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Wickie macht eine Entdeckung

Intelligenz: Adieu IQ?

Nach Ansicht kanadischer Psychologen hat der Intelligenzquotient ausgedient. Ihre Untersuchung an mehr als 100.000 Personen zeigt: Eine Messgröße kann nicht alle Aspekte der Intelligenz erklären.

Psychologie 21.12.2012

Alles messen, was messbar ist - und messbar machen, was noch nicht messbar ist. Das ist der Arbeitsauftrag, den Galilei der Wissenschaft hinterlassen hat. Die Physik ist mit diesem Ansatz gut gefahren. Ob er auch für den menschlichen Geist gilt, wird seit mehr als 100 Jahren diskutiert - und kein Ende ist absehbar.

Die Vermessung des Verstandes bleibt nicht zuletzt deshalb kontroversiell, weil sich das Thema bestens für ideologische Grabenkämpfe eignet. Dabei hat es so harmlos begonnen. 1904 entdeckte der britische Psychologe Charles Spearman bei Tests mit Schulkindern eine statistische Auffälligkeit. Jene, die etwa im Fach Französisch gut (oder schlecht) abschnitten, waren in der Regel auch in Englisch gut (oder schlecht).

Das mag noch nicht besonders überraschend gewesen sein - aber der Zusammenhang galt auch für alle anderen Fächer. Mathe und Musik, Literatur und die Unterscheidung von Tonhöhen, welche Kombination er auch wählte, der Zusammenhang in Form von Korrelationen blieb. Alle Fächer schienen durch ein unsichtbares statistisches Band verbunden zu sein, das Spearman g-Faktor nannte. Der g-Faktor ist die zur Maßzahl kondensierte Idee, dass es Intelligenz als "Ding" gibt. Falls ja: Ist das Ding eins oder viele - gibt es die Intelligenz? "Intelligenz ist das, was ein Intelligenztest misst", lautet ein alter Psychologenkalauer.

Fundament gesucht

Die Studie:

"Fractionating Human Intelligence" von Adam Hampshire et al. ist am 20.12. in "Neuron" erschienen.

Das ist natürlich keine befriedigende Antwort. Zumindest nicht für Adrian Owen. Nur interpretierbare Daten zu gewinnen, sei zu wenig, schreibt der Psychologe von der University of Western Ontario in einer aktuellen Studie. Was es brauche, seien Intelligenztests mit einem neurobiologischen Fundament. Tests, die unser Denken widerspiegeln, nicht die Vorlieben des Testdesigners.

Owen hat mit drei Kollegen eine der größten IQ-Studien der letzten Jahre durchgeführt. Zwölf verschiedene Kategorien wurden online bei Freiwilligen abgeprüft, darunter etwa Gedächtnis, logisches Schließen, Aufmerksamkeit, Orientierungs- und Planungsvermögen. "Die Resonanz war erstaunlich", erzählt Owen. "Wir hatten ein paar hundert Teilnehmer erwartet. Schlussendlich waren es abertausende. Menschen jedes Alters aus unterschiedlichsten Kulturen und Ländern."

Dreifaltigkeit der Intelligenz

Große Samples sind bekanntlich gut für die Statistik, und die spricht laut Owen eine klare Sprache. Das Abschneiden der Teilnehmer bei den verschiedenen Tests ließ sich nicht durch eine Größe (vulgo den IQ) erklären. Es brauche mindestens drei verschiedene Kategorien, um das Ergebnis in Zahlen zu fassen. Als da wären: Kurzzeitgedächtnis, logisches Denken und sprachliche Fähigkeiten.

"Geistiges Training verbesserte das Abschneiden der Teilnehmer nicht. Das Alter hingegen wirkt sich nachweislich negativ auf das Gedächtnis und das logische Denken aus", sagt Owen. Laut Studie ist der Intellekt bis Mitte 20 frisch, danach geht es kontinuierlich bergab.

Es sei denn man zockt regelmäßig auf dem Computer. Die kanadischen Psychologen fanden nämlich ein paar überraschende Einflussfaktoren: Regelmäßig mit dem PC zu spielen, wirkt sich laut Studie tatsächlich positiv auf das Merkvermögen und die Logik aus. Rauchen und Angstzustände sind hingegen schlecht. Sie beeinträchtigen das Kurzzeitgedächtnis.

Owen und seine Mitarbeiter führten auch eine Reihe von Gehirnstudien durch, die ihre Statistik zu bestätigen scheinen. Demnach beanspruchen Gedächtnis, Logik und Sprache unterschiedliche Netzwerke im Gehirn. Die Teilung des IQs in drei eigenständige Kategorien wäre also keine willkürliche. Nun müssen ihnen nur noch die Fachkollegen folgen. So wie es einst Spearman.

Robert Czepel, science.ORF.at

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