Hier können alle sehr schnell zu Trittbrettfahrern werden, auch die ranghöheren Tiere, berichtet ein Forscherteam um Anna-Claire Schneider vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Die Studie:
"How chimpanzees solve collective action problems" von Anna-Claire Schneider und Kollegen ist am 16.10. in "Proceedings of the Royal Society B" erschienen.
Freiwilligendilemma - z.B. bei kaputtem Aufzug
Im Mittelpunkt der Forscher standen sogenannte "collective action problems". Die Frage also, wie es gelingt, dass Gruppen handeln, obwohl Individuen unterschiedliche Interessen haben können. Der Begriff stammt aus Disziplinen wie der Ökonomie und Soziologie und basiert auf der Theorie der rationalen Entscheidung. Zwar sind Menschen äußerst selten, die ihre Handlungen ausschließlich nach dem vernünftigen Abwiegen von Argumenten setzen, eben von dem geht die Theorie aber aus.
Das führt etwa in der Spieltheorie zum "Freiwilligendilemma", einem "Szenario, in dem ein geteiltes Gut nur dann hergestellt wird, wenn zumindest einer aus der Gruppe bereit ist, die Kosten zu tragen. Jeder aus der Gruppe will es, bevorzugt aber, dass jemand anderes der Freiwillige ist", wie es in der aktuellen Studie heißt.
Ein anschauliches Beispiel: Stellen Sie sich vor, der Aufzug Ihres Hauses ist kaputt. Es braucht nur ein Einziger aus dem Haus bei der Beschwerde-Hotline anzurufen, damit der Aufzug wieder repariert wird. Aber würden Sie das tun oder lieber auf die anderen warten? Wenn sich letzteres alle denken, geschieht gar nichts und Sie müssen weiterhin die Treppe steigen. Wenn Sie aber anrufen, müssen Sie die - zugegebenermaßen überschaubaren - Telefonkosten tragen. Den Nutzen genießen dann Sie genauso wie alle anderen, die den einzigen Nachteil haben, von den Spieltheoretikern "Trittbrettfahrer" genannt zu werden.
"Probleme kollektiven Handelns"
"Trittbrettfahrer" gibt es, wenn man sich die spieltheoretische Brille aufsetzt, auch im Tierreich. Anna-Claire Schneider und ihre Kollegen nennen etwa die Territorialkonflikte von Löwinnen. Bei den in Gruppen lebenden Tieren werden Eindringlinge abgewehrt. Die tatsächliche Auseinandersetzung findet aber nur zwischen einigen wenigen Exemplaren statt, die anderen profitieren davon.
Auch bei Schimpansen sind "Probleme kollektiven Handelns" in freier Wildbahn zu beobachten. Etwa wenn sie ihrer vorwiegend pflanzlichen Ernährungsweise überdrüssig sind und sich einmal nach tierischen Proteinen sehnen. Wenn sie dann z.B. hinter Stummelschwanzaffen her sind, tragen die aktiven Jäger einer Gruppe ein größeres Risiko, sich zu verletzen oder zu viel Energie zu verlieren. Das verleitet zum "Trittbrettfahren".
Kleine Gruppen werden dominiert
Zwei Videos der Experimente:
Um dem genauer auf den Grund zu gehen haben die Forscher in der aktuellen Studie deshalb zwei Experimente konstruiert, die auf dem Freiwilligendilemma basiert. Im ersten mussten Schimpansen einen Knopf drücken, damit sich Tröge mit Saft für alle füllten. Im zweiten Versuch sollten zwei Exemplare an einem Seil ziehen, damit es in einem Nachbarraum Erdnüsse regnete. Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass ranghöhere Tiere generell zum Handeln neigen, während rangniedrigere Tiere passiver bleiben und nehmen, was sie bekommen können.
Das Saftexperiment war das kleinere: Teilgenommen daran haben jeweils immer Gruppen von drei Tieren, die aus dem Primatenzentrum des Leipziger Zoos stammten. Dabei zeigte sich, dass tatsächlich eher die ranghöheren Tiere handelten und dafür sorgten, dass der Saft strömte. Die Dominanten bekamen mehr von der Belohnung ab, doch auch für die anderen blieb etwas übrig, somit profitierte die ganze Gruppe. Das "Problem kollektiven Handelns" war aus Sicht der Forscher also überwunden.
Trittbrettfahren in Affentempo erlernt
Beim Erdnussexperiment wurden Tiere des Schimpansenreservats auf der Ngamba Insel im Victoriasee von Uganda verwendet. Die Gruppen waren mit sechs Exemplaren diesmal deutlich größer und auch die Versuchsanordnung war deutlich komplizierter. In einem Raum mussten zwei Affen kooperieren, um einen Mechanismus auszulösen, der in einem anderen Raum zum Erdnussregen führte.
Das "Problem kollektiven Handelns" bestand nun darin, dass die beiden kooperierenden Affen erst in das andere Zimmer gelangen mussten, um von den Belohnungen zu profitieren - in der verstrichenen Zeit konnten sich die anderen vier Schimpansen bereits an den Erdnüssen gütlich tun. Entsprechend brach das Muster, wonach die ranghohen Tiere eher zur Handlung drängten, nach einigen Versuchen recht schnell zusammen.
Die dominanten Schimpansen hörten auf, an dem Seil des einen Raums zu ziehen, und lernten sozusagen in einem Affentempo, an welcher Stelle im anderen Raum die Nüsse herunterpurzelten. Sie stellten sich genau dorthin und warteten ab - das "Problem kollektiven Handelns" wurde damit also nicht gelöst.
Entspricht nicht der freien Wildbahn
Für die Forscher waren die Experimente spannend, weil bis heute nicht geklärt ist, wie Affen in freier Wildbahn in Gruppen erfolgreich jagen. Richtig vergleichen könne man die zwei Phänomen aber freilich nicht, betonen sie in ihrer Studie.
Denn bei den Jagden hätten die aktiven Tiere einerseits gute Chancen auf ein größeres Stück der Beute, andererseits setzten sie dafür ihre Gesundheit aufs Spiel. Um das Geheimnis der erfolgreichen Gruppenjagden der Schimpansen zu lüften, müssten also noch weitere Experimente zu dem Problem kollektiven Handelns gemacht werden, so die Forscher.
Lukas Wieselberg/science.ORF.at/dpa
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