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Menschenmenge bei einem Volkslauf

Vielfalt zahlt sich aus

"Diversity Management", also die gezielte Förderung von Vielfalt in Unternehmen, liegt im Trend. Die Beweggründe dafür sind nicht ausschließlich wirtschaftlicher Natur. Es geht auch darum, sozialen und demografischen Entwicklungen Rechnung zu tragen.

Betriebswirtschaft 07.11.2012

Die qualifiziertesten Arbeitskräfte auf dem Markt sind längst nicht mehr nur Männer im mittleren Alter, die darüber hinaus heterosexuell sind und keinen Migrationshintergrund haben. Genauso wie die Gesellschaft selbst, haben sich auch die Ansprüche der Konsumenten vervielfältigt - nicht nur was die Produkte betrifft, sondern auch in Bezug auf die sozialen Standards von Unternehmen und Organisationen.

Die Betriebswirtin Getraude Krell von der Freien Universität Berlin spricht im Interview mit science.ORF.at über erfolgversprechende Strategien im Zusammenhang mit Vielfalt in der Personalpolitik. Sie werden unter dem Begriff es "Diversity Management" (DiM) zusammengefasst. Davon profitieren nicht nur die Unternehmen, sondern die ganze Gesellschaft.
Eine aktuelle Studie der Europäischen Union besagt beispielsweise, dass das Brutto-Inlands-Produkt eines Landes um 15 bis 45 Prozent steigen würde, wenn Frauen und Männer am Arbeitsmarkt die gleichen Chancen hätten.

science.ORF.at: Das Konzept "Diversity Management" kommt aus den USA. Handelt es sich dabei allein um eine unternehmerische Strategie?

Gertrude Krell: Nein, nicht ausschließlich. DiM hat zwei Wurzeln: einerseits in der Unternehmensberatung, die die ökonomischen Vorteile betont, und andererseits in der Menschenrechtsbewegung, die mit sozialer Gerechtigkeit argumentiert. Die Menschenrechtsdimension ist im deutschsprachigen Raum weniger bekannt.

Getraude Krell

FU Berlin

Gertraude Krell ist emeritierte Professorin für Betriebswirtschaft (mit Schwerpunkt Personalpolitik) an der Freien Universität Berlin. Anlässlich des Science Events OPTION VIELFALT hielt sie am 5. November 2011 einen Vortrag zum Thema "Unternehmen & Vielfalt" im Radiokulturhaus. Veranstalter waren das Umweltbundesamt und Radio Österreich 1 im Rahmen des Risiko:dialogs.

Welche ethischen Ziele verfolgt "Diversity Management"?

Es geht darum, aus einer sogenannten "Monokultur" eine multikulturelle, inklusive Organisation zu machen, wo man Pluralismus hat. Es soll nicht nur eine dominante Gruppe geben, die nicht nur die Führungspositionen besetzt, sondern auch die Regeln bestimmt. Also eine Unternehmenskultur, wo niemand aufgrund bestimmter Zuschreibungen weniger verdient oder von bestimmten Positionen ausgeschlossen ist. Und wo es, zumindest weitgehend, einen vorurteilsfreien Umgang miteinander gibt und wo die gesamte Personalpolitik, angefangen von Auswahl über Beurteilung und Entwicklung, daraufhin analysiert wird, ob in diese Verfahren in irgendeiner Weise Diskriminierung eingebaut ist.

Wer gehört zu dieser dominanten Gruppe? Weiße Männer?

Die "white males", ja genau. Heterosexuell kommt dazu, weil das ja gerade für die Führungspositionen wichtig ist: Die Dame, die zuhause die Arbeit macht und der männlichen Führungskraft den Rücken freihält.
Bei uns im deutschsprachigen Raum kommt wohl die Religion dazu, eher christlich, als eine andere Religionszugehörigkeit. Nicht zu jung, nicht zu alt. Gesund, auf der Höhe der Schaffenskraft.

Das sieht man auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. In der Forschung zum Personalwesen gibt es zahlreiche Arbeiten zu "besonderen" Arbeitnehmergruppen. Die heißen dann "Arbeitnehmer weibliche", "Arbeitnehmer ältere", "Arbeitnehmer ausländische", "Arbeitnehmer behinderte". Und da kann man den Rückschluss ziehen, wer die dominante Gruppe ist.

Bringen solche Vielfalts-Strategien auch wirtschaftliche Vorteile?

Ö1 Sendungshinweis:

Über den Science Event "Option Vielfalt" haben auch die Dimensionen am 6.11. um 19:05 berichtet.

Es gibt einige Vorteile, zum Beispiel was die Kosten betrifft. Eine für viele unpassende oder gar diskriminierende Personalpolitik ist sicher kein motivationssteigernder Faktor. Das verursacht Kosten durch Leistungseinbußen. Kosten durch Diskriminierungsklagen sind wirklich nur die Spitze des Eisbergs. Dazu kommt der Reputationsverlust. Den kann man nicht in Euro und Cent genau beziffern, aber es ist klar, dass es für ein Unternehmen nicht gut ist, wenn es wegen "Diversity"-Klagen durch die Presse geht. Das ist keine Image-bildende Maßnahme.

Auch im Bereich des Marketing gibt es Vorteile. Denn nicht nur die Beschäftigten werden vielfältiger, sondern auch die Kundschaft. Und insofern wird argumentiert, dass man mit einer vielfältig zusammengesetzten Belegschaft, die auch noch sensibel für "Diversity"-Fragen ist, besser mit einer vielfältig zusammengesetzten Kundschaft umgehen kann.

Und beim Personalmarketing geht es dann um die Bindung und Gewinnung von Beschäftigten. "Diversity Management" ist sicher ein Faktor im internationalen Wettbewerb um die qualifiziertesten Fachleute. Eine junge qualifizierte Frau wird sich auch nicht gerade einen Arbeitgeber aussuchen, der dafür bekannt ist, dass sie dort als Frau keine Aufstiegschancen haben.

Literaturhinweis:

"Chancengleichheit durch Personalpolitik", mitherausgegeben von Getraude Krell, erschienen im Gabler Verlag (6.Auflage)

Wie sieht es auf dem Finanzmarkt aus? Ist DiM dort ein Vorteil oder ein Nachteil?

Einige Studien besagen, Unternehmen mit "Diversity" stehen insgesamt besser da. Bei solchen Zahlen muss man aber immer vorsichtig sein. Aber wenn dem so ist, dann kommen sie natürlich besser an Geld auf den Finanzmärkten.

Hinzu kommt, dass es ähnlich wie Öko-Fonds auch sozial orientierte Fonds gibt. Viele wollen ihr Geld nicht überall anlegen, sondern nur bei Unternehmen, die bestimmte Sozialstandards erfüllen und da kann man mit "Diversity-Programmen" natürlich auch punkten.

Sind also zum Beispiel Frauen-Quoten aus Sicht des "Diversity Managements" zu begrüßen?

Es gibt wissenschaftliche Positionen, die "Quote" und "Diversity Management" gegeneinander setzen. Also DiM, das machen Unternehmen, Organisationen, die öffentliche Verwaltung oder Universitäten freiwillig, im Namen der Ökonomie und nicht, weil es ihnen vorgeschrieben wird. Das nenne ich konfrontative Positionierung. Da würde man die Quote nicht mit "Diversity" in Verbindung bringen. Aber bei der sogenannten integrativen Position geht man davon aus, dass es gute ökonomische, moralische und rechtliche Gründe für Vielfalt in Unternehmen gibt. Und dann würde man eine "Frauenquote" durchaus zu den ganzen Maßnahmen zählen, die Vielfalt in Unternehmen und Organisationen fördert.

Aus Sicht der Vorurteilsforschung würde man sagen, die Quote ist eine Art Konfrontationstherapie. Doch so eine Quote allein reicht natürlich nicht. Dem DiM geht es aber nicht nur um Zahlen, sondern auch um die Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen. Deswegen muss man weiter Maßnahmen ergreifen, die beispielsweise bewirken, dass diese Frauen nicht als "Quotenfrauen" stigmatisiert sind. Da geht es um eine Veränderung der Unternehmenskultur.

Welche Maßnahmen können das sein? Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern?

Wenn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht zum Frauenthema gemacht wird, dann ist das sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Auch Führungsjobs in Teilzeit können helfen, aber immer für Frauen und Männer. Solche Maßnahmen sind zwar wünschenswert, aber sie zählen nicht zu den klassischen Methoden des DiM.

Hier geht es um Schulungen, Trainings und Fortbildungen, in denen Vorurteile abgebaut werden sollen. Es sollten alle Mitarbeiter eingebunden und im gleichen Maß gefördert werden.

Auch unternehmensinterne Zielvorgaben für Führungskräfte gehören zu diesen Maßnahmen: Wenn die Beurteilung von Managern davon abhängt, ob Vielfalt gefördert wird, in der Weiterbildung, in Führungspositionen, etc., dann ist die Motivation dafür zu sorgen wesentlich größer.

Ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute keine Karriereherausforderung mehr?

Also wenn man Frauen fragt, Führungsnachwuchskräfte oder Führungskräfte, warum es nicht nach ganz oben geht, da kommt nie an erster Stelle: "weil ich ein Vereinbarkeitsproblem habe". Da kommt höchstens: "weil alle denken, das funktioniert nicht mit Kindern". Das ist aber etwas anderes. Der Karriereaufstieg von Frauen scheitert eher an männlichen Vorurteilen. Die sind sehr hartnäckig, erst recht dieses Obervorurteil: "Sie ist ja nur eine Quotenfrau". Und viele Frauen tragen dazu bei, dass sich diese Vorurteile halten. Die sagen dann: "Ich will durch Leistung überzeugen, ich will keine Quotenfrau sein". Da gibt es ja auch Aufklärungsbedarf bei den jungen Frauen, nicht nur bei den Männern.

Es gibt viele Männer, die sich durch solche "Frauenquoten" diskriminiert fühlen. Wie kann man solche Vorwürfe entkräften?

Seit es Quoten gibt, gibt es auch selbstgefühlte, männliche "Quotenopfer". Ein Unternehmen sollte sich deswegen zwar nicht von seinen Gleichstellungs- und Vielfaltsvorhaben abbringen lassen, aber diese Ängste sollte man durchaus ernst nehmen, denn die Motivation der Mitarbeiter ist auch davon abhängig.

Ich habe das selber erlebt in vielen Diskussionen innerhalb und außerhalb der Universität, wie schwer es ist, Vorurteile über Quoten abzubauen. Sie werden ja immer wieder mit dem Argument konfrontiert, Quoten heißt, da ziehen diese mittelmäßigen Frauen an den Spitzen-Männern vorbei. So eine Quote habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Aber das kriegen sie ganz schwer aus den Köpfen. Es heißt bei gleicher Qualifikation soll die Stelle mit einer Frau besetzt werden. Und diese "gleiche Qualifikation" wird nicht selten zu Ungunsten der Frauen ausgehebelt.

Sind rechtliche Rahmenbedingungen, womöglich auch Sanktionen notwendig, um Vielfalt in Unternehmen und Organisationen zu einem anerkannten Standard zu machen?

Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Viele pochen beim Thema "Vielfalt in der Wirtschaft" auf Freiwilligkeit. Aber es ist schon so, dass in Deutschland - und ich nehme an, das ist in Österreich nicht anders - mit den EU-Richtlinien, die in nationale Gleichstellungsgesetzgebungen umgesetzt werden mussten, das "Diversity Management" einen großen Schub bekommen hat. Mit Selbstverpflichtung alleine scheint im deutschsprachigen Raum nicht viel weiter zu gehen.

Ist gerechte Entlohnung auch ein Thema des "Diversity Managements"?

Wenn man die Personalpolitik auf Diskriminierung hin untersucht, gehört die Entgeltpolitik natürlich dazu. Es gibt sicher noch Fälle, wo Frauen für die gleiche Arbeit nicht das gleiche kriegen, das wäre unmittelbare Diskriminierung. Das Hauptproblem, das wir heute haben, ist ungleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit und damit mittelbare Diskriminierung. Das gilt zum Beispiel für frauendominierte Berufssparten, wie die sogenannten hausarbeitsnahen Berufe oder einfache Dienstleistungen. Und das ist sehr viel schwerer zu erkennen.

Da gibt es noch viel Aufklärungsbedarf. Auch wenn sie Parteiprogramme anschauen, da steht oft als Forderung: Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, aber die gleichwertige Arbeit fehlt. Und das gehört auch zu einem umfassenden "Diversity Management".

Sind solche "Vielfältigkeits-Konzepte" eher bei staatlichen Organisationen und Universitäten zu finden oder im privatwirtschaftlichen Bereich?

Bei internationalen Großunternehmen ist DiM fast selbstverständlich. Zu den Vorreitern gehört der Autohersteller Ford, der bereits vor 20 Jahren begonnen hat, Vielfalt im Unternehmen zu managen. Und seit circa 5 Jahren gibt es eine zweite Welle der Realisierung von "Diversity"-Konzepten im deutschsprachigen Raum, beispielsweise in der Stadtverwaltung, wie in Wien und auch in Universitäten und Fachhochschulen.

In Deutschland gibt es zudem die "Charta der Vielfalt". Die kann man unterzeichnen, wenn man sich für "Diversity" entscheidet und geht dann auch eine Selbstverpflichtung ein. Da findet man große, kleine, mittlere Unternehmen, auch andere Organisationen, Universitäten, Verbände, auch ein paar Schulen. Da kann man sich ein Bild verschaffen, wer sich aller für "Diversity"-Programme verpflichtet hat. Ich glaube, der tausendsten Unterzeichner war der deutsche Fußballbund.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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