Krisenzeiten scheinen also gute Zeiten für soziale Innovationen zu sein. Ein Allheilmittel sind sie aber nicht, meint Josef Hochgerner in einem science.ORF.at-Interview. Der Sozialwissenschaftler hat den Begriff als einer der ersten in Österreich populär gemacht. Erfolg haben können diese Initiativen für ihn nur dann, wenn die Politik mit den Innovatoren in Dialog tritt.

ZSI
Josef Hochgerner ist Gründer des Zentrums für Soziale Innovation
Veranstaltung:
"Soziale Innovationen für nachhaltige Entwicklung - das Konzept und praktische Beispiele"
Vortragender: Josef Hochgerner; Diskussionspartner: Angie Rattay, Gründerin des NEONGREEN NETWORKs und der ERDgespräche, sowie Sepp Eisenriegler, Geschäftsführer des Reparatur- und Service-Zentrums R.U.S.Z, sein. Moderation: Helga Kromp-Kolb, Universität für Bodenkultur, und Sepp Hackl, Abteilungsleiter für nachhaltige Entwicklung im Umweltbundesamt.
Zeit: Donnerstag, 15. 11. 2012, 18-20 Uhr
Ort: Kommunalkredit Public Consulting (Türkenstraße 9, 1090 Wien)
Freier Eintritt, Anmeldung hier
Veranstalter der Reihe "Mut zur Nachhaltigkeit" sind das Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der BOKU, Lebensministerium und Risiko:dialog (Umweltbundesamt, Radio Ö1, BOKU, BMWFJ, Lebensministerium, Austrian Power Grid).
Links:
- Veranstaltungsreihe "Mut zur Nachhaltigkeit", Umweltbundesamt
- Risiko:dialog, Umweltbundesamt
- ZSI - Zentrum für Soziale Innovation
- Preis SozialMarie
- Index of Sustainable Economic Welfare, Wikipedia
- Meine Ernte
- Spreadshirt, Wikipedia
- Meine Ernte
Buch:
"What's Mine Is Yours: The Rise of Collaborative Consumption", Rachel Botsman and Roo Rogers, HarperCollins (2011).
science.ORF.at: Sie vergeben mehrmals im Jahr den SozialMarie-Preis an Gruppen, die mit innovativen Lösungen auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. 2011 haben Sie und 350 Wissenschaftler aus aller Welt die "Wiener Erklärung über die wichtigsten sozialen Innovationen" präsentiert. Warum boomt das Thema gerade so?
Ich habe 20 Jahre drauf gewartet und jetzt bin ich selber schuld daran, dass ich so viel zu arbeiten habe (lacht). Die Konjunktur der sozialen Innovation ist ein Krisenphänomen, kein Zufall. Hintergrund dafür ist die Bankenkrise 2007-08, von der ja auch das Obama-Motto "Change" inspiriert wurde. Die Entwicklung in Europa, Ressourcenknappheit, Klimawandel - all das hat damit zu tun. Dabei kam der erste große Durchbruch schon im Jahr 2000, da gründete plötzlich die berühmte Stanford University ein Center for Social Innovation. Aber erst als die große Krise kam, floss die Thematik in den politischen Mainstream ein.
Jetzt wird vielfach so getan, als wäre soziale Innovation die Lösung für alle Probleme. Man kann aber nicht einfach von realen wirtschaftlichen Problemen ablenken und sagen: Wir machen jetzt alles mit Bottom-Up-Initiativen, d.h. die Leute sollen sich engagieren. Das reicht sicher nicht.
Beim Thema "soziale Innovationen" schwingt viel Idealismus mit. Wie machen Sie das Phänomen wissenschaftlich fest?
Ein guter Indikator ist für mich der Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW). Wir können anhand des ISEW besser als beim BIP sehen, dass die Durchschnittseinkommen fallen. Der Gesamtkuchen des Wohlstands wird größer, aber der Teil, der in der Realwirtschaft über Löhne verteilt wird, kleiner. In den USA ist das genauso wie in Europa. Das heißt gleichzeitig, die Konjunktur stockt und der Massenkonsum bricht zusammen. Darum bin ich der Meinung, dass die wichtigste soziale Innovation des 21. Jahrhundert darin bestehen müsste, diesen Überfluss an Finanzkapital in die Realwirtschaft zurückzulenken und dort natürlich auch auf Nachhaltigkeit, soziale Gleichheit und Teilhaberschaft Bedacht zu nehmen.
Alle müssen zurzeit sparen. Wir sehen aber gleichzeitig Phänomene wie den Online-Privatvermieter AirBnb, wo Leute selbständig neue Märkte erschließen. Es entsteht dadurch also auch viel.
Natürlich, jeder reagiert anders auf die Umstände: Die Firmen betreiben plötzlich Open Innovation, d.h. sie holen sich Kompetenz von außen und lassen Konsumenten an der Produktion mitarbeiten. So wird billiger produziert und besser verkauft. Ein Beispiel dafür ist das Spreadshirt. Konsumenten und Konsumentinnen nehmen am Design und an der Vermarktung teil, man spart sich Kosten. Das ist jetzt so eine neue Mode, dabei hat Alvin Tofler schon 1980 in seinem Buch "Die dritte Welle" vom "Prosumer" (dt. Prosument) gesprochen, also vom Konsumenten, der gleichzeitig Produzent ist.
Die Konsumenten wiederum entdecken gerade die Collaborative Consumption. Das Buch "What's Mine Is Yours" wurde vor zwei Jahren sogar vom "Time Magazine" unter die zehn revolutionärsten Ideen eingereiht, die die Welt verändern. Ich bin da immer skeptisch. Ich frage mich: Was ist neu daran? Innovativ ist, dass man Dinge besser nutzt, die schon da sind. Tauschen oder Mitbenutzen wird ja auch durch Social Media gefördert. Das hat natürlich einen nachhaltigen Effekt. Die Frage ist nur, wie weit das gehen kann. Leute, die mit Konsum angeben wollen, wird man ebenso wenig erreichen wie jene, die vom Konsum völlig ausgeschlossen sind. Das Phänomen passiert ja auch derzeit nur in Wohlstandsgesellschaften. Nehmen Sie z.B. die Website "Meine Ernte". Urban Gardening ist ein Lifestyle-Trend, gleichzeitig wird etwas produziert, was nachher verkauft werden kann.
In Entwicklungsländern haben wir stattdessen den Trend der Social Enterpreneurship. Die Mikrokredite etwa haben ja in Bangladesch begonnen. Meines Erachtens sind das alles Zeichen, wie verschiedene Leute auf gesellschaftliche Probleme reagieren. Die mit Unternehmergeist werden Social Enterpreneurs. Andere gehen zu Tauschbörsen.
Trotzdem geht es bei all diesen Konzepten immer noch um den Konsum. Nicht so bei sozialer Innovation, oder doch?
Was wir als klassische Innovation bezeichnen, ist ein kommerziell erfolgreiches Produkt, ein neuer Produktionsprozess oder eine Marketingmaßnahme. Erst jetzt fängt man an, auf Innovationen im zivilgesellschaftlichen Sektor oder im öffentlichen Bereich zu achten. Wir haben gerade den Zuschlag für ein EU-Projekt bekommen, das definieren soll, was eine Innovation im öffentlichen Sektor eigentlich ist. Wir fangen gerade erst an, die langfristigen Effekte dieser Innovationen messen.
Die Gemeinde Kapfenberg in der Steiermark ist ein exzellentes Beispiel für eine soziale Innovation im öffentlichen Sektor. Dort hat man einkommensschwachen Bürgern und Bürgerinnen durch Förderungen den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen ermöglicht. Dazu kommt, dass die Gemeinde für soziale Fragen eigentlich nicht zuständig ist, sondern das Land.
Das Innovative an Kapfenberg ist, dass die neue Bürgermeisterin 2006 auf Stadtebene gehandelt hat - wozu sie laut Gesetz nicht verpflichtet ist. Das zeigt ganz deutlich - Collaborative Consumption ist nicht genug. Es braucht mehr als gemeinsam produzieren und gemeinsam konsumieren, denn dabei können eben die nicht mitmachen, die vom Konsum grundsätzlich ausgeschlossen sind. Wenn ich nichts habe, kann ich auch nichts eintauschen.
Wenn wir etwas größer denken - gerade in den Bereichen Energie und Verkehr wird gerade wie verrückt nach nachhaltigen Alternativen gesucht. Wo sehen Sie hier die Rolle der sozialen Innovation?
Im Grunde beginnt es immer mit einem Perspektivenwechsel. Die Menschen nehmen andere Rollen an, stehen in anderen Beziehungen zueinander. In Österreich nicht unbedeutend waren die Selbstbaugruppen für Sonnenkollektoren in der Steiermark. Eine Gruppe von Leuten hat in den 1970er Jahren beschlossen, Sonnenkollektoren zu bauen. Daraus entstand eine Bewegung, die immer mehr in den normalen Produktionsmarkt hineingewirkt hat, und die tatsächlich viel dazu beigetragen hat, dass österreichische Firmen auch heute auf dem Weltmarkt mitmischen. Das war quasi ein Kick-Off aus der Laienbewegung, eine klassische soziale Innovation.
Global gesehen glaube ich auch bei Energie an eine Umverteilung. Den CO2-Ausstoß zu deckeln hat bisher noch nie funktioniert. Stattdessen sollte man darüber nachdenken, wie die Leute in den Favelas in Brasilien oder in den Townships in Südafrika zu Energie kommen, wie man dezentral Energie erzeugen kann. Damit haben wir den Rückbezug zu den Selbstbaugruppen. Wir sind gewohnt, große Kraftwerke, zentrale Versorgungseinrichtungen zu bauen. Auch die Sonnenenergie wird über große Solarfarmen in der Sahara produziert. Eine Dezentralisierung würde einen ganz anderen Effekt und viele unterschiedliche Technologien zur Folge haben.
Für Österreich ist ja keine Dezentralisierung der Energieproduktion, sondern vielmehr eine Individualisierung des Stromverbrauchs vorgesehen. Mit intelligenten Stromzählern kommt etwas völlig Neues auf uns zu. Sehen Sie ihre Aufgabe darin, die Menschen auf diese kommenden Änderungen hinzuführen?
Ich bin auf jeden Fall ein alter Aufklärer (lacht), aber die Bevölkerung auf etwas hinzuführen, spießt sich mit unserem Prinzip: Da kommt ein großes System von außen und dringt in die Intimsphäre ein. Wir haben Testgemeinden in Oberösterreich schon beim Einsatz von Smart Grids begleitet. Das hat gezeigt, dass es eine solche Begleitung braucht. Den Leuten etwas hinzuknallen, ist nicht zielführend. Viele haben Angst vor Überwachung, und bei Smart Grids schalten sich die Lampen nun mal aus, wenn man das Zimmer verlässt.
Wenn auf der anderen Seite ein großer Versorger steht, dann ist ein Ungleichgewicht da. Die Leute müssen das Unvermeidbare zwar akzeptieren, optimaler wäre aber, wenn die Konsumenten mit den Produzenten auf Augenhöhe verkehren könnten. In Wien sind die Bürger-Solarkraftwerke ein guter Ansatz. Die Bindung an einen großen Versorger besteht weiter, aber mit einer Beteiligungsmöglichkeit.
Damit kommen wir dann wieder zur Collaborative Consumption. Das heißt soziale Innovation schließt den wirtschaftlichen Aspekt keineswegs aus.
Genau. Es gibt z.B. so viele Projekte zum partizipativen Design neuer Technologien. Oder nehmen wir Bürgerkonferenzen - sie sind teuer, aber die Resultate sind beeindruckend. Ich habe bei der Bürgerkonferenz zum Thema Energie, die wir 2009 organisiert haben, soviel gelernt. Das Bildungsniveau in Österreich ist einfach sehr hoch, Bildungsmisere hin oder her. Das Wissen der Leute kann man nur nutzen, wenn man ihnen zuhört.
Zwischen dem Nachhaltigkeitsgedanken, sozialer Innovation und der aktuellen Krise gibt es also offenbar einen Zusammenhang. Wohin, glauben Sie, wird uns das Zusammenspiel all dieser relativ neuen Kräfte führen?
Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hatten wir zwei Milliarden Menschen, jetzt sieben. Die Lebenserwartung hat sich innerhalb weniger Generationen fast verdoppelt. Man muss ein Szenario in Betracht ziehen, dass sich das immer mehr aufbaut und irgendwann zu einer Explosion führt. Auch in Wohlstandsinseln wie Österreich ist der Optimismus, dass es der nächsten Generation besser gehen wird, weg.
Was Hoffnung gibt, sind die Gegenbewegungen, die jetzt entstehen. Die Occupy-Bewegung in Amerika, die Erfindung der Mikrokredite, in Österreich gibt es eine Initiative für eine Verfassungsreform von unten ... (lacht) Ich kann nicht vorher sagen, was passieren wird. Aber wenn ich mir den SozialMarie-Preis anschaue, in Wien haben wir gerade die erste Kinder-Hospiz-Bewegung ausgezeichnet. Auf europäischer Ebene passiert es zum Beispiel, dass eine Gruppe ungarischer Studenten mit Roma gemeinsam deren Siedlungen wieder aufbaut und sie so vor dem Rausschmiss rettet. Obwohl Riesenkonzerne stärker sind, kann all das das Pendel schon wieder in die andere Richtung bewegen. Diese vielen kleinen Initiativen müssen gemeinsam stark werden.
Der Staat muss weg von dem Irrglauben, dass er nicht mehr zum Verteilen da ist, und wieder hin zum Gedanken, dass er eine Funktion hat. Nämlich jene, die Grenzen zwischen staatlicher Wirtschaft, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in einer dynamischen Balance zu halten, damit nicht ein Sektor so davon rennt wie in den letzten 30 Jahren der Finanzsektor.
Stichwort Parkpickerl - diese Maßnahmen ist zwar im Sinn der Nachhaltigkeit, stößt aber auf wenig Gegenliebe. Was muss passieren, dass die Autofahrer mitmachen?
Das Wiener Beispiel mit der Parkraumwirtschaft ist ein interessantes Modell: Da wird massiv in ein bestehendes System eingegriffen. Gleichzeitig haben wir jetzt eindeutig weniger Verkehrsaufkommen. Damit etwas nachhaltiger produziert und konsumiert wird, muss man zuerst die Routinen der Menschen verändern. Was ich für psychologisch wichtig halte ist, dass Sozialwissenschaftler mit der Politik neue Referenzrahmen für nachhaltiges Verhalten schaffen. Wenn alle etwas machen, auch wenn es ein wenig weh tut, dann ist es leichter, den inneren Schweinehund zu überwinden.
Interview: Denise Riedlinger
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