Bis zur Erschöpfung
Der Legende nach soll der griechische Bote Pheidippides 490 v. Chr. die zirka 40 Kilometer von Marathon nach Athen gelaufen sein, um die Nachricht vom Sieg über die Perser zu überbringen. Danach brach er vor Erschöpfung zusammen und starb. Diese Geschichte ist das Vorbild für den modernen Marathonlauf.
Der Artikel im "Heart":
"Run for your life … at a comfortable speed and not too far" von James H. O'Keefe und Carl J. Lavie, erschienen am 29. November 2012.
Heute, 2.500 Jahre später, hat sich der Marathon zum Breitensport entwickelt, weltweit trainieren Hunderttausende Profi- und Hobbyläufer für diese Disziplin, gestorben wird dabei zum Glück selten. Das Todesrisiko beim Marathon in der Volldistanz liegt laut einer Studie aus dem Jänner dieses Jahres bei 1,01 Fällen pro 100.000 Sportler.
So extremes Training, wie es ein Marathon erfordert, ist dennoch nicht ganz ungefährlich, wie die Kardiologen James H. O'Keefe und Carl J. Lavie im Editorial der aktuellen Ausgabe von "Heart" ausführen. Die Idee, je mehr man trainiert, umso besser, sei bloß ein Mythos. Einige Studien deuten darauf hin, dass das mehr schadet, als es nützt.
Zu viel für das Herz
Dass regelmäßige Bewegung grundsätzlich gesund ist, ist in der Medizin unumstritten. Tägliches Training von 30 bis 45 Minuten senkt Studien zufolge das Risiko für eine ganze Reihe von Krankheiten, unter anderem von Alzheimer, Diabetes, Osteoporose, Depressionen und Herzerkrankungen.
Ähnlich wie bei Medikamenten hängt die optimale Wirkung aber auch von der Dosis ab, Überdosierung schadet den Autoren zufolge auch beim Sport, insbesondere gelte das für die Herzgesundheit. Intensives Training von ein bis zwei Stunden führt demnach zu messbaren kurzfristigen Veränderungen, durch die Überbelastung können beispielsweise mikroskopisch kleine Risse im Herzmuskel auftreten. Normalerweise verschwinden die Auffälligkeiten nach einer Erholungsphase von einer Woche wieder.
Nach Jahren und Jahrzehnten extremen Trainings können die Gewebeschäden allerdings manifest werden, Verkalkung der Gefäße, Verdickungen der Gefäßwände und Herzrhythmusstörungen sind die Folge. Der permanente oxidative Stress führt zusätzlich zu Entzündungen, welche die Situation noch verschlechtern können. Die Herzkranzgefäße von Läufern, die in 25 Jahren mindestens 25 Marathons gelaufen sind, weisen gegenüber jenen von nicht extremsportelnden Gleichaltrigen um 60 Prozent mehr Ablagerungen auf, wie O'Keefe und Kollegen in einer Untersuchung festgestellt haben.
Tod beim Training
Diese Veränderungen können unter Umständen zum frühzeitigen Tod führen. Genau das ist erst heuer einer Ikone des extremen Ausdauersports passiert: Micah True, Held des US-Bestsellers "Born to Run", der über Jahrzehnte täglich zwischen 40 und 150 Kilometer gelaufen ist. Im März dieses Jahres brach der Ultraläufer mit dem Spitznamen "Caballo Blanco" ("Weißes Pferd") bei einem Trainingslauf in New Mexiko nur 58-jährig tot zusammen.
Die Autopsie zeigte krankhafte Veränderungen am Herzen, besonders am Herzmuskel. Diese Pathologie ist laut O'Keefe typisch für ältere Ausdauersportler, weswegen manche Mediziner sie in Anspielung auf den griechischen Boten auch "Pheidippides Kardiomyopathie" nennen.
Extreme Distanzen sollte man laut O'Keefe und Lavie daher am besten überhaupt vermeiden, zumindest langfristig: "Wenn man schon unbedingt einen Marathon, einen Triathlon oder Ähnliches absolvieren möchte, dann am besten nur einmal oder höchstens ein paar wenige."
Mit Maß und Ziel
Auch neuere epidemiologische Studien stellen dem Extremsport kein gutes Zeugnis aus. Eine, an der Lavie beteiligt war, hat beispielsweise 52.600 Menschen über drei Jahrzehnte begleitet. Die 14.000 Läufer in dieser Stichprobe hatten ein um 19 Prozent niedrigeres Todesrisiko verglichen mit den Nichtläufern. Die Forscher haben die Gruppe der Läufer auf Basis ihres Laufpensums noch einmal in zwei Untergruppen geteilt: Jene, die mehr als 30, 40 Kilometer in der Woche liefen, hatten den Vorteil gegenüber den Nichtsportlern verloren. Bei den mäßigen Läufern hingegen sank das Risiko um weitere sechs Prozent.
Ähnliches ergab die Auswertung hinsichtlich des Tempos: Die langsameren Läufer, die um die zehn Kilometer pro Stunde laufen, profitierten am meisten. Auch jene, die täglich liefen, verloren den Vorteil gegenüber Nichtläufern. Den meisten Nutzen hatten jene, die zwei- bis fünfmal in der Woche laufen. Bestätigt werden die Ergebnisse der US-Studie durch eine dänische Studie: Am besten stiegen dabei jene Teilnehmer aus, die an zwei bis drei Tagen gemächlich insgesamt 2,5 Stunden pro Woche liefen.
Zu schnell an der Ziellinie
Würde man auf den Körper hören, wäre es vermutlich nicht so schwierig, das richtige Maß zu finden, so die Autoren. Leider leben wir aber in einer Kultur der Extreme: Auf der einen Seite gibt es Menschen, die sich gar nicht mehr bewegen und sich vor dem Fernseher mit Essen vollstopfen, auf der anderen Seite gibt es Extremsportler, die sich zu immer neuen Höchstleistungen treiben - gesund ist beides nicht.
Die Lösung liegt - wie so oft - in der goldenen Mitte: Regelmäßige moderate Bewegung kann unser Leben verlängern, Stillstand und Höchstgeschwindigkeit hingegen verkürzen es, wie die Autoren erklären: "Regelmäßige moderate Bewegung kann die Jahre mit Leben füllen sowie dem Leben Jahre hinzufügen. Läuft man jedoch zu viel, zu weit und zu schnell, wird man auch die Ziellinie des Lebens schneller erreichen."
Eva Obermüller, science.ORF.at