Auf den ersten Blick sei nämlich nicht klar, welche Auswirkungen derlei Erklärungen auf das Strafmaß haben.

Die Wissenschaftler sprechen von einem zweischneidigem Schwert: Einerseits könnte man argumentieren, die biologische Basis des Verbrechens mildere die Schuldfähigkeit - der Täter kann sozusagen nicht anders. Folglich müsse man ihn milder bestrafen. Auf der anderen Seite, machen die biologischen Tatsachen den Täter noch gefährlicher - was wiederum ein Grund wäre, ihn härter zu bestrafen, damit er möglichst lange bzw. für immer aus der Gesellschaft entfernt wird.

Ö1 Sendungshinweis:

Über eine neurologische Therapie für Schwerstverbrecher berichten heute, am 17.8.2012 um 19:05 die Dimensionen.

Für die Untersuchung haben die Forscher 181 Richtern aus 19 Bundesstaaten die Darstellung eines auf Tatsachen basierenden Falls vorgelegt. Darin ging es um einen der schweren Körperverletzung angeklagten Psychopathen, im realen Fall hatte der Beschuldigte seinen MAOA-Zustand zur Verteidigung angeführt.

Zusätzlich erhielten die Richter das Gutachten eines Psychiaters, in dem der Angeklagte als Psychopath bezeichnet wird und daraus folgende Konsequenzen erklärt werden. Belege für die genetischen und neurobiologischen Ursachen seines Zustands erhielt jedoch nur eine Hälfte der Teilnehmer. Jeweils eine Hälfte jeder Gruppe hatte zur Urteilsfindung zudem eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zur Verfügung, in der aufgrund der psychischen Verfassung des Täters für eine härtere Bestrafung plädiert wird. Die andere Hälfte bekam ein Papier der Verteidigung, die für eine mildere Strafe argumentierte.

Mildernder Umstand: Biologie

Die Richter verurteilten den fiktiven Angeklagten zu mindestens zwölf bis 14 Jahren Haft, das ist deutlich mehr als in den USA für vergleichbare Taten verhängt wird, im Durchschnitt sind es neun Jahre. Die psychiatrische Diagnose wirkt sich also in jedem Fall erschwerend aus. War diese allerdings mit biologischen Erklärungen unterlegt, war das Strafmaß im Durchschnitt um ein Jahr kürzer. Offenbar wirken die harten Fakten wie mildernde Umstände.

Eine Zusatzbefragung zeigte allerdings, dass die Teilnehmer nicht bewusst milder geurteilt hatten bzw. von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen waren. Denn die biologischen Beweise hatten ihre Einschätzung hinsichtlich der moralischen Verantwortung sowie des freien Willens des Angeklagten in keiner Weise verändert, d.h., auch wenn sie ihn weiterhin für voll schuldfähig hielten, verurteilten sie ihn milder. Handfeste biologische Gründe gelten offenbar als die bessere "Entschuldigung" für eine Tat - kein Wunder, dass in den Gerichten immer häufiger damit argumentiert wird.

Eva Obermüller, science.ORF.at

Mehr zum Thema: