Mehr noch: Der Körper formt unser Denken. Besonders in der Robotik ist der nicht unumstrittene Ansatz heute zentral.
"Spacy Odyssee": Ein allzu menschlicher Computer
Im Film "2001: Odyssee im Weltraum" von Stanley Kubrick entwickelt der Bordcomputer HAL 9000 ein Eigenleben. Er tötet vier von fünf Mann der Besatzung und übernimmt die Kontrolle über das Raumschiff. Der Film wurde 1968 gedreht und spiegelt die damals herrschende Erwartungshaltung gegenüber Computern, Schreckensszenarien inklusive.
Ihre Wurzeln hatten diese Erwartungen in der Künstlichen-Intelligenz-Forschung jener Zeit. Der Mensch bzw. sein Gehirn funktioniert in dieser Vorstellung wie eine Maschine. Folglich müsste man einen Computer nur genau genug programmieren, dann wäre er intelligent wie ein Mensch. Er könnte denken, fühlen und letztlich eigenständige Entscheidungen treffen, so wie HAL 9000.
Ö1 Sendungshinweis:
Dimensionen, am 13.12., 19:05 Uhr zum Thema "Embodiment. Unser Körper denkt mit" Beiträge aus Philosophie, Psychologie, Anthropologie und Künstlicher-Intelligenz-Forschung.
Literatur:
Maja Storch/Benita Cantieni/Gerald Hüther/Wolfgang Tschacher: Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen, Verlag Hans Huber 2010
Don Hanlon Johnson (Hg.): Klassiker der Körperwahrnehmung. Erfahrungen und Methoden des Embodiment, Verlag Hans Huber 2012
Sabine C. Koch: Embodiment: Der Einfluss von Eigenbewegung auf Affekt, Einstellung und Kognition, Logos Verlag 2011
Rolf Pfeifer und Josh Bongard: How the Body Shapes the Way we Think. A new View of Intelligence, MIT Press 2007
Aus heutiger Sicht fehlt dem Bordcomputer jedoch etwas Entscheidendes - ein Körper. Intelligenz und Denken ist ohne einen solchen gar nicht vorstellbar, meint der Informatiker Rolf Pfeifer von der Universität Zürich: "Das Gehirn und das Nervensystem sind immer Teil eines biologischen Organismus, der mit der Umwelt interagieren muss, in ihr überleben und sich reproduzieren muss."
Klassischer Ansatz von Artificial Intelligence
Diese offensichtliche Tatsache wurde in der Forschung zu Artificial Intelligence lange vergessen. In den 60er Jahren, als die "Odyssee im Weltraum" gedreht wurde, herrschte noch der klassische Ansatz der Künstlichen Intelligenz-Forschung vor. Und der hieß: Denken ist Verarbeitung von Symbolen, unser Gehirn arbeitet wie ein Computer. Es ist voll mit abstrakten Regeln, die mit Eingangsdaten aus der Umwelt gefüttert werden und dann ein Ergebnis ausspucken.
Der Körper und seine materielle Beschaffenheit, sogar die des Gehirns selbst, sind dabei irrelevant. Würde man alle Zeilen dieses Programms kennen, brauchte man es nur in eine x-beliebige Maschine einzugeben. Fertig wäre die künstliche Intelligenz.
Durchaus erfolgreich
In manchen Bereichen war dieser klassische Ansatz tatsächlich sehr erfolgreich, sagt Rolf Pfeifer. "Er hat überall da funktioniert, wo die Umgebungen kontrolliert sind, wo man die gesamte Information hat und alles bis ins Letzte programmieren kann. Etwa in der Regelungs- und Steuerungstechnik. Ein moderneres Beispiel sind die Suchmaschinen im Internet: Da sind viele Algorithmen drin, die ihren Ursprung in dieser Denkweise haben."
Natürliche Intelligenz funktioniert dennoch anders, ist Pfeifer überzeugt. "Menschen bewegen sich in einer schnell verändernden Umwelt fast anstrengungslos und können zielgerichtet handeln können. Das funktioniert nicht auf Basis von abstrakter Symbolverarbeitung."
Embodiment: Geist bezieht sich auf ganzen Körper
Eine Ansammlung von logischen Regeln kann der menschlichen und tierischen Intelligenz demnach gar nicht gerecht werden. Denn sie besteht nicht nur aus Denken und Rechnen, sondern entsteht im Tun. Und dieses Tun bedarf eines Körpers.
Dass Körper und Geist zusammenhängen ist keine besonders neue Entdeckung - wie genau, wird in der Philosophie unter dem Oberbegriff "Leib-Seele-Dualismus" seit Jahrhunderten diskutiert. Seit einigen Jahren wird diesen Zusammenhängen in der Psychologie sehr konkret nachgegangen. Der entsprechende Forschungsansatz heißt: Embodiment.
"Ein Konzept, wonach der Geist in Bezug zum gesamten Körper steht. Geist und Körper wiederum sind in die weitere Umwelt eingebettet. Das Konzept Embodiment behauptet, dass ohne diese Einbettungen der Geist nicht intelligent funktionieren kann", lautet die Definition in dem Buch "Embodiment" (siehe Literaturliste).
Körperhaltung und Gefühle
Der Körper, wie er konkret beschaffen ist - mit seinen zwei Armen, zwei Beinen, seinen Augen, die nach vorne gerichtet sind, den seitlichen Ohren und seiner immer die Umwelt fühlenden Haut - formt laut dem Embodiment-Ansatz unser Denken. Umgekehrt tragen diese Körpererfahrungen zur Konstruktion der sozialen Wirklichkeit bei.
Die Untersuchung dieser Wechselwirkungen hat zu einer Reihe von erstaunlichen Ergebnissen geführt. Etwa zum Zusammenhang von Körperhaltung und Mimik mit Gefühlen. Wie sitzen nicht nur gekrümmt oder schauen traurig, wenn wir niedergeschlagen sind, das funktioniert auch umgekehrt. Bestimmte offene Körperhaltungen, die wir bewusst einnehmen, können unsere Stimmung aufhellen. Dieser Umstand wird in der Psycho- und Körpertherapie seit Langem genutzt.
Dass es einen Zusammenhang von Körperhaltung und Emotionen gibt, ist noch relativ leicht nachzuvollziehen. Laut der Embodiment-Forschung sind aber auch abstrakte Vorstellungen auf Basis unserer körperlichen Erfahrung entstanden, z.B. aufgrund unserer Körperachse: "Oben" wird typischerweise mit "mehr" und "besser" assoziiert. Unten mit "weniger" und "schlechter". Ähnlich verhält es sich mit Links und Rechts.
Natürliche Bewegungen als Vorbild
Wirklich wichtig geworden ist der - durchaus umstrittene - Ansatz des Embodiment in der Robotik. Der Körper gilt für viele Forscher dort nun als wesentlich für Intelligenz und natürliche Bewegungen als wichtigste Vorbilder. Erforscht wird, wie Insekten krabbeln, wie Hunde laufen oder wie Menschen mit Objekten hantieren. Und es zeigt sich: Die vermeintlich einfachen Dinge sind für Maschinen oft die schwierigsten. Denn natürliche Bewegungen sind nicht nur sehr komplex, sondern auch von der Beschaffenheit des Materials abhängig.
Das zeigt auch ein Projekt, an dem das Team um Rolf Pfeifer in Zürich arbeitet. Dabei geht es darum, den menschlichen Gang möglichst naturgetreu zu imitieren. Das Gehirn ist bei uns Menschen zwar die Schaltzentrale. Es steuert beim Gehen aber nicht die einzelnen Gelenke, sondern sorgt nur für die richtige Körperhaltung. Wir müssen auch nicht angestrengt auf jeden Schritt achten oder auf den Boden schauen, um gehen zu können. Die meiste Arbeit übernimmt beim Menschen das Muskel-Sehnen-System.
"Es ist, wie wenn diese Funktionalität vom Gehirn delegiert würde an die Materialeigenschaften des Körpers. Kleine Unebenheiten auf dem Boden spielen keine Rolle, weil das von der Elastizität und von den Dämpfungseigenschaften der Muskulatur übernommen wird. Wenn ich das alles übers visuelle System steuern müsste, könnte ich wahrscheinlich nicht mehr gehen", sagt Rolf Pfeifer. Sein Team arbeitet daher nebst anderem nicht an einem künstlichen Auge oder einem künstlichen Gehirn, sondern an künstlichen Muskeln, die wie Muskeln des Menschen funktionieren.
Mensch nachbauen nur bedingt sinnvoll
Artificial Intelligence ist gewissermaßen bescheiden geworden. Es geht nicht mehr um die Nachbildung menschlichen Denkens, sondern um Fertigkeiten wie Gehen, Greifen oder Fühlen. Das Ziel, echte umfassende menschliche Intelligenz künstlich zu erschaffen, rückt dabei in weite Ferne. Auch aus praktischen Gründen.
Rolf Pfeifer: "Wir als Menschen können sehr viele verschiedene Dinge, aber zumindest im sensomotorischen Bereich nichts wirklich gut. Für fast alles, was wir können, gibt es eine Maschine, die das schneller, besser, präziser, billiger und ohne Ermüdungserscheinungen vollbringt. Es ist aus Forschersicht zwar ein extrem motivierendes Ziel, menschliche Intelligenz zu erzeugen. Von der Anwendung her muss man sich aber wirklich fragen, ob man so ein universelles Ding reproduzieren soll, dass dann auch alles wirklich nicht so gut kann wie der Mensch."
Eva Obermüller, Lukas Wieselberg, science.ORF.at