Gemeinsam mit Roland Imhoff von der Universität Bonn hat er diese Eigenschaft empirisch untersucht, wie er science.ORF.at bei den Technologiegesprächen in Alpbach erzählt hat.
8.000 Studienteilnehmer in vier Ländern

ORF/Milenko Badzic
Martin Bruder ist Psychologe am Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Er führt aktuell eine Studie zu "Macht und Einfluss sozialer Gruppen" durch.
Studien:
- Umfrage zu Verschwörungstheorien und Macht und Einfluss sozialer Gruppen (durchgeführt von Martin Bruder und seinen Kollegen)
- Dead and Alive: Beliefs in Contradictory Conspiracy Theories
Technologiegespräche in Alpbach:
Von 23. bis 25. August fanden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Globale Zukunft - Erwartungen an Wissenschaft und Technologie". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger, internationale Experten und Expertinnen u.a.
Links:
Ö1 Hinweise:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 27.8., 13:55 Uhr.
Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2012 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.
Die Psychologen haben in einem ersten Schritt eine Liste von 40 Verschwörungstheorien erstellt, die sich aus einschlägigen Websites gespeist hat.
Darunter befinden sich Klassiker wie jene, wonach Freimaurer die Weltgeschicke lenken, die NASA die Landung der Apollo-Mondsonden lediglich simuliert hat und Kontakte zu Außerirdischen, die bereits vor Jahrzehnten auf der Erde gelandet sind, vertuscht wurden. Jüngeren Datums sind Theorien, denen zufolge Prinzessin Diana durch Kreise des britischen Königshauses ermordet wurde und die Regierung der USA die Attacken auf das World Trade Center am 11. September zumindest geduldet hat.
Rund 8.000 Teilnehmer gaben dann via Internet-Fragebogen die Wahrscheinlichkeit an, mit der sie an diese - unterschiedlich extremen - Theorien glauben. Die Studie, so betont Bruder, war zwar nicht repräsentativ, da sie aber in vier verschiedenen Ländern - USA, Großbritannien, Deutschland sowie der Türkei - in drei verschiedenen Sprachen durchgeführt wurde, handle es sich dabei aber dennoch um die größte und aussagekräftigste Datensammlung zu diesem noch relativ wenig erforschten Thema.
Keine Apollo-Mondlandung: 36 Prozent wahrscheinlich
Zwei Beispiele: Im Schnitt hielten es die Teilnehmer zu 40 Prozent für wahrscheinlich, dass Dianas Tod kein Unfall war, zu 36 Prozent, dass die US-Mondlandung niemals stattgefunden hat. Die Zustimmungsraten waren also relativ hoch, Hauptergebnis ihrer Studie sei aber ein anderes gewesen, sagt Martin Bruder.
"Es hat sich gezeigt, dass der Glaube an Verschwörungstheorien entweder stark oder schwach ausgeprägt ist. D.h. wenn eine Person zu denen gehört, die eine Verschwörungstheorie für wahrscheinlich hält, dann hält sie - verglichen mit anderen Menschen - auch andere für eher wahrscheinlich. Es gibt also nicht bestimmte Gruppen von Verschwörungstheorien, die von manchen Menschen für wahrscheinlich gehalten werden, und andere Theorien, die andere Menschen für wahrscheinlicher halten. Der Glaube an solche Theorien ist eher so etwas wie eine persönliche Eigenschaft."
Durchaus widersprüchlich
Bruder nennt sie deshalb auch "Verschwörungsmentalität", und die ist in den untersuchten Ländern unterschiedlich ausgeprägt. Unter den Befragten in der Türkei ist der Hang zu Verschwörungstheorien etwa deutlich stärker. "Warum das so ist, wissen wir noch nicht", sagt Bruder.
"Das kann an den Personen liegen, die an der Umfrage teilgenommen haben, oder an den spezifischen Verschwörungstheorien, die wir abgefragt haben, vielleicht gibt es aber auch tatsächlich eine generell stärkere Neigung dazu, weil Verschwörungstheorien etwa im öffentlichen politischen Diskurs häufiger vorkommen, wo den USA oft eine negative Rolle zugeschrieben wird.
Dass es eine generelle Verschwörungsmentalität gibt, dafür spricht auch der Befund einer anderen Studie, die Bruder zitiert. Verschwörungstheorien können nämlich durchaus widersprüchlich sein und dennoch geglaubt werden. Der Studie zufolge halten es Personen, die eher an die Ermordung von Diana glauben, auch für wahrscheinlicher, dass ihr Tod nur vorgetäuscht wurde.
Beispiel Fukushima
In einem zweiten Schritt ihrer Studie untersuchten die Psychologen, was Menschen mit einem Hang zu Verschwörungstheorien denken, wenn ein Unglück geschieht. Ihr Beispiel: die Erdbeben- und Flutkatastrophe voriges Jahr in Japan und die nachfolgenden Unfälle in den Atomkraftwerken von Fukushima.
"Diese Personen glauben eher, dass mächtige Gruppen wie Stromkonzerne oder die Regierung dafür verantwortlich waren, nicht unbedingt in Form einer echten Verschwörung, aber etwa dadurch, dass sie Sicherheitsvorschriften systematisch unterlaufen haben, oder dass es ein schweigendes Übereinkommen gegeben hat, diese zu vernachlässigen. Menschen ohne Verschwörungsmentalität sind schneller dazu bereit, Fukushima als Verkettung unglücklicher Umstände zu betrachten, bei denen auch der Zufall eine Rolle gespielt hat. "
Gegen "die Starken"
Als verbindendes Element zwischen vermeintlichen Verschwörungen und derartigen Unglücksfällen sieht Bruder den Hang, mächtige Gruppen verantwortlich für das Geschehen zu machen.
Im Gegensatz zu Mitmenschen, die ihre Vorurteile v.a. gegenüber schwachen Gruppen der Gesellschaft, etwa Randgruppen, Ausländern oder ethnischen Minderheiten, hegen, sehen sie in den starken Gruppen der Gesellschaft - der Regierung, Geheimdiensten, multinationalen Konzernen oder Eliten - die wahren Strippenzieher.
Und das geht auch einher mit der Bereitschaft, sich praktisch gegen sie zu engagieren. "Diese Leute sind eher bereit zu protestieren, mitunter auch die Grenzen der Legalität auszuloten, wenn sie z.B. den Transport atomarer Abfallprodukte blockieren", sagt Bruder.
Ufos regen die Fantasie an
Bleibt die Frage, was eine Verschwörungstheorie überhaupt genau ist. "Wir können sie für unglaubwürdig halten, aber ihr selbstimmunisierender Charakter ist, dass sie in den allermeisten Fällen letztlich nicht als wahr oder falsch beurteilt werden können. Verschwörungstheorien werden auf jeden Fall dann problematisch, wenn sie sich dem logischen Diskurs entziehen und eine eigene Realität bilden, die nicht mehr bereit ist, sich selbst zu hinterfragen", meint Bruder.
Es gebe aber auch Ausnahmen, wie die Watergate-Affäre, die als Verschwörungstheorie begonnen hatte, ehe sich ihre Annahmen bestätigten. Das Hinterfragen mächtiger Gruppen der Gesellschaft sei also sicher sinnvoll, meint Bruder, automatisch die Verantwortung für Geschehnisse aller Art einer bestimmten Gruppe mächtiger Hintermänner zuzuschreiben aber nicht.
Der Psychologe selbst nennt den Glauben an Ufo-Besucher als seine Lieblings-Verschwörungstheorie. "Nicht weil ich daran glaube, sondern weil sich rund um sie eine eigene Subkultur gebildet hat. Und schließlich halten es auch ernstzunehmende Physiker für ziemlich wahrscheinlich, dass es in anderen Regionen des Weltraums intelligentes Leben gibt. Das regt die Fantasie an."
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Weitere Beiträge zu den Technologiegesprächen 2012: