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Ausschnitt aus dem Werbefilm "Brückenbauer", ein mann an einer Maschine

Film ist Modernisierung

Historische Werbe- und Industriefilme eignen sich nicht nur zum Recycling in der Retrokultur, sie stellen auch provokante Fragen an die Medienwissenschaft. Ein Team junger Wissenschaftler untersucht die Rolle von Film als Instrument unternehmerischer Modernisierung in Österreich.

ÖAW Young Science 21.12.2012

In einem Gastbeitrag schreiben sie anhand ihres Forschungsprojekts Sponsored Films und die Kultur der Modernisierung über Schnittstellen zwischen Ökonomie und Ästhetik im österreichischen Werbe- und Industriefilm.

Film als Werkzeug

Von Sema Colpan, Lydia Nsiah und Joachim Schätz

Über die AutorInnen:

Porträt Sema Kolpan

privat

Sema Colpan, geb. 1981, Dissertantin an der Universität Wien am Institut für Zeitgeschichte und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft

Porträt Lydia Nsiah

privat

Lydia Nsiah, geb. 1985, Dissertantin an der Akademie der bildenden Künste am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft

Porträt Joachim Schätz

privat

Joachim Schätz, geb. 1984, Dissertant und wissenschaftlicher Projektmitarbeiter an der Universität Wien am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft

Alle drei forschen im Rahmen eines DOC -Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die Ablauffrist eines Werbefilms reicht in der Regel nur bis zur nächsten Kampagne. Retrospektiv aber haben historische Unternehmensfilme ein schillerndes Nachleben entwickelt: Firmen präsentieren ihre alten Auftragsfilme als Teil der eigenen Geschichte, Werbespots aus Kindheitstagen werden zum Kult erklärt, Edelboutiquen nutzen historische Fabriksaufnahmen als dekoratives Element.

Auch die Wissenschaft hat in den letzten Jahren vermehrt Interesse an historischen Werbe- und Industriefilmen angemeldet: Medienwissenschaftliche Forschungen haben gezeigt, dass diese Filme die Produktions- und Konsumkultur ihrer Zeit nicht bloß plastisch abbilden, sondern selbst ein integraler Bestandteil der sich entfaltenden Ordnungen von Massenproduktion und -konsum waren.

Werbe- und Industriefilme wurden hergestellt als Werkzeuge, um Rationalisierungsprozesse voranzutreiben - nach innen (Optimierung der Produktion) wie nach außen (Steuerung des Konsumverhaltens). Hinter dem Sammelbegriff des "Industriefilms" verbirgt sich etwa eine heterogene Vielzahl von Funktionen, vom Einschulungsfilm für angehende Arbeitnehmer bis zum "Process film", der die Herstellung eines Produkts vom Rohstoff bis zur verpackten Ware zeigt.

Mediengeschichte der Modernisierung

Von diesem Gebrauchscharakter geht auch unser Forschungsprojekt Sponsored Films und die Kultur der Modernisierung aus. Im Zentrum des Projekts steht ein Korpus aus österreichischen wie internationalen Werbe- und Industriefilmen aus dem Zeitraum 1920 bis 1960.

Dieser Zeitrahmen korrespondiert zum einen mit dem internationalen Aufschwung einer experimentierfreudigen Werbe- und Industriefilmbranche vor dem Aufkommen des Fernsehens. Zum anderen entspricht er der Durchsetzung eines globalen ökonomischen Regimes, das geprägt ist von standardisierter (Massen-)Produktion von Konsumgütern und dem Aufbau und der Steuerung korrelierender Märkte.

Als Artefakte mit Gebrauchswert untersuchen wir die Filme aus zeitgeschichtlicher, film- und kunstwissenschaftlicher Perspektive. Damit leistet unser Projekt einen grundlegenden Beitrag zu einer österreichischen Mediengeschichte industrieller und unternehmerischer Modernisierung.

"Halbfertigprodukte" mit Eigensinn

Zugleich befassen wir uns auch offensiv mit den methodologischen Herausforderungen, die Industrie- und Werbefilme der Medien- und Kulturwissenschaft stellen. Diese sind häufig "Halbfabrikate" (nach Yvonne Zimmermann) - ihre Bedeutung wird also erst durch den jeweiligen Zusammenhang der Aufführung fixiert: Derselbe Fabrikationsfilm eines Unternehmens kann auf einer Messe für Branchengäste oder als Lektion im Klassenzimmer ganz unterschiedliche Zwecke erfüllen.

In Fortführung bisher erfolgter Forschungen zum Gebrauchsfilm erweitert das Projekt das Blickfeld von Fragen der Herstellungs- und Rezeptionszusammenhänge auf die formästhetische Dimension der Filme. Erst die Gestaltung der Filme, ihre langlebigen Konventionen und jeweiligen signifikanten Abweichungen, stellen schließlich die Mittel dar, den jeweiligen Zweck zu erfüllen. Das etablierte Beschreibungs- und Wertungsinstrumentarium einer auf kommerzielle und künstlerische Produktionen fokussierten Filmwissenschaft reicht dabei zur Analyse dieser “instrumentellen” Filme nicht aus.

Ausschnitt aus dem Werbefilm "Brückenbauer", ein mann an einer Maschine

Wiener Stadt/ und Landesarchiv, Filmarchiv der media wien

"Brückenbauer": ein Industriefilm der Wiener Brückenbau AG von 1946

Literatur:

  • Charles Acland / Haidee Wasson (eds): Useful Cinema. Durham 2011.
  • Vinzenz Hediger / Patrick Vonderau (eds.): Films that Work. Industrial Film and the Productivity of Media. Amsterdam 2009.
  • Devin Orgeron / Marsha Orgeron, Dan Streible (eds): Learning with the lights off. Educational Film in the United States. Oxford 2012.
  • Yvonne Zimmermann (Hg.): Schaufenster Schweiz. Dokumentarische Gebrauchsfilme 1896-1964. Zürich 2011.

Webseite des Projekts Sponsored Films

ÖAW Young Science:

Der Text ist Teil des Projektes Young Science, im Zuge dessen Gastbeiträge von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheinen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen Ö1/science.ORF.at und der Akademie der Wissenschaften.

Trotzdem stehen Industrie- und Werbefilme im Austausch mit (nicht nur film-)künstlerischen Entwicklungen ihrer Zeit. Und auch konventionelle Produktionen entwickeln mitunter aus ihren Erzählformeln und ihrem Material heraus einen ästhetischen Eigensinn, der im unmittelbaren ökonomischen Zweck nicht aufgeht. Zielgerichtete Rhetorik und Ästhetik (mit Umberto Eco: das offene Spiel der Informationsebenen) sind im Industrie- und Werbefilm eng verwoben.

Mit der methodologischen Verschränkung funktionaler und formaler Ausformungen im Film, ist dieser als Vermittler zwischen Ökonomie und Ästhetik ausweisbar. Als solch janusköpfiges Mittel zum Zweck ist Film somit das mediale Werkzeug für die Etablierung einer österreichischen Kultur der Modernisierung.

Projekt " Sponsored Films und die Kultur der Modernisierung":

Basierend auf Sammlungen von österreichischen Film- und Unternehmensarchiven und ergänzt durch internationale Vergleichsbeispiele wird der erarbeitete Materialkorpus in drei Einzeldissertationen analysiert. Die Frage nach der ökonomischen Funktion der Filme und ihrer formalen Übersetzung prägt dabei alle drei Einzelarbeiten des Projekts.

Lydia Nsiah untersucht anhand der Herausarbeitung rhythmischer Filmtechniken das Verhältnis österreichischer und internationaler Industrie- und Werbefilme zu historischen Filmavantgarden – wobei sie sowohl konkrete Auftragsarbeiten von Avantgardisten als auch die formalen Einwirkungen der Avantgarden auf konventionelle Werbe- und Industriefilme behandelt.

Joachim Schätz analysiert die Gestaltung österreichischer Industrie- und Werbefilme entlang der beiden Begriffe Rationalisierung und Kontingenz: dem Planbaren, Fixierten und dem Zufälligen, Ephemeren. Die Spannung zwischen diesen beiden Konzepten ist nicht nur zentral für die industrielle Moderne, sondern auch für das Medium Film.

Sema Colpan arbeitet anhand ausgewählter Beispiele die unterschiedlichen Bildprogramme industrieller Moderne heraus. In vorrangig österreichischen Werbe- und Industriefilmen geht sie der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Filmen in dem Modell des fordistischen Akkumulationsregimes nach.

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