Wunderpillen oder Gesundheits-Wahrsagerei soll man sich von der Telomerforschung nicht erwarten, sagt Elizabeth Blackburn, die Pionierin des Forschungsgebiets und Medizin-Nobelpreisträgerin 2009, in einem science.ORF.at-Interview bei den Technologiegesprächen in Alpbach. Die Länge der Telomere sei eher wie das Körpergewicht: eine Zahl, die viele Faktoren integriert.

ORF/Milenko Badzic
Elizabeth Blackburn ist Biologin an der University of California in San Francisco. 2009 wurde ihr der Nobelpreis für Medizin verliehen.
Technologiegespräche in Alpbach:
Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet " Globale Zukunft – Erwartungen an Wissenschaft und Technologie". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger, internationale Experten und Expertinnen u.a.
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Ö1 Hinweise:
Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2012 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.
Mitglieder des Ö1 Club erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent.
science.ORF.at: Sie sind eine begeisterte Skifahrerin?
Elizabeth Blackburn: Ich fahre gerne alpin, das stimmt, habe das aber schon länger nicht mehr getan und mich zuletzt eher auf Langlauf konzentriert. Das ist zwar körperlich sehr anstrengend, aber die Wahrscheinlichkeit, sich oder andere zu verletzen, ist doch viel geringer. (lacht)
Jetzt im August liegt auf den Tiroler Bergen ja relativ wenig Schnee: Bereuen Sie es, dass die Alpbacher Technologiegespräche nicht im Winter stattfinden?
Nein, nein. Ich wandere auch sehr gerne, war heute früh auf dem Gipfel eines Bergs, und es war wunderbar, all die grünen Wälder und Wiesen …
Der vielleicht holprige Übergang zu Ihrer Forschungsarbeit: Wenn Sie länger leben würden, könnten Sie vielleicht noch mehr Skifahren oder wandern. Wo liegt die maximale Lebenserwartung von uns Menschen?
Wir scheinen biologisch auf ein Maximum von 120 Jahren programmiert zu sein. Die allermeisten sterben aber lange vor dieser Zeit. In Entwicklungsländern mit Hunger, Seuchen und schlechter medizinischer Versorgung sind die Gründe evident. Aber auch in den entwickelten Staaten liegen die Hauptursachen für den Tod nicht in den Genen, sondern im Lebensstil. Die drei großen Killer dieser Länder sind Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen - und die hängen von einer Reihe von Umweltfaktoren ab.
Für entscheidend halte ich aber nicht den Begriff der "Lebensspanne", sondern der "Gesundheitsspanne" - also jene Zeit, in der Menschen gesund leben und Aktivitäten verrichten können wie z.B. Skifahren. Die biologisch wichtige Frage ist, was uns dazu bringt, sowohl geistig als auch körperlich immer schwächer zu werden, und was man dagegen tun kann. Vieles davon hat mit Krankheitsprozessen zu tun und da spielen unsere Zellforschungen mit hinein.
Sie haben für Ihre diese Forschungen zu Telomeren 2009 den Medizinnobelpreis erhalten. Erzählen Sie bitte kurz, worum es dabei geht.
Die Telomere sind die Enden der Chromosomen, und diese nutzen sich im Laufe der Zellteilungen aus verschiedenen Gründen immer mehr ab. Mit der Telomerase haben wir jenes Enzym entdeckt, das diese Schutzkappen der DNA bis zu einem gewissen Grad wieder herstellt. Bei Menschen funktioniert das aber nicht besonders gut, und so werden die Telomere bei uns im Lauf der Jahre immer kürzer und kürzer. Und das hindert die Zellen zunehmend daran, richtig zu funktionieren.
Die Frage ist nun: Kann man diese Prozesse beeinflussen? In Zusammenarbeit mit Kollegen versuchen wir den Zusammenhang von Risikofaktoren für Krankheiten, unterschiedlichen Telomerlängen und der Wirkung der Telomerase zu quantifizieren. Man kann das auf Zellniveau untersuchen, das ist ganz grundlegend, aber noch wichtiger ist es zu schauen, wie das bei lebenden Menschen funktioniert.
Einer dieser Risikofaktoren ist chronischer Stress, mit dem Sie sich seit geraumer Zeit beschäftigen …
Ja, das ist einer der Faktoren, der sehr wichtig ist für die statistische Wahrscheinlichkeit, eine der drei "Killer-Krankheiten" zu bekommen. Wir wissen, dass chronischer Stress die Telomere verkürzt. Und weil wir wissen, dass das wiederum zu den Krankheiten beiträgt, braucht man nur 2 und 2 zusammenzählen. Wir groß der Effekt der Telomere dabei ist und ob man mit gezielter Stressreduktion tatsächlich etwas verändern kann, wissen wir noch nicht. Ich habe aber wunderbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich genau darum kümmern.
Wir beginnen gerade Studien, die sich damit beschäftigen, welche Interventionen die Telomere bei Menschen beständiger machen - körperliche Aktivität etwa zählt dazu. Beobachtungsstudien haben bereits deutlich gezeigt, dass Körperübungen den Zusammenhang von Telomerkürzung und chronischem Stress abschwächen können. Es gibt auch andere Interventionen auf individueller Ebene, und natürlich darf man auch nicht auf die sehr wichtigen sozioökonomischen Gründe für Stress vergessen.
Verkürzt gesagt: Mehr Sport bedeutet längere Telomere?
Das ist der Zusammenhang der Beobachtungsstudien, ja. Ich bin aber sehr vorsichtig, das bedeutet nicht, dass die Körperübung direkt dafür verantwortlich ist. Es sind hunderte von Molekülen in der Zelle, die eine Rolle spielen, die Prozesse sind extrem komplex. Aber wir versuchen das - verzeihen Sie das Wortspiel - "Endresultat" zu quantifizieren (lacht).
Könnte man mit derselben Vorsicht auch sagen: Weniger ungleiche Gesellschaften bedeuten längere Telomere?
Wir wissen mit Sicherheit, dass Personen, die ihre Kindheit in schlechterer sozialer Umgebung zugebracht, weniger Schulbildung genossen haben etc., als Erwachsene Jahrzehnte später kürzere Telomere haben, auch wenn man alle möglichen anderen Parameter aus den Daten herausrechnet.
Sie haben die Firma "Telome Health Inc." gegründet, die die Telomerlängen von Menschen ermittelt. Kann ich das auch nutzen, um etwas über meine Lebenserwartung zu erfahren?
Zum einen: Die Firma wurde gegründet, um eine Forschungsdienstleistung anzubieten. Viele Forscher wollten Telomerlängen messen, wir finden es gut für die Wissenschaft, wenn das in unseren Labors auf die richtige Weise gemacht wird. So wie auch DNA in hochspezialisierten Laboren sequenziert wird: Als Forscher sendet man Material ein und bekommt die Resultate zurück.
Zum anderen: Die Telomerlängen werden auf Betreiben von Medizinern für ihre Patienten untersucht. Die Ergebnisse sind keine Diagnose, sondern geben Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Krankheiten an. Das hat nichts mit Wahrsagerei zu tun, sondern ist ein Biomarker wie andere auch. Die Telomerlängen lassen sich mit unserem Körpergewicht vergleichen: eine sinnvolle Information, aber nur im Zusammenhang mit einer Menge anderer klinischer Information; eine Zahl, die viele Faktoren integriert.
Es gibt Hinweise, dass der Grad der Telomerabnützung beeinflussbar ist. Wir sind aber sehr vorsichtig mit der Interpretation der Resultate. Viele Menschen wollen den Test machen und erwarten sich eine Art Kristallkugel für die Zukunft, das ist er aber nicht.
Kennen Sie die Länge Ihrer Telomere?
Noch nicht, ich nehme aber an einer Studie teil, die das misst.
Wenn es soweit ist: Verändert dieses Wissen das Verhalten?
Das versuchen wir gerade bei einer Studie mit 250 Frauen in San Francisco herauszufinden: Was löst das Wissen aus, kurze oder lange Telomere zu haben? Momentan können wir darüber nur spekulieren, an sich sind wir an derartige Wahrscheinlichkeitszusammenhänge ja gewöhnt, wenn man etwa an Cholesterinwerte denkt, die viele Leute von sich kennen.
Oder auch Gentests: Wenn jemand einen solchen macht, erfährt er etwa seine Wahrscheinlichkeit für Hautkrebs. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen mit der niedrigen Risikovariante sich nicht sofort ins Sonnenstudio begeben und unter die UV-Lampen legen. Die Menschen können also offensichtlich mit der Information über Wahrscheinlichkeiten umgehen, und so ähnlich ist es auch bei den Telomerlängen, denke ich.
Ist die Telomerlänge auch durch pharmakologische Stoffe beeinflussbar?
Nein, bis jetzt sind keine Stoffe bekannt, die eindeutige Effekte haben. Wir arbeiten auch an keinen. Pharmakologische Interventionen könnten in extremen Fällen sinnvoll sein, wenn Menschen aus genetischer Veranlagung extrem kurze Telomere haben. Viele sind von der Idee einer lebensverlängernden "Wunderpille" fasziniert, aber da sollte man nichts übereilen. Vielleicht hätte eine derartige "Wunderpille" unerwünschte Nebeneffekte wie ein erhöhtes Krebsrisiko oder dergleichen.
Aber es gibt da draußen doch sicher mindestens 20 Forschergruppen, die genau daran arbeiten!?
Ja, ja. Es gibt Expertinnen und Experten dafür, aber die Idee ist viel einfacher als die Umsetzung, die klinische Überprüfung und die Einhaltung der Sicherheitsstandards. Wir machen das nicht, aber natürlich gibt es dazu Forschung. Ich bin eine Wissenschaftlerin und denke mir: Je mehr ich über eine Sache weiß, desto besser kann man diese Sache beeinflussen. Vieles wissen wir aber einfach noch nicht.
Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Weitere Beiträge zu den Technologiegesprächen 2012: