Am 22. Juli 1879 schrieb Charles Darwin an seinen Freund, den Botaniker Joseph Hooker: "Die rapide Entwicklung der höheren Pflanzen ist ein schreckliches Mysterium."
Mit "höheren Pflanzen" meinte er die Blütenpflanzen vulgo "Bedecktsamer". In der frühen Kreidezeit waren sie noch, falls überhaupt vorhanden, eine botanische Randerscheinung. In der mittleren Kreidezeit entwickelten sie sich plötzlich zur dominanten Pflanzengruppe an Land - und sind es mit mehr als 350.000 Arten bis heute.
Zum Vergleich: In der zweiten großen Gruppe der Samenpflanzen ("Nacktsamer"), zu der etwa Palmfarne und Nadelhölzer gehören, gibt es bloß 800 Spezies. Wenn die Artenzahl etwas über evolutionären Erfolg aussagt, dann ist die Blüte wohl eine der besten Erfindungen der Naturgeschichte.
Zu schnell um wahr zu sein?
Wie der US-Biologe William Friedman vor drei Jahren in einem Essay ausführte, war es nicht die ökologische Dominanz der Blütenpflanzen, die Darwin Sorgen machte. Auch nicht der lückenhafte Fossilbestand. Was Darwin Kopfzerbrechen bereitete, war ihre rasche, fast explosive Entwicklung. Der Grund dafür ist, dass Darwin einer Denkschule anhing, die man heute "Gradualismus" nennt.
Gradualisten sind der Ansicht, dass die Evolution langsam und gleichförmig verläuft. Aus diesem Grund vermutete Darwin, dass die Blütenpflanzen ursprünglich von einer verschwundenen Landmasse auf der Südhalbkugel stammen müssten, wo sie Zeit hatten, sich in alle die heute bekannten Typen - von der Ranunkel bis zur Reispflanze - aufzuspalten. Hier irrte der große Brite. Die vergessene Welt des Südens hat es niemals gegeben. Die Entwicklung der Blütenpflanzen indes verlief tatsächlich so rasant.
Gemeinsamer Aufstieg
Die Studie
"Bees diversified in the age of eudicots", Proceedings of the Royal Society B (30.1.2013; doi: 10.1098/rspb.2012.2686).
Warum? Die Antwort präsentieren nun Sophie Cardinal und Bryan Danforth. Wie die beiden Biologen in den "Proceedings" der Royal Society schreiben, ging der rasche Aufstieg der Blütenpflanzen mit einer ebenso raschen Diversifizierung der Bienen einher.
Das wurde zwar schon früher vermutet, Cardinal und Danforth haben die Theorie aber nun laut Eigenaussage mit solidem Fundament ausgestattet. Ihre Stammbaumanalyse von Bienen ist demnach nicht nur die bisher umfassendste zu diesem Thema. Sie ist auch die erste, die den entscheidenden Zeitraum eingrenzt. Laut Studie nahm die Evolution der Bienen vor 123 Millionen Jahren Fahrt auf, was wiederum der Entwicklung der Blütenpflanzen Schwung verlieh.
Das Verhältnis war von Beginn an symbiontisch. Bienen erhielten schon damals von Pflanzen Nahrung und sorgten im Gegenzug für deren Bestäubung. Daran hat sich nichts geändert. Bis zu 90 Prozent aller Blütenpflanzen verlassen sich heute auf Tiere (vor allem Insekten), wenn es um die Übertragung des Pollen auf die weiblichen Pflanzenzeile geht.
"Müssen Doktrin der Evolution aufgeben"
Die gegenseitige Anpassung hat im Lauf der Zeit auch Kurioses hervorgebracht. Etwa "Sexualtäuschblumen": Manche Orchideen geben ihren Bestäubern zusätzliche Motivation für Blütenbesuche, indem sie deren Äußeres und sogar deren Duft imitieren. Mit Erfolg, wie Botaniker wissen. Die Insekten versuchen regelmäßig mit ihren vermeintlichen Artgenossen zu kopulieren und verhelfen ironischerweise durch den Pseudoverkehr der Pflanze zum Sex.
Darwin jedenfalls war nicht der einzige, der die rasante Entwicklung der Blütenpflanzen nicht in sein Weltbild einordnen konnte oder wollte. Auch der irische Naturforscher John Ball notierte 1879 in seinem Aufsatz "On the Origin of the Flora of the European Alps":
"Meiner Meinung nach gibt es die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder müssen wir die Doktrin der Evolution aufgeben - oder der Ursprung der Blütenpflanzen liegt viel weiter zurück." Tatsächlich hätten Darwin und Ball eine andere Doktrin aufgeben müssen. Nämlich den alten Satz: "Natura non facit saltus."
Robert Czepel, science.ORF.at
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