Das wirkliche Potenzial dieser Steuer liegt aber nach wie vor im Dunklen und bedarf noch eingehender Forschung, schreibt der Ökonom und Politikwissenschaftler Daniel Kleinlercher in einem Gastbeitrag. Er erklärt, was eine Finanztransaktionssteuer überhaupt ist und welche möglichen Konsequenzen ihre Einführung haben könnte.
Eine alte Idee mit vielen Namen
Von Daniel Kleinlercher
privat
Zur Person:
Daniel Kleinlercher, Jahrgang 1985, hat Betriebswirtschaftslehre und Politik studiert und arbeitet im Rahmen seines DOC-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaft am Institut für Banken und Finanzen an der Universität Innsbruck. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern der Universität Innsbruck erforscht er die Vor- und Nachteile einer Finanztransaktionssteuer im Rahmen von ökomischen Experimenten.
Die ursprüngliche Idee einer Finanztransaktionssteuer wurde schon lange vor dem Ausbruch der aktuellen Finanzkrise von Forschern wie John Maynard Keynes oder Nobelpreisträger James Tobin lanciert. Seitdem wurde sie von vielen sozialen Bewegungen und Politikern für ihre Zwecke vereinnahmt und mit unterschiedlichen Namen belegt. Die globalisierungskritische Organisation Attac verdankt der Finanztransaktionssteuer sogar ihre Gründung und ihren Namen - auf Deutsch bedeutet Attac nichts anderes als "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen" (Anm.: im Original: "association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens"). Umso interessanter erscheint es also, dass diese ursprünglich "linke" Idee im Zentrum der politischen Diskussion angekommen ist.
Was steckt hinter dieser Idee?
Die grundlegende Idee einer Finanztransaktionssteuer ist einfach erklärt: Mithilfe einer minimalen Umsatzsteuer (zwischen 0,01 und 0,1 Prozent) auf Finanzgeschäfte sollen die Märkte stabilisiert werden. Im Detail soll die Steuer kurzfristige Spekulanten aus den Märkten treiben, dadurch die Preisvolatilität, d.h. die Kursschwankungen an den Börsen, senken und schließlich die Finanzmärkte und somit auch Volkswirtschaften langfristig stabilisieren.
Von vielen Befürwortern wird der progressive Effekt der Steuer immer wieder betont, denn für private Investoren, die ihr Portfolio nur alle paar Monate oder sogar Jahre umschichten, ist der Steueraufwand verschwindend gering. Für Spekulanten und High-Frequency-Trader jedoch, die mehrmals pro Tag oder sogar pro Sekunde handeln, erhöht sich die Steuerlast dramatisch.
Enorme Steuereinnahmen locken
ÖAW Young Science:
Der Text ist Teil des Projektes Young Science, im Zuge dessen Gastbeiträge von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheinen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen Ö1/science.ORF.at und der Akademie der Wissenschaften.
Auf politischer Ebene ist die vermeintliche Stabilisierungsfunktion der Finanztransaktionssteuer jedoch in der derzeitigen Diskussion in den Hintergrund gerückt. Dort stehen die Steuereinnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Schätzungen der Europäischen Kommission belaufen sich auf 50 Milliarden Euro Zusatzeinnahmen pro Jahr. Dieser Betrag soll, so viele Politiker, dazu beitragen, einen Großteil des EU-Budgets zu finanzieren und die finanziellen Schäden der Finanzkrise zu beheben.
Auch die österreichische Regierung hat im kürzlich veröffentlichten Sparpaket einen Posten für die Finanztransaktionssteuer vorgesehen: Ab 2014 werden jährlich 500 Millionen Steuereinnahmen aus einer Finanztransaktionssteuer erwartet.
Fehlende wissenschaftliche Evidenz
Gerade in Punkto Steuereinnahmen zeigt die wissenschaftliche Community eine überraschend große Einigkeit. Denn sollte eine Finanztransaktionssteuer beispielsweise nur in der EU eingeführt werden, dann ist mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Kapitalflucht zu rechnen - beispielsweise in die Schweiz oder andere Steueroasen. Wie hoch somit das tatsächlich realisierte Steueraufkommen wirklich sein wird, hängt unter anderem von Faktoren wie der genauen Ausgestaltung der Steuer und der regionalen Ausdehnung der besteuerten Märkte ab.
Sicher scheint jedoch, dass die geplanten Steuereinnahmen durch den Rückgang des Handelsvolumens nicht realisiert werden können. Bleibt noch die Frage, ob die Märkte durch eine Finanztransaktionssteuer wirklich stabilisiert werden können oder nicht. Dort zeigen wissenschaftliche Studien durchaus unterschiedliche Ergebnisse.
Liquidität als Schlüsselkomponente
Die erwähnte Studie:
Kirchler, M., Huber, J., Kleinlercher, D. (2011), Market microstructure matters when imposing a Tobin Tax - Evidence from laboratory experiments. Journal of Economic Behavior and Organization 80: 586-602.
Ein mit Laborexperimenten arbeitendes Forscherteam des Instituts für Banken und Finanzen an der Universität Innsbruck hat durch ihre neuen Forschungsergebnisse auf eine bisher vernachlässigte Komponente im Rahmen der Finanztransaktionssteuer hingewiesen - die Verbindung von Liquidität und Spekulation.
Eine regionale Einführung der Finanztransaktionssteuer hätte zweierlei Konsequenzen: Einerseits hätte der Rückgang von spekulativen Geschäften einen stabilisierenden Effekt auf den Marktpreis, andererseits würde aber der Rückgang des Handelsvolumens dazu führen, dass die Märkte austrocknen. Dieser Mangel an Liquidität würde wiederum die Wahrscheinlichkeit von starken Preissprüngen erhöhen und hätte somit einen destabilisierenden Effekt auf den Marktpreis.
Um dieses Problem zu lösen, sollte ein konstantes Liquiditätsniveau generiert werden. Dies könnte beispielsweise durch Market-Maker umgesetzt werden, also Handelsteilnehmer, die kontinuierlich Kauf- und Verkaufangebote stellen, sodass illiquide Phasen auf Finanzmärkten gar nicht entstehen können. Somit könnte der Liquiditätsverlust, der aus dem Verschwinden einiger Händler entsteht, ausgeglichen werden, mit dem Vorteil von stabileren Finanzmärkten. Ferner zeigen Studien des Instituts für Banken und Finanzen an der Universität Innsbruck, dass eine weltweit eingeführte Finanztransaktionssteuer keine negativen Auswirkungen auf die Finanzmärkte hätte und noch dazu ein hohes Steueraufkommen generieren würde.
Politische Koordination als Notwendigkeit
Somit bleibt abschließend zu konstatieren, dass eine Finanztransaktionssteuer ohne politischen Konsens und internationale Koordination wohl nicht erfolgreich umsetzbar ist. Bei einer Umsetzung bedarf es jedoch mehr als einer schlichten Einigung über die Höhe des Steuersatzes. Vielmehr benötigt es eine Vielzahl an zusätzlichen Maßnahmen, wie etwa eines einheitlichen Abrechnungssystems oder des effizienten Stopfens von Steuerschlupflöchern. Dadurch könnte ein Rahmen geschaffen werden, der Spekulationen wirkungsvoll eindämmt und die Finanzmärkte langfristig beruhigt.