Ihr Resümee: Sie sind oft sehr jung, haben erstaunlich wenig Berufserfahrung und verbleiben nicht lange in ihrem Job - und sie sind fast ausschließlich Männer.
Äußerst geringer Frauenanteil

Eva Kreisky, Universität Wien
Eva Kreisky ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Vizedekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften
Veranstaltung zur Emeritierung:
Anlässlich der Emeritierung von Eva Kreisky findet am Freitag, 12. Oktober (Beginn 13 Uhr), an der Universität Wien das Symposion "Maskulinismus und Politik. Diagnosen zum Zustand liberaler Demokratie" statt (Programm).
Ort: Aula am Campus der Universität Wien, Spitalgasse 2 / Hof 1, 1090 Wien
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmen sich auch Beiträge im Dimensionen Magazin (12.10., 19:05 Uhr) und in Wissen aktuell (13:55 Uhr).

EPA
Ein Mitarbeiter von Lehman Brothers, der 2008 seinen Job verloren hat, verlässt das Gebäude mit einem Karton in der Hand
Die Zahlen sind eindeutig: Die entscheidenden Positionen kaum einer Berufsbranche sind derart in Männerhand wie die der Hochfinanz. Laut einer Studie waren im Jahr 2007 vier Fünftel aller Front-Office-Investmentbanker in den USA männlich. In den Vorständen der 100 größten Banken und 58 größten Versicherungsunternehmen Deutschlands beträgt der Frauenanteil jeweils rund zwei Prozent. Und das obwohl die meisten Beschäftigten im Finanzsektor Frauen sind - sie besetzen in großer Zahl aber untere Banketagen oder arbeiten in den Backoffices.
Das öffentliche Bild von Bankern, Brokern und Tradern ist geprägt von Hollywoodfilmen wie "Wallstreet" oder "American Psycho": erfolgreiche junge Männer, die mit dunkelblauen Anzügen, weißen Hemden, schmalen Krawatten, teuren Schuhen und ebensolchen Manschettenknöpfen um die Wolkenkratzer der Bankenviertel kutschiert werden.
Im schlimmsten Fall müssen sie zu Fuß gehen, mit Pappkartons unter dem Arm, vollgestopft mit einigen persönlichen Habseligkeiten, die sie im letzten Moment noch einpacken konnten, bevor sie von ihrem Arbeitgeber entlassen worden waren - so die noch sehr präsente Erinnerung nach dem Konkurs der Lehman Brothers im September 2008.
Risikofreudige Männer sorgen für Gewinn
Das Bonmot, wonach es nachfolgend zu keiner Weltfinanzkrise gekommen wäre, hätte es sich dabei um "Lehman Sisters" gehandelt, findet Eva Kreisky zwar "platt", der tendenziellen Aussage pflichtet sie aber bei. Die Struktur der Hochfinanz sei auf einen männlichen Wettbewerb mit entsprechenden Werten ausgerichtet. Gemeinsam mit der deutschen Soziologin Andrea Bührmann von der Universität Göttingen arbeitet sie derzeit an einem Buch, das dem bisher erstaunlich wenig erforschten Thema "Akteure in der Hochfinanz" nachgeht und 2013 im Campus Verlag erscheinen soll. Die beiden Forscherinnen werten dazu Finanz-Ratgeberliteratur ("Wie werde ich reich?"), fiktionale Literatur ("Cosmopolis"), sozialwissenschaftliche Studien und die Memoiren von Aussteigern aus der Szene ("Cityboy") aus.
Klar wird dabei, dass jene Eigenschaften, die zum Ausbruch der jüngsten Finanzkrise geführt haben - wie eine hohe Risikobereitschaft und Rücksichtslosigkeit - von den Banken systematisch gefördert werden. "Das beginnt bei der Rekrutierung des Nachwuchses", erzählt Eva Kreisky. "Die Banken suchen nicht vorrangig Trader und Broker mit ökonomischer Kompetenz, sondern solche mit aggressivem Verhalten; Personen, die bereit sind, ein hohes Risiko einzugehen und nicht auf die sozialen Kosten achten. Das sind zu allermeist Männer, denn Frauen verhalten sich weniger risikofreudig und machen deshalb auch weniger Gewinne. Diese aggressiven Männer sichern den Gewinn der Bank, zumindest so lange, bis es schiefgeht, wie 2008."
Junge Trader, starke Fluktuation
Auffällig sind laut der Politikwissenschaftlerin das Alter und die Ausbildung der handelnden Personen. "Man findet alles Mögliche, das reicht von Slawistik-Absolventen über Literaturwissenschaftler bis hin zu Betriebswirten und Ökonomen. Sie sind oft sehr jung, treten schon mit 21 oder 22 Jahren in die Investmentbank ein. In London kommen die meisten von den Unis Oxford oder Cambridge, in Paris von den berühmten Akademikerschmieden. Ein anderer Zugang ist der über Väter oder Brüder, die selbst schon in dem Bereich tätig sind."
Die Finanzbranche ist aber nicht nur sehr jung. Es gibt auch eine sehr hohe Fluktuation. Laut einer Studie aus dem Jahr 2003 verfügte rund die Hälfte aller Analysten nur über eine einschlägige Berufserfahrung von maximal drei Jahren. Nur dreieinhalb Prozent übten den Beruf bereits seit mehr als zehn Jahren aus. "So kommt es, dass sehr junge Analysten Unternehmen beurteilen und bewerten, von denen sie eigentlich keine Ahnung haben, weder von der Branche noch von den Unternehmen. Das ist ein bisschen furchterregend, mit wie wenig Knowhow der Finanzmarkt bespielt wird", sagt Eva Kreisky.
Brüderliches Band der Männlichkeit
Was für Analysten gilt, trifft von der Tendenz auch auf die Broker und Trader zu. Auch hier regiert das Modell: weiß, männlich, jung. Junior Trader sind aber auch die Ersten, die in der Krise entlassen werden. "Banken haben sie gern, weil sie nicht die hohen Boni bekommen wie ihre älteren Kollegen, aber mindestens so risikofreudig sind. Sie tappen ohne ein Netz in diesen eher riskanten Job. Es wird ihnen zugemutet, dass sie riskante Dinge tun, auf die sie gar nicht so vorbereitet sind, weil sie das Feld nicht so gut kennen. Sie tun es aber trotzdem, die Bank macht Riesengewinne, und sollten sie übertreiben, weist die Bank jede Verantwortung von sich und putzt sich an ihnen ab", sagt Kreisky.
Was die Akteure eint, ist das "brüderliche Band der Männlichkeit", wie es die Politikwissenschaftlerin ausdrückt. Frauen wie Susanne Schmidt, die Tochter des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, ist mit ihrer 30 Jahre langen Karriere am Finanzplatz London eine der wenigen Ausnahmen. "Sie meint, dass das System in den USA offener für Frauen ist als in Europa, und das dürfte zutreffen", sagt Kreisky. "Frauen stören die männliche Geschlossenheit der Branche. Wenn sie akzeptiert werden, dann in der Art und Weise, dass sie ihre Weiblichkeit einbringen sollen, d.h. bei Kundenpartys ihre Reize entsprechend einsetzen sollen."
Seltsame Initiationsriten und Prostitution
Zur Logik des Männerbündischen passen die seltsam anmutenden Initiationsriten der Branche. "Eine Aussteigerin beschreibt den Brauch, dass man nach dem ersten erfolgreich abgeschlossenen Deal ganz rasch eine Runde durch den Handelsraum laufen musste und die anderen Trader einen dabei mit Flaschen oder sonstigen Dingen bewarfen", so Kreisky. Auch der Hang zu Prostitution sei in der Branche weit verbreitet und einer entsprechenden Arbeitsatmosphäre für Frauen nicht gerade förderlich.
"Käuflichen Sex zu suchen, ob in einem Strip-Lokal oder in einem Bordell, passte auch irgendwie zum Ethos der City, dass jede Dienstleistung eben ihren Preis bzw. Kurs hat", schreibt etwa der ehemalige britische Topanalyst Geraint Anderson, der unter dem Namen "Cityboy" die fragwürdigen Praktiken seiner Branche offenlegte.
Was der Antrieb für so viele ist, die in den Finanzbereich drängen? "Sie wollen Geld", lautet die schlichte Antwort von Kreisky. "Es ist die Gier nach Geld, die Jagd auf Boni so schnell wie möglich, denn wer weiß, ob sie morgen noch zu haben sind. Damit wird ein bestimmter Lebensstil finanziert: Partys, Kundenfeste, viel Alkohol und Kokain, Luxusgüter, Alimentierung der zweiten oder dritten Ehefrau samt Familien, teure Wohnungen und anderes mehr."
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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