Als Richard Nixon im Jahr 1971 den "War on Cancer" ausrief, folgten optimistische bis vollmundige Prognosen seitens der Wissenschaft. Ein bis zwei Jahrzehnte werde es dauern, bis man den Krebs besiegt habe, hieß es, als der US-Präsident budgetäre Füllhörner über der Krebsforschung ausschütten ließ.
James Watson, DNA-Helix-Entdecker und scharfzüngiger Kritiker seiner Zunft, sah das schon damals anders. Derlei Versprechungen seien im besten Fall "Wunschdenken", im schlechtesten gar "Schwindel", sagte er in den 70ern gegenüber dem Boston Herald.
Die Studie
"Oxidants, antioxidants and the current incurability of metastatic cancers", Open Biology, 9.1. (doi: 10.1098/rsob.120144).
Nun, 40 Jahre später, kann Watson für sich verbuchen, wieder einmal recht gehabt zu haben. Zumindest weitgehend. Natürlich sind in den letzten Jahren die Überlebensraten für viele Krebsarten deutlich gestiegen. Wer heute an Leukämie erkrankt, hat nun definitiv bessere Karten als noch vor ein paar Jahrzehnten.
Anders sieht es bei Lunge, Darm und Brustgewebe aus. Hat hier der Krebs einmal Metastasen im Körper verteilt - und sich dadurch dem Skalpell des Chirurgen entzogen - ist die Krankheit nur mehr schwer zu besiegen. In vielen Fällen ist sie schlichtweg unheilbar.
Radikale: Schädlich und nützlich
Dass der medizinische Fortschritt nicht bei allen Krebsarten gleich schnell voranschreite, sei kein Zufall, schreibt Watson im neuen Fachblatt "Open Biology". Die von ihm angebotene Erklärung betrachtet er als "eine meiner wichtigsten Arbeiten seit der Doppelhelix". Ob das zutrifft, sei dahin gestellt. Beachtenswert ist sie jedenfalls.
Watson breitet in seiner Arbeit naturgemäß jede Menge biochemischer Details aus. Aber er schreibt auch einen ganz schlichten Satz: "Wir sollten Heidelbeeren essen, weil sie gut schmecken - und nicht, weil sie gegen Krebs helfen." Dahinter steht die grundsätzlich richtige Annahme, dass Antioxidantien (wie zum Beispiel die Vitamine A, C und E) die DNA gegen Schäden schützen können. Schäden, die von aggressiven Sauerstoffverbindungen stammen, im Fachjargon ROS ("reactive oxygen species") genannt.
ROS schädigen im Übrigen nicht nur die DNA. Sie ziehen durch ihre Oxidationskraft auch Lipide und Proteine in Mitleidenschaft, doch am richtigen Ort sind sie durchaus nützlich. Sehr nützlich sogar, sagt Watson. ROS sind nämlich Vermittler eines Selbstmordprogramms für degenerierte Zellen, mit dessen Hilfe der Körper die Organe in Schuss hält.
Das ist schon länger bekannt. Watson glaubt, dass auch die meisten Krebstherapien über diese Weiche laufen. Weder Strahlen noch chemische Keulen würden ihm zufolge Nennenswertes gegen Krebszellen ausrichten, wenn es nicht die aggressiven Sauerstoffverbindungen gäbe, die sie quasi zum Selbstmord zwingen.
"Weniger Antioxidantien in Krebszellen"
Und hier sei auch der Grund dafür zu suchen, warum manchen Krebsarten eben nicht beizukommen ist. Es handle sich wohl um jene, die besonders viele Antioxidantien herstellen - und somit die Wirkung der ROS blockieren. "Wenn wir keine Möglichkeiten finden, die Menge der Antioxidantien in den Krebszellen zu verringern", resümiert der US-Biologe, "dann wird Krebs im Spätstadium auch in zehn Jahren noch unheilbar sein."
Ob Watson mit seiner Vermutung tatsächlich die Achillesferse des Krebs freigelegt hat, wird die Fachwelt klären müssen. Historisch betrachtet wäre es nicht so ungewöhnlich, sollte sich eine Reaktion als zugleich lebenswichtig und gefährlich erweisen. Ähnliches gilt schließlich auch für Entzündungen, Prionen, Stress etc.: Zweischneidige Schwerter und Janusköpfe haben in der medizinischen Fachliteratur seit jeher Konjunktur.
Robert Czepel, science.ORF.at
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