Schon Sigmund Freud wollte nicht täglich acht Stunden lang von seinen Patienten angestarrt werden. So wollte er vermeiden, dass seine Mimik die Erzählung der Patienten beeinflusst. Er verfrachtete seine Klienten auf die Couch. Die räumliche Distanz zwischen Patient und Therapeut ist heute oft noch größer. Denn psychotherapeutische Behandlungen sind auch über das Telefon möglich.
Einfacher Zugang via Telefon
Nicht um Psychonalyse, sondern um den Erfolg telefonischer Verhaltenstherapie ging es nun in einer Studie von Psychologen der Universität Cambridge, für die sie Daten von 39.000 Patienten analysierten. Sie alle nahmen kognitive Verhaltenstherapie im Rahmen des "Improve access to psychological therapies"- Programms in Großbritannien in Anspruch. Ziel des Programms ist, Menschen mit mittelgradigen Depressionen und Angstzuständen einen einfachen Zugang zu Therapien zu ermöglichen.
Die Studie
"Comparative Effectiveness of Cognitive Therapies Delivered Face-To-Face or Over the Telephone: An Observational Study Using Propensity Methods" von Peter Jones et al. ist am 28. September in PLoS ONE erschienen.
Während des Erstgesprächs wurde gemeinsam mit den Patienten entschieden, ob die Verhaltenstherapie in klassischen Sitzungen oder telefonisch erfolgen würde. In der kognitiven Verhaltenstherapie kommen neben Therapiesitzungen auch Anleitungen zur Verhaltensänderung und körperlicher Ertüchtigung, Selbsthilfebücher und grundlegende psychologische Informationen zum Einsatz. Therapeutische Inhalte werden auch über das Internet und andere Computeranwendungen zur Verfügung gestellt.
Patientenzufriedenheit wurde gemessen
Um den Therapieerfolg messen zu können, wurden drei unterschiedliche Fragebögen analysiert. Diese wurden von den 39.000 Patienten nach jeder therapeutischen Sitzung ausgefüllt. Fragen zum Status der Depression und der Angstzustände mussten beantwortet werden, und es wurden Angaben zum sozialen Befinden und der Arbeitsfähigkeit verlangt. Die Patienten mussten selbst einschätzen, ob sich ihr Gesundheitszustand und ihre Lebensqualität durch die Therapie verbesserten.
Die Angaben der Patienten konnten in der Folgesitzung mit dem Therapeuten besprochen werden, entweder im persönlichen Gespräch oder telefonisch. Dass die Fragebögen in einer Studie untersucht wurden, wussten weder die Therapeuten noch die Patienten.
Gleicher Erfolg - niedrigere Kosten
Ö1-Sendungshinweis
Über diese Studie berichtete auch "Wissen aktuell"
Für den überwiegenden Teil der Patienten brachten die telefonischen Sitzungen den gleichen Erfolg wie die persönlichen Therapiegespräche. Die Kosten der einzelnen Sitzungen waren jedoch bei der Telefontherapie um mehr als 36 Prozent niedriger. Nur Menschen mit schwerwiegenderen Störungen konnten von der telefonischen Behandlung nicht im gleichen Maß profitieren.
"Therapie via Telefon zur Verfügung zu stellen verbessert nicht nur den dringend gebrauchten Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungen, auch die Kosten werden dadurch erheblich reduziert. Das ist sehr wichtig in der heutigen Zeit, in der alle mit Kostenreduktion im Gesundheitswesen beschäftigt sind", so der Hauptautor der Studie, der Neuropsychologe Peter Jones, in einer Aussendung.
Onlinetherapie bereits erfolgreich
In der Verhaltenstherapie können neben telefonischen Sitzungen auch Internetangebote zum Einsatz kommen, ein Therapieverfahren, das bei Patienten mit Bulimie immer öfter angewendet wird. So auch an der Universitätsklinik für Kinder– und Jugendpsychiatrie im Wiener AKH, wo über eine Onlineplattform geleitete Selbsthilfe stattfindet. Die Betroffenen lernen über ein Computerprogramm ihre Heißhungerattacken zu kontrollieren und sich nicht mehr übergeben zu müssen.
Die Patienten müssen ein Ernährungstagebuch führen, und einmal in der Woche erfolgt eine Sitzung mit einem Psychotherapeuten per E-Mail, der den Selbsthilfeprozess begleitet. Die Patienten können die Plattform jederzeit besuchen und sind bis auf den therapeutischen E-Mail-Verkehr nicht an Zeit und Ort gebunden. Für die Therapeuten bringt die Onlinetherapie eine große Zeitersparnis. Sie können fünf- bis zehnmal mehr Patienten in der gleichen Zeit bei gleichbleibendem Therapieerfolg betreuen.
Vorteile für Patienten und Therapeuten
Auch die Forscher aus Cambridge sind überzeugt, dass Teletherapie Vorteile für Patienten und Therapeuten bringt. Ihrer Untersuchung zufolge reduziert sich die Therapiezeit um 40 Prozent. Die Betreuungsleistungen sind nicht an eine Ordination gebunden und müssen sich nicht nach den Arbeitszeiten der Patienten richten. Zudem eröffnet Verhaltenstherapie über Telefon oder Internet die Möglichkeit, die Betreuung auf schwer zu erreichende Bevölkerungsgruppen auszuweiten, etwa auf Landbewohner, Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten.
Marlene Nowotny, science.ORF.at