Der US-Forscher Bruce Weinberg hat letztes Jahr gezeigt, dass die wichtigsten Entdeckungen der Physik heute von erfahrenen Forschern gemacht werden. Sie wurden am 16. September 60 Jahre alt. So gesehen das ideale Alter für einen Physiker.
So würde ich das nicht formulieren. Meine einflussreichsten Arbeiten liegen schon 15 bis 20 Jahre zurück. Aber das liegt auch in der Natur der Sache: Wir Theoretiker machen Vorschläge, wie man Quantencomputer oder Quantensimulationen realisieren könnte. Bis diese Vorschläge von den Experimentalphysikern umgesetzt werden, braucht es einen langen Vorlauf und entsprechende technologische Entwicklungen. Man könnte sagen: Früher war man mit 60 weg vom Fenster - heute ist das zum Glück nicht mehr so.

Universität Innsbruck
Peter Zoller ist Professor für theoretische Physik an der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften.
Sie wurden für Ihre Arbeiten mit den höchsten Auszeichnungen bedacht, die die Physikergemeinde zu bieten hat, darunter etwa die Benjamin-Franklin-Medaille und die Dirac-Medaille. Fehlt nur noch eins: der Nobelpreis.
Das ist kein Thema für mich. Ich habe mein Lob schon bekommen.
Immerhin schienen Sie schon auf der Nobelpreis-Favoritenliste von Thomson Reuters auf.
Das ist eine Firma, die mit Hilfe von Zitationsanalysen Projektionen für den Nobelpreis erstellt. Man sollte das nicht zu ernst nehmen. Die Trefferquoten der Vorhersagen sind meines Wissens auch eher moderat.
Kommen wir zum Fachlichen: Welche Ihrer Publikation war die wichtigste?
Man muss das im Kontext betrachten: Zu Beginn meiner Karriere haben die Experimentalphysiker gelernt, mit einzelnen Atomen, Ionen und Photonen kontrollierte Experimente zu machen. Auf der Theorieseite entstand die Idee der Quanteninformation. Unsere Arbeiten haben diese Gebiete - Quantenoptik und Quanteninformation - verbunden. Es ist natürlich schwierig, eine einzige Arbeit herauszugreifen. Besonders stolz bin ich jedenfalls auf den Vorschlag, wie man aus Ionenfallen einen Quantencomputer bauen könnte.
Das haben die Experimentalphysiker mittlerweile tatsächlich umgesetzt. Daran maßgeblich beteiligt war mein Innsbrucker Kollege Rainer Blatt, er hat hier eine absolute Vorreiterrolle inne. Wenn ich 10 Jahre zurückblicke und sehe, was heute im Labor alles möglich ist, dann muss ich sagen: Das haut mich um. Das hat meine Hoffnungen weit übertroffen.
Die erste Architektur eines Quantencomputers haben Sie gemeinsam mit Ihrem damaligen Mitarbeiter Ignacio Cirac entwickelt. Ist die entsprechende Publikation Ihre am meisten zitierte Arbeit?
Ich glaube schon, ja. Die erfolgreichsten meiner Arbeiten werden jeweils etwa 100 Mal pro Jahr zitiert. Das heißt, es erscheint jeden dritten Tag ein Paper, das diese Arbeiten zitiert. Das ist nicht schlecht.
Wie kam es zu dieser Publikation?
Ich war damals, 1994, noch Professor in Boulder, Colorado. Zu dieser Zeit fand dort eine große Atomphysikkonferenz statt, zu der auch Fachleute aus anderen Fachgebieten eingeladen wurden. Ignacio Cirac und ich hörten uns einen Vortrag von Artur Ekert aus Oxford an, der von den neuesten Entwicklungen auf seinem Forschungsgebiet berichtete. Er erklärte, dass es nun die Idee gebe, einen Quantencomputer zu bauen - und warum diese Idee so interessant sei. Ignacio Cirac und ich haben uns danach angesehen und gesagt: "Wow - wir wissen, wie man so etwas macht!" Letztlich war es Zufall, dass wir mit der richtigen Frage konfrontiert wurden.
Wozu sind die aktuellen Quantencomputer imstande?
Was es zurzeit gibt, sind Modelle von Quantencomputern mit ungefähr zehn Quantenbits. Die Zahl wächst natürlich, in ein paar Jahren werden wir vielleicht bei 20 oder 30 sein. Allerdings ist die Zahl der Bits gar nicht so entscheidend. Entscheidend ist die Frage: Wie viele Rechenoperationen kann ich darauf anwenden? Vor 10 Jahren waren die Experimentalphysiker froh, wenn sie einen einzigen Rechenschritt machen konnten.
Heute produzieren Forscher wie Rainer Blatt routinemäßig bis zu 200 Rechenschritte. Eine Fehlerkorrektur haben die Experimentalphysiker ebenfalls schon entwickelt. Wir haben nun eine Grenze erreicht: Die Systeme sind nicht mehr trivial und könnten tatsächlich nützlich werden.
Was kann man mit 200 Rechenschritten machen?
Mit 200 Rechenschritten ist man schon an der Grenze von Anwendungen, die ein klassischer Computer nicht schaffen kann, nicht einmal die größten Rechner der Welt. Der Fachbegriff dazu heißt: "To outperform a classical device." Das ist noch nicht passiert, aber es wird bald passieren: Bei sehr spezifischen Aufgaben werden diese Systeme die klassischen Computer bald fundamental schlagen.
Laut Ignacio Cirac braucht man für die Primfaktorenzerlegung, wie sie etwa in der Kryptographie angewandt wird, sehr großer Zahlen, mindestens 100.000 Quantenbits, nicht 20.
Stimmt, und man benötigt außerdem eine Million Rechenschritte. Hier sind wir noch sehr weit vom Ziel entfernt. Die Anwendungen, von denen ich spreche, liegen im Bereich der Quantensimulation. Für die Entwicklung neuer Atomuhren und die Untersuchung neuartiger Materialien ist man mit 20 Quantenbits bereits in einem interessanten Bereich. Die Anwendungen werden in nächster Zeit sicher in der Physik liegen - und nicht in der Computerwissenschaft.
Rainer Blatt hat einmal gesagt: Mit den Ionenfallen werde man vielleicht ein raumfüllendes Monstrum von ein paar Tausend Quantenbits bauen können. So ein Gerät würde sich zum Quantencomputer der Zukunft so verhalten wie der Universalrechner ENIAC der 1940er Jahre zu den Computern heutiger Zeit. Mit anderen Worten: Der Quantenprozessor der Zukunft wird anders aussehen.
Noch sind die Ionenfallen der Goldstandard auf diesem Gebiet, wenngleich es natürlich Alternativen gibt, supraleitende Quantenbits beispielsweise. Ionenfallen lassen sich auch als Mikrochips realisieren, ich sehe da noch jede Menge Potenzial.
Wenn man die Gegenwart mit der Evolution des klassischen Computers vergleicht: Das Quanten-Gegenstück zu Transistoren und integrierten Schaltkreisen wurde noch nicht erfunden.
Integrierte Schaltkreise mit Ionen gibt es bereits ansatzweise. Der Übergang vom Röhren- zum Transistorcomputer war zweifelsohne eine Revolution. Diese Idee sehe ich in unserem Feld noch nicht. Aber wenn er passiert, dann ...
... geht's dahin.
Genau. Dann geht's dahin!
Wie kamen Sie nach Boulder?
Ich habe in Innsbruck studiert und bekam Ende der 80er Jahre Angebote aus Deutschland, Harvard und eben auch vom Joint Institute for Laboratory Astrophysics in Boulder. Ich habe mich letztendlich für Boulder entschieden, weil es dort einige Forscher gab, die ich sehr schätze und mit denen ich gut zusammenarbeiten konnte. Außerdem ist Boulder so ähnlich wie Innsbruck, es gibt auch Berge ...
... die Natur war für Sie einer der Beweggründe Ihrer Karriereentscheidungen?
Durchaus. Schließlich muss sich ja auch die Familie wohlfühlen. Jedenfalls habe ich in Boulder Rainer Blatt kennengelernt und auch mit anderen hochkarätigen Forschern zusammengearbeitet: etwa mit Eric Cornell und Carl Wieman, die 2001 für die Entwicklung des Bose-Einstein-Kondensats den Nobelpreis bekommen haben, oder auch Jan Hall. Von den Experimentalphysikern habe ich damals gelernt, welche zukünftigen Entwicklungen für einen Theoretiker interessant werden könnten.
Man könnte sagen: Sie sind Theoretiker mit Nahkontakt zum experimentellen Fach.
Ja, mich haben immer Extrapolationen des momentan Möglichen interessiert. Fragen wie: Was wird in fünf Jahren mit der verfügbaren Technologie möglich sein? Wie kann man Dinge erreichen, die momentan Utopie sind? Ich bin weniger der Theoretiker, der ein Experiment im Nachhinein erklärt. Meine Arbeiten waren im Grunde immer experimentelle Vorschläge, die in die Zukunft gewiesen haben.
Wie kam es dazu, dass sowohl Sie als auch Rainer Blatt nach Innsbruck gegangen sind?
Es war für uns beide, Rainer Blatt und mich, klar, dass wir gerne beide am gleichen Ort forschen würden, weil wir sehr voneinander profitiert haben. Dass das nun in Innsbruck geschehen ist, war wohl Zufall - wenngleich für mich als geborenen Innsbrucker ein schöner Zufall. Die Voraussetzungen dafür hat u.a. Anton Zeilinger geschaffen, er hat die Quantenphysik in Innsbruck aufgebaut und vorbereitet.
Wenn Sie der jungen Forschergeneration einen Satz mitgeben müssten: Was würden Sie sagen?
In Bezug auf meine Karriere: Innovation entsteht durch das Bauen von Brücken, durch die Verbindung getrennter Forschungsgebiete.
Interview: Robert Czepel, science.ORF.at
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