Im Gespräch mit der APA zeigte sich der Komplexitätsforscher Stefan Thurner überrascht, wie verschieden Männer und Frauen ihre Netzwerke gestalten.
Gesellschaft im Kleinen
Die Studie in "Scientific Reports":
"How women organize social networks different from men" von Michael Szell und Stefan Thurner, erschienen am 7. Februar 2013.
Sein Kollege Michael Szell hatte das Spiel "Pardus" ursprünglich aus spielerischem Interesse online gestellt. Dort ringen nun seit etwa acht Jahren "Händler, Piraten, Schmuggler und andere Piloten verschiedenster Ethnien und Zugehörigkeiten um Wohlstand und Ehre im Weltall", heißt es auf der Homepage des Spiels.
"Wir haben jede Aktion von jedem Spieler aufgezeichnet vorliegen. Wir haben also von einer zwar künstlichen, aber menschlichen Gesellschaft vollständige Information - das gibt es sonst nicht", erklärte Thurner. Die Forscher wissen, welche Geschäfte die Spieler abschließen, mit wem sie in Interaktion treten, wohin sie reisen oder wie sie Streit beginnen und wieder beenden. So weit kann man laut Thurner "nicht einmal in den wildesten Fantasien von George Orwell" in gesellschaftliche Abläufe blicken.
Bisher galt in den Sozialwissenschaften immer, dass man keine so genauen Einsichten gewinnen kann wie in den Naturwissenschaften, da genaue Daten fehlen, so der Forscher. "Wir wollen Sozialwissenschaften in eine naturwissenschaftliche Richtung bringen und vorausschauende Aussagen über ein soziales System machen." Dazu analysieren die Wissenschaftler Netzwerke. Thurner: "Man kann ja eine Gesellschaft als Überlagerung verschiedenster Netzwerke sehen." Viele dieser Verbindungen ließen sich anhand der Daten rekonstruieren.

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Weibliche und männliche Charaktere beim Onlinespiel "Pardus"
Stabil versus ausgefasert
Die Forscher konzentrierten sich nun darauf, wie sich Frauen und Männer im virtuellen Raum bewegen. "Das Spannendste, was wir sehen, ist, dass Frauen ihre Netzwerke viel dichter machen." Das heißt nicht, dass Frauen mehr Freunde haben oder mehr kommunizieren, sondern "sie schauen sehr darauf, dass die Leute, mit denen sie reden, untereinander auch reden", so Thurner. Männern hingegen sei das weit weniger wichtig. "Die männlichen Netzwerke sind viel ausgefaserter", die der Frauen "kompakter und sozial viel stabiler".
Frauen achten darauf, "den Kern zu erhalten", Männer "versuchen eher, den Überblick zu haben", erklärte Thurner. Darauf würden auch die Daten über Freundschaftsanfragen hindeuten. "Wenn eine Frau einer anderen Frau sagt: 'Ich bin deine Freundin', dann antwortet die andere darauf relativ schnell mit: 'Du bist auch meine Freundin'", so der Forscher. Unter Männern dauert das viel länger bzw. kommt häufig auch gar keine Antwort. Tritt hingegen eine Frau an einen Mann heran, zeigen Männer die schnellsten Reaktionen überhaupt - und das obwohl es in dem Spiel kein Ziel ist, Nachkommen zu zeugen oder romantische Beziehungen einzugehen.
Andere soziale Wesen
"Wir hätten nie gedacht, dass wir so starke Unterschiede sehen, denn es geht in dem Spiel wirklich nicht darum, welches Geschlecht man hat", betonte Thurner. "Der Mensch ist ein soziales Wesen, und eine Hauptkomponente sind seine sozialen Netzwerke. Wenn soziale Netzwerke anders sind, ist der Mensch anders. Ich finde es faszinierend, dass in diesem Sinne Mann und Frau etwas andere soziale Wesen sind und das hier so sichtbar wird", so Thurner. "Was ich wirklich toll finde, ist, dass wir eventuell Evolutionsbiologie in einem Computerspiel des 21. Jahrhunderts sehen."
Frauen sind außerdem wirtschaftlich erfolgreicher als Männer, nehmen aber auch weniger Risiko auf sich. Den wirtschaftlichen Abläufen im Spiel wollen sich die Forscher künftig stärker zuwenden. Thurner: "Wir sehen zum Beispiel Fluktuationen bei Energiepreisen, die den Ölpreisschwankungen in der echten Welt nicht unähnlich sind."
science.ORF.at/APA