Ende der 50er Jahre kreuzten sich für kurze Zeit die Wege von Roger Penrose und M.C. Escher. Als erstes inspirierte der Künstler den Wissenschaftler. Dann inspirierte der Wissenschaftler den Künstler. "Als ich noch ein Student war, besuchte ich einen internationalen Mathematikerkongress in Amsterdam, wo Werke von M.C. Escher gezeigt wurden", erzählt Roger Penrose.
"Ich hatte bis dahin noch nie etwas von ihm gehört, war aber gleich von seinen Arbeiten fasziniert. Als ich nach Hause kam, versuchte ich ähnliche Figuren zu konstruieren wie er: etwa ein unmögliches Dreieck und eine unmögliche Treppe, die entweder nur bergab oder nur bergauf führt."

Philip Ronan/Wikimedia
Penrose sandte seine Entwürfe dem niederländischen Maler, der wiederum eine litographische Antwort formulierte: "Treppauf Treppab" und "Belvedere". Auch diese Werke spielen mit dem ungeklärten Verhältnis von Fläche und Raum und erzeugen eine Illusion, die sich erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen gibt. Die Figuren sind unmöglich, sofern man am üblichen Bezugsrahmen der Wahrnehmung festhält. Nur: Wer legt fest, welches der richtige Bezugsrahmen ist?

Viktor Zdrachal, ZBPh
Roger Penrose war bis 1998 Rouse Ball Professor für Mathematik an der Oxford University. Seit seiner Emeritierung unterrichtet er am Gresham College in London.
Am 30. November 2012 hielt Penrose an der Universität Wien einen Vortrag. Titel: "Dark Energy, Dark Matter, and Black Holes, as Essential Ingredients of a New Cyclic Theory of the Universe". (Vortragsfolien online verfügbar).
Die Veranstaltung war Teil des "Vienna Central European Seminar on Particle Physics and Quantum Field Theory" und wurde von der Fakultät für Physik der Universität Wien organisiert.
Eine Kette von Big Bangs
Roger Penrose hat nun eine Theorie vorgestellt, die den Leser vor ein ähnliches Problem stellt. Ist auch sie eine unmögliche Figur? Gleichwohl eine, die am Ende doch funktionieren könnte? "So habe ich das noch nie betrachtet", sagt Penrose im Gespräch mit science.ORF.at. "Aber da ist was dran. Das Dreieck und die Treppe spielen mit der Vieldeutigkeit der Distanz. Und meine Theorie spielt ebenfalls mit der Vieldeutigkeit von Distanzskalen."
In Roger Penrose' neuem Buch "Cycles of Time" ist der vermeintliche Widerspruch zwischen dem Großen und Kleinen der Schlüssel für eine neue Weltsicht. Die Geschichte des Universums ist ihm zufolge ein ewiger Zyklus: Auf den Urknall folgt die Ausdehnung des Kosmos. Und auf die Ausdehnung folgt wieder ein Urknall. Ad infinitum.
Penrose ist freilich nicht der erste, der die Idee eines kosmischen Reigens in physikalische Formeln kleidet. Nur ist es in letzter Zeit etwas ruhig geworden um derartige zyklische Kosmologien. Der Grund dafür ist einfach. Das Universum dehnt sich gegenwärtig aus. Um - zumindest in der Theorie - einen neuen Urknall erzeugen zu können, müsste das Universum wieder in sich zusammenstürzen und alle Materie und Energie in einem Punkt vereinigen.
Nur weiß man seit knapp 20 Jahren, dass sich die Ausdehnung des Kosmos zusehends beschleunigt. Sie wird schneller und immer schneller, nichts scheint sie aufhalten zu können. Am Ende wird das Universum wüst und leer sein, unendlich groß und extrem kalt.
"Das Große und das Kleine sind äquivalent"
An diesem Punkt der Geschichte setzt Penrose dem Leser die größte Ambiguität vor die Nase, die sich überhaupt denken lässt. Das ist alles kein Problem, schreibt er. Im Gegenteil: Das Universum im Anfangs- und Endzustand sind nämlich eins. Punkt und Unendlichkeit fallen irgendwann zusammen und bilden den Horizont zu einem neuen Zeitalter, sprich: ein neuer Urknall, eine neue Expansion.

Viktor Zdrachal, ZBPh
Das Argument ist für uns Normalsterbliche nur bedingt nachvollziehbar, insofern dafür Mathematik vonnöten ist, über die nur Penrose und ein paar andere Spezialisten seines Faches verfügen. Aber man kann die Sache auch konkreter aufrollen, nämlich mit der Frage: Was ist ein Lineal?
Ein Lineal ist eine Skala, mit der man Distanzen bestimmen kann. Und diese Skala leitet sich wiederum von der Zeitmessung ab. Für Zeichnungen mit Papier und Bleistift mag das Lineal genügen, nicht so bei der Messung kosmischer Distanzen:
"Einer der Gründe warum Einsteins Relativitätstheorie so gut funktioniert, ist, dass jedes massive Teilchen eine Uhr ist", sagt Penrose. "Eine Uhr, die mit extrem hoher Frequenz schwingt. Wenn man keine Materie hat, kann man keine Zeit und keine Entfernungen messen. Es gibt keine Skala mehr. Und wenn es keine Skala gibt, sind das Große und das Kleine, ja sogar extrem hohe und extrem niedrige Temperaturen äquivalent. Das heißt aber nicht, dass man keine Physik mehr treiben könnte. Tatsächlich benötigen viele physikalische Modelle keine Skalen."

Bodley Head
Cycles of Time: An Extraordinary New View of the Universe
Zeit und Masse werden schwinden
Wie Penrose in seinem Buch schreibt, steuert das Universum auf genauso einen Zustand zu. Die Schwarzen Löcher werden irgendwann sämtliche Galaxien verschluckt haben. Doch auch Schwarze Löcher bestehen nicht ewig. Sie verlieren langsam Substanz durch die sogenannte Hawking-Strahlung. Wartet man lange - sehr, sehr lange, dann lösen sich auch die Schwarzen Löcher auf und hinterlassen einen unendlich ausgedehnten Kosmos, der von langwelliger, man könnte auch sagen: langweiliger Strahlung erfüllt ist.
Strahlung bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum - einen Bezugspunkt zur Messung von Zeit und Raum gibt es dann nicht mehr. In der Physik gibt es eine lange Tradition, die nur das als real anerkennt, was sich messen lässt. Einstein hat von dieser Basis ausgehend die absolute Zeit zur Fiktion erklärt und Penrose versieht die Zeit nun mit ähnlichen Argumenten mit einem Ablaufdatum: Irgendwann ist das Universum bar jeder Zeitlichkeit.
Diesen Zustand könne man, wie Penrose sagt, "durch ein paar mathematische Tricks" mit dem Punkt Alpha, dem Urknall, zur Deckung bringen. Womit das eine Zeitalter, Penrose nennt es "Äon", in das nächste übergeht. Wie lange dauert ein Äon? "Ich möchte bewusst keine konkrete Zahlen nennen", sagt Penrose. "Lange. Auf jeden Fall mehr als zehn hoch 100 Jahre. Im Grunde lässt sich diese Frage nicht beantworten: Weil man irgendwann die Zeit nicht mehr messen kann."
Rätselhafte Unordnung
Natürlich hat das Modell ein paar Komplikationen. Um sicher zu gehen, dass auch nach der längsten aller Wartezeiten nicht doch ein paar Teilchen (also Uhren) im leeren Raum herumschwirren und somit die Skalen retten, muss Penrose postulieren, dass sie sich ebenfalls in Strahlung auflösen.
Durch einen "Anti-Higgs-Mechanismus", wie er sagt. Zur Erinnerung: Das Anfang dieses Jahres am CERN nachgewiesene Higgs-Teilchen verleiht den Materiebausteinen im Universum ihre Masse. Penrose zufolge ist das aber nur eine Leihgabe. Die Masse schwindet ebenso wie die Zeit, sie löst sich auf. Man muss nur lange genug warten.
Das mag spekulativ sein, Penrose' Modell hat aber einen großen Vorteil: "Was mich immer schon verunsichert hat, ist der Zustand des Universums zum Zeitpunkt des Urknalls. Laut dem zweiten Hauptsatz der Wärmelehre muss die Ordnung des Universums im Laufe der Zeit abnehmen. Das bedeutet: Geht man in die Vergangenheit zurück, muss die Ordnung zunehmen. Die kosmische Hintergrundstrahlung, ein Echo des Urknalls, hat aber eine extrem ungeordnete Struktur, sie befindet sich im thermodynamischen Gleichgewicht. In physikalischen Begriffen: Sie hat maximale Entropie. Also das Gegenteil dessen, was die Wärmelehre voraussagt. Das ist lächerlich! Ich verstehe nicht, warum das anderen Kosmologen keine Sorgen bereitet." Penrose bietet eine schlichte Erklärung an: Das Profil der Hintergrundstrahlung haben wir vom vorangegangenen Zeitalter "geerbt".
Nachweis geglückt?
Überprüfbar ist die Theorie jedenfalls. Kollisionen von supermassiven Schwarzen Löchern im letzten Äon sollten laut Modell Gravitationswellen in die Raumzeit geschickt und den Urknall als konzentrische Ringe überdauert haben. Tatsächlich will der Armenische Physiker Vahe Gurzadyn solche Muster in der Hintergrundstrahlung entdeckt haben. Ob sie real sind oder doch nur statistische Artefakte, wird in der Fachwelt derzeit diskutiert.
Zores mit den Reviewern
Roger Penrose ist zweifelsohne einer der ganz Großen seiner Zunft. Gleichwohl erhält selbst er keinen Persilschein, wenn es um die Veröffentlichung seiner kontroversen Ideen geht. Das entsprechende Forschungspapier wurde von "Science" abgelehnt, nun soll es bei der Royal Society erscheinen - nach der dritten Überarbeitung.
So tourt der 82-Jährige durch die Länder und erklärt seinen Kollegen in Vorträgen die Feinheiten seines zyklischen Universums. Die knapp 300-seitige Popularversion seiner Ideen, "Cycles of Time", ist zwar luzide formuliert, doch auch dieser Text verlangt dem Leser volle Konzentration ab.
In Verlagskreisen kursiert der alte Witz, man solle in Sachbüchern mit Formeln sparsam umgehen, weil jede Gleichung die Verkaufszahlen halbiert. So beschrieb es etwa Stephen Hawking in seiner "Kurzen Geschichte der Zeit" - und dieses Buch verkaufte sich wirklich gut. Auch Penrose hat schon ein paar Bestseller geschrieben, in diesem Fall wollte er dem Ratschlag von Kollegen Hawking jedoch nicht folgen.
Formeln findet man in seinem Buch nicht zu knapp, weswegen der "Guardian" in einer durchaus wohlwollenden Buchbesprechung eine Schätzung wagte: "Cycles of Time" sollte ungefähr vier Leser haben.
"Nein, es ist noch viel schlimmer", lacht Penrose. "Ich habe vor einiger Zeit die Gleichungen in meinem Buch gezählt und mir die Zahl der Leser nach der Halbierungsregel ausgerechnet. Es war niederschmetternd. Selbst wenn ich jedem Proton im Universum ein Buch verkaufen würde: Ich hätte immer noch keine Leser!"
Robert Czepel, science.ORF.at
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