EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes ist nach ihrer Ankündigung, je eine Milliarde Euro für die zwei Forschungsbereiche zur Verfügung zu stellen, etwas zurückgerudert. Es handle sich um eine Gesamtsumme in den nächsten zehn Jahren, wobei lediglich die Hälfte seitens der EU aufgebracht wird.
Ein Experte der Kommission fügte hinzu, in diesem Jahr würden 54 Millionen Euro für jedes Projekt zur Verfügung gestellt. Dazu kämen Mittel von öffentlichen Institutionen, Universitäten und den Mitgliedsstaaten. Jedenfalls hätten einige Länder schon Mittel dafür gebunden, wurde betont.
Flagschiff von "Horizon 2020":
"Horizon 2020" ist das neue EU-Programm für Forschung und Innovation, das die Kommission als Teil ihres Vorschlags für den EU-Haushalt 2014-2020 vorgelegt hat. Um neue Impulse für Forschung und Innovation zu setzen und damit Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln, hat die Kommission für den Sieben-Jahreszeitraum ein ehrgeiziges Budget von 80 Milliarden Euro vorgeschlagen, zu dem auch das Programm der FET "Future and Emerging Technologies Flagship" gehört, das heute vorgestellt wurde.
Links:
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 28.1., 13:55 Uhr.
Projekt 1: Ein altbekannter Stoff
Eigentlich handelt es sich bei Graphen um einen altbekannten Stoff: Graphit, der Hauptbestandteil von Bleistiftminen, besteht aus Graphenschichten. Eine Schicht von einem Millimeter Graphit besteht aus drei Millionen Graphenlagen. Jede dieser Lagen setzt sich aus Kohlenstoffatomen zusammen, die netzartig in sechseckigen Waben angeordnet sind. Allerdings haften die Schichten im Graphit nur schwach aneinander, beim Bleistift etwa trennen sich beim Schreiben unterschiedlich dicke Stapel und lagern sich auf dem Papier ab.
Andre Geim und Kostya Novoselov von der Uni Manchester gelang 2004 erstmals die Herstellung von Schichten des Materials, die nur eine Atomlage dick waren - mit einem einfachen Trick: Sie trennten dünne Graphitschichten mittels Klebeband so lange, bis wirklich nur noch eine Atomlage übrig blieb. Dafür wurden sie 2010 mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet, sie sind auch Teil des "Graphene"-Konsortiums.
TU Wien: Forschung in alle Richtungen
In den vergangenen Jahren wurde nicht nur die Herstellung professionalisiert, es hat auch weltweit ein wahrer Forschungs-Boom rund um das Material eingesetzt und seine superlativen Eigenschaften zutage gefördert: Graphen gilt heute als das dünnste, steifste und stärkste bekannte Material. Es besitzt die höchste Wärmeleitfähigkeit, ist absolut undurchlässig für Gase und leitet bei Raumtemperatur elektrischen Strom besser als alle anderen Materialien.
Kein Wunder also, dass große Hoffnungen auf dem Material ruhen, in der Informations- und Kommunikationstechnologie ebenso wie beim Bau leichter, stabiler Strukturen oder bei der Batterieherstellung.
In dem Projekt "Graphene" soll daher in den ersten Jahren "ohne konkretes Ziel in alle Richtungen geforscht werden", wie Thomas Müller vom Institut für Photonik der Technischen Universität (TU) Wien erklärt.
Photoelektrische Eigenschaften
Der an "Graphene" beteiligte Physiker beschäftigt sich schon länger mit den opto-elektronischen Eigenschaften von Graphen, konkret dem photoelektrischen Effekt: Wenn Licht auf das Material trifft, werden Elektronen aus ihrem Platz gelöst und Strom beginnt zu fließen.
Dieser Effekt ist u.a. für die Computertechnik wichtig, etwa wenn Lichtsignale aus einem Glasfaserkabel in elektrische Signale umgewandelt werden müssen. "Der photoelektrische Effekt läuft in Graphen um ein Vielfaches schneller ab als in herkömmlichen Materialien wie etwa Germanium", so Müller. Bauteile aus Graphen wären dadurch deutlich schneller, effizienter, kleiner und billiger als bisher.
Neben der TU Wien ist aus Österreich auch die VARTA Micro Innovation Forschungsgesellschaft an dem Konsortium beteiligt, das insgesamt 126 Arbeitsgruppen aus Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus 17 europäischen Staaten umfasst. Wie die Arbeit in einem so großen Projekt koordiniert werden soll, ist auch Müller noch nicht ganz klar. Es gebe aber rund zehn Untergruppen und innerhalb dieser würde man sich auch persönlich kennen, sagte der TU-Forscher, der in der 2,5 Jahre dauernden mit 54 Millionen Euro dotierten Startphase mit rund 500.000 Euro für seine Arbeit rechnet.
Projekt 2: Simulation des Gehirns
Das zweite, heute präsentierte Flaggschiff-Projekt der EU ist das Human Brain Project (HBP), das das gesamte Wissen über die Abläufe im menschlichen Gehirn in eine Computersimulation packen soll.
Mit der Umsetzung werden tausende Forscher in etwa 200 Forschungsgruppen unter der Leitung des südafrikanischen Hirnforschers Henry Markram von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (Schweiz) beschäftigt sein.
"Wir müssen endlich all das Wissen der verschiedenen Disziplinen über das Gehirn integrieren. Das ist eine Strategie für das 21. Jahrhundert", so Markram 2011 im Zuge eines Vortrags am Elite-Institut IST Austria. Die technischen Anforderungen werden entsprechend hoch sein.
Im Vorgängerprojekt des HBP, dem "Blue Brain Project", verschlangen bereits die Berechnungen für ein einziges Neuron in etwa die Kapazitäten eines Laptop-Computers, so Markram. Der Forscher und seine Kollegen betonten in den vergangenen Jahren aber immer wieder, dass es sich bei ihrer Vision nicht um eine Utopie, sondern mittlerweile um ein umsetzbares Vorhaben handelt.
Spalt zwischen Neuronen und Verhalten
"Es ist eine große Ehre, an einem solchen interdisziplinären Projekt beteiligt zu sein", erklärte der Hirnforscher Peter Jonas vom IST. Er rechnet jedoch nicht damit, dass durch den Zuschlag für seine Kernforschung wirklich große Summen hinzukommen. "Ich denke aber trotzdem, dass die Mitarbeit an dem Projekt eine sehr sinnvolle Sache ist. Denn wir werden auf der einen Seite dem HBP nützen, indem wir experimentelle Daten erheben, die ganz konkret gemessen und in Modelle eingebaut werden können."
Jonas und seine Kollegen erforschen etwa sehr detailliert die Abläufe im Hippocampus, also jenem Teil des Gehirns, der entscheidend für Gedächtnis, Lernen, Erinnerung und Raumorientierung zuständig ist.
Die Forscher sind extrem daran interessiert, ihre akribische Detailarbeit mit den anderen Abläufen im extrem verzweigten Netzwerk des Gehirns in Verbindung zu bringen. Jonas: "Man könnte also herausbekommen, wie sich diese auf zellulärer und molekularer Ebene abspielenden Erkenntnisse auf einer Netzwerkebene auswirken."
Zwischen dem Verhalten eines Menschen und den grundlegenden Prozessen gebe es einen "ganz großen Spalt". Die "Simulationswelt" könnte helfen, "diese beiden Aspekte näher zusammenzubringen. Wir müssen ja zu einem Gesamtverständnis des Gehirns kommen", so Jonas.
Auch Innsbruck und Graz beteiligt
Neben Jonas sind auch noch weitere österreichische Forschungseinrichtungen in das HBP involviert. Alois Saria, Vorstand der Abteilung für Experimentelle Psychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck, ist Teil des Managementteams des Vorhabens. Als solcher wird es an ihm liegen, die Ausbildung der Nachwuchswissenschaftler, den sogenannten "Educational Pillar" des Projekts, zu organisieren.
Um an der Entwicklung der Simulation mitzuhelfen und sie dann auch sinnvoll nützen zu können, wird es nämlich fächerübergreifendes Wissen aus Bereichen wie den Neurowissenschaften, der Genetik, der angewandten Mathematik, den Computerwissenschaften, der Robotik und aus sozialwissenschaftlichen Fächern brauchen.
Seitens der Technischen Universität (TU) Graz wird der Vorstand des Instituts für Grundlagen der Informationsverarbeitung, Wolfgang Maass, Umsetzungsstrategien aus der theoretischen Informatik beisteuern. In Graz gebe es "vermutlich mehr Informatiker, die sich mit dem Gehirn befassen, als irgendwo sonst - proportional sicher, absolut wahrscheinlich auch", erklärte er in der Planungsphase des Projekts gegenüber der APA.
science.ORF.at/APA
Mehr zu dem Thema: